Liebe Mara,
wieder ein wunderschönes Sonett, geradlinig aber nicht banal, voller bekannter Bilder und dennoch frisch, formschön und leichtfüßig - wie machst du das nur?!?
Schon das Wort "Immerschlüssel" verdient einen Sonderapplaus.
Bei
Ach ich bin solcher Wege oft gegangen
stockte ich zunächst. Ich habe zwar eine Schwäche für das Wort "Ach", aber der Genitiv hat micht kurz verwirrt, ich habe bisher nur "seines Weges gehen" gehört. Aber da eröffnet sich auch der Sinn deiner Konstruktion: Wenn man "einen Weg (entlang-)geht", kann das ein beliebiger, zufälliger Weg sein - aber wenn man "eines Weges geht", ist das ein bestimmter, irgendeine Bedeutung für den Protagonisten besitzender Weg. Das ist zumindest meine Intuition (aber vielleicht interpretiere ich auch zuviel).
ins Bunt [blue]ins Weit[/blue] ins namenlose Schöne
und hab gehofft dass ich mich so versöhne
mit Traurigkeiten die in mir [blue]gefangen[/blue]
Wunderbar hier der Kontrast zwischen dem Streben des Lyri ins Weite (=Unbegrenzte) und den im Lyri gefangenen (=begrenzten) Traurigkeiten.
und noch von Täuschungen und Schmerz benommen
Nach meinem Gefühl holpert es hier. Besser fände ich:
und noch von Schmerz und Täuschungen benommen
Das hier:
entzog ich mich und tat als ob ich schliefe
ist meine Lieblingszeile: Großartig! Tun als ob man schläft, 1. um weiteren schmerzhaften Angriffen des Schicksals zu entkommen (so wie ein Beutetier sich totstellt), 2. klingt eine leise Todessehnsucht an (oder zumindest eine Sehnsucht nach dem Verlust des Empfindens), 3. ein Aufgeben des Ichs, verursacht durch Schmerz, 4. vielleicht ein Traumleben führen? Ein sehr gelungener Abschluss für zwei kluge Strophen.
auch führte mich manch Straße [blue]in die Tiefe[/blue]
[...] [blue]die Sonne stieg[/blue]
Auch hier wieder ein schöner Kontrast, passend als Auftakt zu den Terzetten.
die [blue]Blu[/blue]men [blue]blü[/blue]hten [blue]wil[/blue]der
Klanglich wunderbar.
Gespinnste rahmten manches Sommerbeet
mein Herz pulsierte oft:“es ist schon spät“
Mich stört Beet/spät nicht. Sehr berührende Verse.
erst mit den Jahren - die Gedanken milder
Hier habe ich zuerst gedacht: Warum nicht "doch mit den Jahren...", denn obwohl das Herz ja meint, es sei spät, kommt mit dem Alter etwas positives, die Erkenntnis. Aber dann habe ich nochmal genauer gelesen: In Wirklichkeit
IST es im ersten Terzett ja noch gar nicht wirklich spät, denn die Sonne "stieg", und es gab "Sommerbeete", also es geht um die Blütezeit des Lebens. Im zweiten Terzett hingegen
IST es tatsächlich spät, aber paradoxerweise klagt das Herz gerade zu diesem Zeitpunkt nicht, sondern hat sich beruhigt.
hab ich geahnt das Glück ist jetzt und hier
den Schlüssel trug ich immer schon in mir.
Schön, dass du das Reimmuster so gewählt hast - bei den Terzetten hat man ja verschiedene Möglichkeiten. So aber erinnert es an einen Shakespeare-Couplet und bildet einen Abschluss, einen Punkt, der den Inhalt unterstreicht: Die Suche ist vorbei.
Jetzt, wo ich geschrieben habe, sind mir noch ganz viele Dinge aufgefallen, die ich beim ersten oder zweiten Lesen gar nicht bewusst bemerkt habe.
Klasse!
Lg presque