Imperium

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lietzensee

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Imperium​

Er betrachtete ihre verfilzten Scheitel und ließ sie warten. Eine Weile blickte Marcus auf die paar Giebel, die sie ihre Stadt nannten, die aber in Wahrheit nur eine schlammige Ansammlung von Erdhütten darstellten. Dieses Land hatte Potential. Er würde sich hier nach dem Militärdienst zur Ruhe lassen, eine steinerne Villa bauen und Plantagen anlegen. Der Boden war erstaunlich fruchtbar. Wald wucherte so üppig wie nirgendwo sonst. Aber man musste den Wald roden und die Wilden erziehen. Marcus lächelte. Das war die Bürde, die das Imperium sich auferlegt hatte. Sie war notwendig für das Wohl aller. Schließlich spreizte er seinen Finger und erlaubte den Wilden, sich von ihren Knien zu erheben. Ehrfürchtig überreichten sie ihm einen blassgrünen Zweig. Dann verschwanden sie zwischen den Bäumen. Mit seinen Soldaten marschierte Marcus zurück in ihr Fort.
Das Fort hatte er gleich nach ihrer Ankunft errichten lassen. Eine Palisade aus Holz, Zelte für die Mannschaften und die wichtigsten Annehmlichkeiten für ihn und seinen ersten Offizier. Marcus lehnte sich in den Polstersessel zurück und seufzte. "Ich bin zufrieden", ließ er den Offizier wissen. Der Umgang mit den Wilden war anstrengend. Sie redeten über Gnome und Wurzeln, anstatt sich an die Protokolle der Diplomatie zu halten. Doch er war zu ihnen durchgedrungen. Sie hatten ihre Knie vor ihm gebeugt.
"Vielleicht sollten sie kritischer sein", antwortete der Offizier mit einer Direktheit, die gerade noch statthaft war. Marcus hatte dies bei ihm schon öfter beobachtet. Trotzdem gab er ein Zeichen, dass der andere sprechen sollte. "Sie, Herr Marcus, verzeihen sie die Beobachtung, haben gelächelt. Das gilt unter diesen Eingeborenen als Zeichen der Schwäche." Gerne ließ der Offizier durchblicken, dass er die lokalen Sitten kannte. Das war allerdings manchmal nützlich. "Außerdem", fuhr der Offizier fort, "war der überreichte Zweig eine Mistel."
"Und?", Marcus wurde unwillig. Er hatte keine Lust, sich auch noch mit Botanik zu beschäftigen.
Der Offizier blickte auf den einsetzenden Regen vor dem Zelteingang. "Die Mistel ist ein Parasit. Sie saugt den Saft aus für Eingeborene heiligen Bäumen."
"Was soll ich tun?"
"Sie werden nicht umhinkommen, ihr Missfallen zu zeigen."

Der Offizier hatte recht gehabt. Das erkannte Marcus sofort, als er mit zehn Legionären wieder auf dem Platz des Weilers stand und die Blicke der Wilden sah. Ihre Augen glommen verstockt. Ihre Hütten waren aus Schlamm. Ihre Felder waren winzig und ihr Verstand verquast mit Aberglauben über heilige Bäume. Kein Pantheon, nicht mal ein Gott im Himmel, nein, es waren Bäume, die sie fürchteten. Ein primitives Volk, dachte Marcus, wusste aber, dass nun nicht die Zeit war, um die Gedanken schweifen zu lassen. Immer mehr Männer traten aus den Laubschatten hervor und bald standen zwanzig Wilde seinen zehn Legionären gegenüber. Doch glänzten deren Schwertknäufe, während die Wilden nur Dolche trugen und nach Schweinemist stanken. Ein dürrer, weißhaariger Mann trat aus ihrer Mitte hervor.
"Warum habt ihr eine Mistel überreicht?", fragte Marcus. Alle Blicke lagen auf ihm. Sein Herz begann, schneller zu schlagen.
"Mistel?", fragte der weißhaarige Alte, so als verstünde er die Frage nicht. Marcus gab ein Zeichen. Darauf schlugen zehn Legionäre mit ihren Schwertern zu. Blut spritzte und Marcus wartete, bis das Schreien der Frauen sich beruhigt hatte. Dann ließ er den Alten erneut vor sich schleifen. Er spreizte den Finger und sofort sackte der alte Mann auf seine Knie. Warum waren sie so widerspenstig? Marcus hatte ja gesehen, dass Wilde lernfähig waren. Sie konnten große Felder anlegen, Häuser aus Stein bauen und Sklaven halten. Aber zuerst musste man ihnen offensichtlich den Aberglauben austreiben. Er erinnerte sich, was der General vor seiner Abreise gesagt hatte: Du glaubst, dass diese Aufgabe zu leicht ist, Marcus. Ich aber zweifle, ob sie nicht zu schwer für dich sein wird. Der Vorgesetzte hatte ihn merkwürdig angesehen, bevor er den Finger gespreizt und Marcus die Erlaubnis zum Erheben gegeben hatte. Nun zögerte er nicht lange. Er ließ die Hütten niederbrennen. Anstatt eine fahlgrünen Mistel brachten man ihm darauf einen Buchenzweig. Es war fast schon ein Ast und einer der Mannschaften würde ihn zurück ins Fort tragen müssen. Eine Weile lauschte er, wie Regen im Glutbett der brennenden Häuser zischte. Dann hatte Marcus genug. Mit dem kleinen Finger hieß er den Alten, aufzustehen.

