Immergrün

Haarkranz

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Immergrün

Ich denke immer an dich, Tante Luise, wenn ich down bin.
Du lagst im Bett, abgezehrt, nur die Augen übergroß und lebendig. Hör zu Inge, sagtest du. Hör mir zu, ich erzähl dir meine Geschichte. Als vademecum, dass es dich aufrichte, wenn du Stärke brauchst.
Das Sterben ging bei uns immer glatt und hurtig. Die letzten 20 Jahre haben nur mich und meine Söhne, Klaus und Edmund, verschont.
Meine Erinnerung ist noch ganz lebendig, wie heute das Damals, als Otto kam und mich zur Frau nahm.
Er kaufte uns das kleine Haus, ein Puppenstubenhaus. Das erste Kind kam auf die Welt, ein Marzipanschweinkind.
Der Schwiegervater kam. Sein weißer Bart hing ihm bis auf die Brust. Er wollte den Enkelsohn sehen. Beim Abschied küsste er Otto. Der schämte sich. Bald darauf starb der Schwiegervater. Bevor der alte Mann verbrannt wurde, schnitt Otto ihm als Andenken, ein Locke aus dem Bart.
Otto wurde Oberlehrer.
Wie die Zeit sich dehnte. Endlose Nachmittage.
Nach vier Jahren waren die Möbel bezahlt. Mit dem Haus hatte es Zeit.
Im Garten, gleich hinter der Küche pfanzte ich alle Sorten Kräuter, Thymian, Rosmarien, Petersilie. Auch Gemüse, Sellerie, Möhren, Lauch, Kohlrabie und Kartoffeln.
Im ersten Jahr viel zu viel von allem. Danach weniger, später noch weniger. Bald wuchs Möhre und Sellerie, Thymian und Rosmarien mit Stiefmütterchen und Löwenzahn wild durcheinander.
Morgens um fünf weckte mich der Schienenzepp. So nannte man den Schnelltriebwagen, wegen seiner Zeppelinform. Pfiff immer an der gleichen Stelle. Der Bahndamm war gleich hinterm Haus. Otto neben mir schlief fest, nichts konnte den stören.
Das Kollegium machte einen Ausflug mit Frauen, da erfuhr ich von dem Mädchen. Nachts im Bett, als Otto neben mir schon schlief, weinte ich.
Otto hatte ein Bild geerbt. Auf dunklem Ölmeer ein sinkendes Kriegsschiff. Drei Mann bis zu den Hüften im Wasser, halten die Reichskriegsflagge hoch. Otto liebte dieses Bild.
Mein zweites Kind war unterwegs. Es dauerte auch neun Monate, kam mir aber kürzer vor, wieder ein Sohn. Später merkte ich, alles ging irgendwie schneller, nicht nur die Zeit der Schwangerschaft. Aufstehen morgens, Frühstück machen, Otto aus dem Haus, Edmund zum Kindergarten, Klaus stillen, trocken legen, küssen, wiegen. Das Essen, die Wohnung, der Garten. Einkellern, einkochen, flicken, stopfen, schmusen, lieben, fensterputzen,Trottoir kehren, Messing blank machen. Große Wäsche, Hausputz. Endlose Stunden, nur die Wochen fühlten sich an wie Tage.
Das Otto starb war nicht zu ändern. Eine Lungenentzündung brauchte zehn Tage. Am achten Tag die Krise, die muss er überstehen, dann hat ers geschafft, versprach der Arzt. Hat nicht sein sollen. Am zehnten Tag stand ich mit den zwei Jungens allein.
Habe Änne, meine unverheiratete Schwester, ins Haus genommen. Die Jungens wurden größer, der Garten wuchs zu. Ringsherum verkrochen sie sich in den Gräbern. Die Mutter, der Vater, der Vetter, die Nichte, der Bruder, ein Nachbar, mein erster Freund.
Der trug eine violette Pennälermütze, beim ersten Kuss schwitzte er auf der Nase.
Von seinem Tod erfuhr ich aus der Zeitung. Eine Anzeige mit dem eisernen Kreuz. Auf dem Felde der Ehre. Auch mit ihm wäre ich Witwe geworden.
Wir hatten eine endlos schöne Zeit. Bis er nach Bonn musste, studieren. Noch heute, steht er mir wie am ersten Tag vor Augen. So jungenhaft wie ich ihn sehe, kann er nicht mehr gewesen sein. Als Mann bin ich ihm nie begegnet.
Sie verschweigen mir das es Krebs ist, aber niemand täuscht mich. Zuviele sind schon so gestorben. Zuviele hab ich schon besucht. Lass dir nichts anmerken. Sie weiß nicht das es zu Ende geht. Schwere Bronchitis. Also geh rein und sei vorsichtig, lächle.
Wie sie an meinem Bett sitzen, meine Söhne. Leere Gesichter. Mach‘s uns nicht so schwer Mutter im Kopf, meine Hände halten und mich belügen. Wird schon wieder werden. Später, Gott sei Dank, sie hatt es geschafft, war hoffnungslos.
Aus dem Spiegel grinst einTotenkopf, mein Gesicht, das ich geschminkt habe, das geküsst wurde, das lachte, weinte, sang und jetzt stirbt.
