Im wilden Westen, Kapitel 7

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pol shebbel

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Der leuchtende Punkt, der die Sonne war, erhob sich langsam über den Horizont von Juno. Die unbestimmte Schwärze ringsum verwandelte sich langsam in ein farbloses Grau, die Konturen der trostlosen Trümmerlandschaft begannen sich deutlicher und deutlicher abzuzeichnen, mit langen, schwarzen Schatten.
Am Fusse eines langen Steilhangs standen zwei Gestalten in Raumanzügen und betrachteten im langsam heller werdenden, käsig-gelblichgrauen Dämmerlicht wortlos eine Unfallstätte: ein umgekipptes Raupenfahrzeug auf halber Höhe des Steilhangs, und daneben am Boden zwei reglose, ebenfalls in Raumanzügen steckende Körper. Im Hintergrund, etwa hundert Meter hinter den Stehenden, stand deren Raupe: mit defekten Scheinwerfern und das Vorderteil etwas zerknautscht, aber noch fahrtüchtig. Ja, wirklich! Ein paar Beulen und ein paar Scherben - das war alles, was der Raupe von Gruppe 15 bei ihrem "Unfall" passiert war. Bei der geringen Geschwindigkeit hatte ja auch wohl kaum viel passieren können - aber daran hatte keiner der beiden Raumfahrer nur einen Augenblick gedacht! So zermürbt warten sie schon gewesen vom Würgegriff der eisigen Klauen, von den ewigen Enttäuschungen und Rückschlägen. Noch vor sechs Stunden waren sie dagestanden wie zwei Esel am Berg - und als sie dann buchstäblich durch Zufall entdeckt hatten, dass man lediglich den Rückwärtsgang einlegen und Gas geben musste, da hatte es sie fast umgehauen. Am Ende war alles gar nicht so schwer! Man musste bloss mit der richtigen Einstellung an die Sache herangehen. Mit dem festen Vorsatz, dies von nun an zu tun, waren sie losgefahren, hatten sich auf die Suche nach dem Sender des Notsignals gemacht. Das Gefühl der Hilflosigkeit war natürlich bald wieder einmal dagewesen. Sie hatten kein einziges Mal mit der Zentrale gesprochen (die Funkanlage musste also doch bei dem Stoss etwas abgekriegt haben), und so waren sie völlig auf sich allein gestellt gewesen; mehrmals hatten sie beinahe aufgegeben - und dann hatten sie, wie durch ein Wunder, den Unfallort von Gruppe 9 gefunden. Von ihrem Erfolg beflügelt, waren sie ausgestiegen - und jetzt standen sie beide da, wie vom Donner gerührt, die Augen weit vor Entsetzen.
Auf den ersten Blick sah man nicht viel. Die Raupe von Gruppe 9 lag auf der Seite, schräg balancierend auf dem Sockel der grossen Dachantenne - wie das hatte passieren können, würde immer ein Rätsel bleiben. Die beiden Besatzungsmitglieder, die daneben lagen, waren nämlich tot - die Hilfe war zu spät gekommen. Das war an sich schon deprimierend, aber in gewissem Sinne war es zu erwarten gewesen. Was jedoch den Rest gab, war, dass die Schläuche der Atemgeräte mit einem Messer durchgeschnitten waren.
Beide hatten ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt.
Bender fühlte einen Kloss im Hals, der immer grösser wurde. Es wusste, was die zwei Toten gefühlt hatten. Ein Unfall - nur ein kleiner! - der Wassertropfen, der das Fass zum Überlaufen, der das letzte Bisschen Durchhaltewillen zum Einsturz bringt. Nur ein geringfügiger Unfall! Mit einem zweiten Fahrzeug und einem Stahlseil hätte man die Raupe sofort wieder aufrichten können. Aber die Hilfe war nicht gekommen... Grosse Galaxis, wir sind schuld! Vielleicht haben sie noch auf Hilfe gewartet; vielleicht hätten wir sie gerettet, wären wir eine Stunde früher dagewesen... Himmel und Erde, das darf doch nicht wahr sein. Benders Blick bohrte sich in das Messer, das der eine Tote noch in der Hand hielt - und ebenso bohrte sich der dazugehörige Gedanke in sein Gehirn ein und liess sich nicht vertreiben. Die eisigen Klauen, die eisigen Klauen am Hals!
"Und", erklang plötzlich der Übersetzer in seinem Kopfhörer, "was jetzt?"
Bender wollte etwas sagen, aber es kam nur ein Krächzen heraus. Er räusperte sich und schluckte. "Nun..." murmelte er dumpf, während er langsam, widerstrebend den Blick von dem Messer wegzwang, "wir - na ja, wir führen den Auftrag aus."
"Und wie" fragte Dupond.
"Nun... ihre Karre scheint nicht kaputt zu sein, nur umgekippt. Wir nehmen das Stahlseil aus der Werkzeugkiste und ziehen das Ding mit unserer Raupe wieder gerade."
"Meinst du, das geht?" fragte Dupond weiter. "Und wie sollen wir das Seil befestigen?"
"Frag mich was Dümmeres!!" schrie Bender, "das sehen wir dann. Steh nicht so blöd rum, bring erst mal die Raupe auf Touren!"
Dupond gehorchte wortlos. Langsam, schwunglos stapfte er zurück und stieg in ihre Planierraupe. Bender sah im ungeduldig nach und versuchte krampfhaft, den Anblick des Messers aus seinem Gehirn zu verscheuchen. Verdammt, dieser Lahmarsch würde ihn noch umbringen!
Der Boden begann unter Benders Füssen zu vibrieren, als der Motor angeworfen wurde - zu hören war im luftleeren Raum natürlich nichts. Das verbeulte Gefährt erschauerte, sträubte sich und setzte sich dann widerstrebend, ruckartig in Bewegung, erklomm schwerfällig den Steilhang, fuhr oben weiter, bis es genau über der Unfallstelle war. Dort blieb es stehen. Die Luke sprang auf, und der Weltraumhelm von Dupond schaute heraus, fragend. "Nimm das Seil und komm raus!" kommandierte Bender, während er selber sich mit langen Sprüngen auf die Unfallstelle zubewegte. Dupond gehorchte wieder. Wenig später näherten sich beide, der eine von oben, der andere von unten, vorsichtig dem verunfallten Raupenfahrzeug. Der Boden war hier fast 45 Grad steil.
Das Stahlseil aus ihrer Ausrüstung war etwa 4 Meter lang und hatte an jedem Ende eine Schlaufe. Es zeigte sich, dass ihr eigenes Fahrzeug hinten einen für solche Zwecke bestimmten Haken hatte, wo man das Seil ohne Probleme einhängen konnte. Hingegen erwies sich die Befestigung an der umgekippten Raupe als wesentlich schwieriger. Das einzige, was sich anzubieten schien, war der Sockel für die Funkantenne, ein runder, gut daumendicker und daumenlanger Aufsatz am Dach. Es war fraglich, ob er die Belastung aushalten würde - aber sobald sie anfingen zu diskutieren, drohten die eisigen Klauen sie wieder zu packen, und so entschieden sie sich ziemlich schnell. Sie benötigten mehrere Versuche, bis sie die Schlinge über die gegen den Boden gerammte Antenne gezogen hatten, aber schliesslich schafften sie es. Und bevor Dupond wieder eine entmutigende Frage stellen konnte, kommandierte ihn Bender ans Steuer der oberen Raupe zurück, in lautem Befehlston, mit dem er vor allem sich selber Mut machte (und den Dupond mit seinem Übersetzer auch gar nicht hören konnte). Bender stellte sich daraufhin so auf, dass er den Unfallort und gleichzeitig Dupond ihn im Auge hatte. Von hier aus begann er zu dirigieren, winkte Dupond, anzufahren. Der tat es, bedächtig; es ging langsam. verärgernd langsam. "Los, los, weiter!" winkte Bender ungeduldig, und dann winkte er wieder: "Halt, vorsichtig!" Die Raupenketten drehten sich, suchten Widerstand, griffen, zogen an. Das Stahlseil begann auf dem Boden zu schleifen. Als es sich mit einem Ruck spannte, ging ein Schauer durch die obere Raupe, die Bewegung kam abrupt zum stehen. "Los, los! Gas geben!" brüllte Bernie (mit den Armen). "Gut so! Weiter!"
Dupond gab Gas. Man hörte natürlich keinerlei Aufbrüllen des Motors, aber man sah, wie die Raupenketten sich anspannten, man ahnte die Kraft, die sie trieb, bis sie durchdrehten. Es ging keinen Millimeter vorwärts. "Mehr! Mehr!" fuchtelte Bernie und behielt die umgekippte Raupe im Auge. Irrte er sich, oder hatte sie eben ein bisschen gewackelt? Nur jetzt nicht nachlassen!
Dupond tat sein Bestes. Der Boden bebte unter Benders Füssen und liess die Steine ringsum in der geringen Schwerkraft meterhohe Sprünge machen. Die Raupenketten drehten durch wie wild, aber sie griffen ins Leere. Gelblicher Staub witbelte wolkenweise vom Boden auf und vernebelte das ganze Umfeld, bis Bender überhaupt nichts mehr sah. Er winkte ab - aber das sah der andere jetzt natürlich nicht mehr. Das Erdbeben - das Steinetanzen - gelber Nebel...
Plötzlich merkte Bender, dass er taumelte. Es war, als hätte ihn ein jäher Windstoss gepackt. Schützend breitete er die Arme aus, als er merkte, dass er fallen würde. Im Zeitlupentempo kippte er hintüber; seine Beine kamen verzögert hinterher und schwebten eine Sekunde lang hoch über ihm - und anschliessend schlug er ein paar würdevolle Purzelbäume, den Steilhang hinab.
 



 
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