Die wollen mich verbrennen. Ist mir nicht recht. Aber Otto hat das so abgeschlossen.
Die Gräber sind so klein, kiesbestreut, überfüllt. Kein Platz für Blumen, keine Bank, kein schützender Strauch. Nicht als öde Grabstein Geometrie. Im Hintergrund der Ofen. Montags und donnerstags schwarzer Qualm. Immer zu Fünft in die Flammen. Laufen noch rum, oder warten noch, wie ich. Kenn keinen von meinen Feuergenossen. Wie lange man wartet bis fünf beisammen sind? Manchmal gar nicht, manchmal länger.
Habe schon oft beerdigt, weiß Bescheid.
Ich will ein Grab, schlank, kühl, für mich allein. Ein Schlafzimmer wie ich es immer haben wollte. Ganz still. Kein fünf Uhr Pfiff vom Bahndamm. Blumen und eine Bank.
Ob die Versicherung mitmacht? Ein Vierteljahrhundert bezahlt, um zuletzt noch von denen betrogen zu werden. Wer soll sonst die Kosten übernehmen? Meine Söhne? Klaus zahlt noch sein Auto ab.
Wenn sie es nur versprechen würden. So wie sie mir meine Krankheit schön lügen.
Wär schon gut. Glauben daran müsst ich können, genügte. Nur nicht in den Ofen. Nicht zu Asche brennen. Nicht in die Urne. Wer weiß denn, welche Asche wer war?
Man kennt das ja.
Otto war überzeugt. Sein Glück, dass er alles nicht mehr erleben musste. Otto war Idealist, von ganzem Herzen Idealist.
Wie oft hat er die Jungs vor das Marinebild im Wohnzimmer geführt, sich begeistert am Heldentod. Die Fahne Jungs, die Fahne ist das Höchste. Für die Fahne sterben dürfen, ist höchste Mannestugend. Tränen standen ihm in den Augen.
Hat ja 14/18 im dicksten Schlamassel gelegen. Vier Jahre im Dreck. Dann das bittre Ende.
Die Jungs sind garnicht nach ihm geschlagen. Kein Fünkchen Idealismus, nichts Völkisches.
Zerbrochen hat es die Menschen. Der Kaiser geht stiften, und sie, die im Stich gelassenen Frontsoldaten, mussten sich von Dreigroschenjungs kujonieren lassen.
Otto hat mir erzählt, wie dunkel es in ihm aussah, wenn er an Deutschland dachte.
Anstellung konnte er auch nicht finden.
Aber dann, nach dem Zweifel, der Niedertracht, dem Diktat von Versailles, fremde Truppen in Essen, in Duisburg, überall. Vom Bürgersteig musste man runter, wenn ein Besatzungssoldat dort ging. Auch Frauen.
Aber dann die Feldherrnhalle. Den Tag erinnere ich, als ob es gestern gewesen wäre. Otto kam, die Zeitung in der Hand schwenkend gerannt, und rief schon von weitem:
„Luise, Luise, es gibt wieder Männer in Deutschland!“ Er riss mich in die Arme, Tränen strömten ihm aus den Augen, durch und durch Idealist der er war.
Morgen frag ich den Doktor, wie es wirklich um mich bestellt ist. Wieviel Zeit ich noch habe.
Keine Ausflüchte und Butter beim Fisch. Das kann ich verlangen. Hab zwei Kinder auf die Welt gebracht, den Mann verloren, den Glauben. Im Krieg an der Heimatfront meinen Mann gestanden. Als Luftschutzwartin fast hundert Terrorangriffen überlebt.
Keine falsche Scham, ich vertrage die Wahrheit, die ganze. Ich hab noch einiges zu regeln, Herr Doktor, werd ich ihm sagen. Bitte keine Ausflüchte.
Die Jungs stell ich einfach vor die Entscheidung, ein richtiges Grab, oder ich behalt mir weiteres vor! Frist bis nächsten Mittwoch, das sind noch sieben Tage. Alles schriftlich notariell, sollen sie die Kosten doch tragen. Ihre Mutter ins Feuer stoßen. Ohne Notar geht nichts. Denen glaub ich kein Wort. Kein Fünkchen von Ihrem Vater haben die.
Vater war doch Nazi, Luise. Luise, zu mir ihrer Mutter. Wenn ich mir vorstelle, ich zu meiner Mutter Walburga, nicht auszudenken.
Aber ich werde`es ihnen heimzahlen, von uns leben, so denken die sich das. Von unserem Schweiß. Otto, ich lass es nicht zu.
Vater war doch Nazi, so wegwerfend. Aber ich: Nationalsozialist war euer Vater. Deutscher, Patriot, Frontkämpfer, Idealist! Ihr kleinen Geister, Pimpfe!
Morgen sprech ich mit dem Arzt, und dann krieg ich ein Grab. Keine Urne, keine Gräbergeometrie, nicht mit Fünfen in den Ofen. Eine Bank krieg ich, einen Strauch, Blumen und Kränze, die halten zwei Wochen. Efeu will ich auf`s Grab. Efeu und Immergrün.
 



 
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