"Zwei Legionäre mussten den Ast tragen", sagte Marcus dann zufrieden, als er sich in seinem Sessel zurückgelehnt hatte. Der Ehre des Imperiums war Genüge getan worden. Die Häuser würde er wieder aufbauen lassen und anordnen, dass zumindest ihr Fundament aus Stein zu setzen war. So funktionierte der Fortschritt, stückweise. "Jedenfalls haben sie jetzt gelernt, was die höchste Autorität ist."
"Sie haben gewiss gelernt, doch muss man Geduld mit ihnen haben", sprach der Offizier und zögerte. "Sie fürchten ihre heiligen Bäume." Er schüttelte den Kopf in einer Art, die fast schon respektlos war. Dann blickte er aus der Zeltöffnung. "Es wird wohl wieder Regen geben."
Irgendwann, das begriff Marcus, würde er etwas gegen die kleinen Frechheiten des Offiziers unternehmen müssen. Das würde unangenehm werden, weil dieser ihm ja viel Arbeit abnahm. Fast mochte er seine Direktheit auch. Doch im Dienst konnte er darauf keine Rücksicht nehmen. Nachdenklich blickte er aus seinem Sessel nach draußen. Recht hatte der Offizier zumindest. Es zog wirklich wieder Regen auf.

Die Dorfbewohner ließ Marcus Steine für neue Fundamente heran wälzen. Seine Legionäre beschäftigte er damit, den schmalen Weg zum Dorf zu erweitern, damit zukünftige Expeditionen es leichter erreichen konnten. Sie bahnten einen breiten Weg, vor dessen Benutzung die Wilden sich aber kindisch fürchteten. Wenn der Offizier ihm Bericht über den Fortschritt der Arbeiten gab, hatte Marcus immer viel Zeit zum Grübeln. War er zu nachgiebig? Streitereien waren ihm unangenehm, aber Nachgiebigkeit war eine Sünde gegen das Imperium. Er prüfte sich. Er prüfte die Art, wie der Offizier keck seinen Mantel zurückschlug, während er über die Baufortschritte im Dorf berichtete. Dann entschied Marcus, dass er mehr Stärke zeigen würde. Der Auftrag hier war ein Sprungbrett, auf das größere Aufgaben folgen konnten. Er durfte nicht schwach sein und nach dem Ende dieser Mission würde er den Offizier öffentlich wegen Respektlosigkeit auspeitschen lassen.

Schließlich kam der Tag, an dem es Zeit war, in das große Winterlager des Heeres zurückzuziehen. Zurück unter die Flaumfedern des Adlers, wie die Legionäre es nannten, wenn sie Marcus außer Hörweite glaubten. Persönlich gefiel ihm dieser Ausdruck gut. Ein letztes Mal ließ er die Wilden vor ihre Hütten treten. Ihre Einwohnerzahl war deutlich gewachsen. Die neuen Giebel ihrer Häuser waren ordentlich gedeckt und bereit für den Winter. Sie knieten. Er ließ sie aufstehen und sah, dass aus den hinteren Reihen ein kleines, dreckiges Mädchen auf ihn zugerannt kam. Es trug einen Eschenzweig in der Hand, warf sich auf die Knie und hielt sein Geschenk dann zu Marcus hoch. Marcus lächelte. Diesen Luxus könnte er sich nun gönnen. Sie waren doch lernfähig, die Wilden. Vergnügt wischte er sich den Mund. "Ein Zweig von einem heiligen Baum?", fragte er zwinkernd, obwohl das Mädchen natürlich kaum die Sprache des Imperiums beherrschen konnte.
"Nein, dafür sind die Bäume viel zu heilig." Vertrauensvoll sah das Mädchen Marcus an. Alle anderen starrten erschrocken auf ihn. Die Legionäre setzten ihr durchnässtes Marschgepäck ab. Die Muskeln der Wilden spannten sich und der Offizier hob beschwichtigend die Hand. Er gab dem Kind eine Ohrfeige, die es zu Boden warf. "Abmarsch", rief er dann. Doch war dies keine Lösung für das Problem. Im Gegenteil, Abmarsch zu rufen, das stand nur Marcus selber zu.
"Wo ist euer heiliger Baum?", fragte Marcus laut.
"Sehr viele Bäume sind heilig", antwortete das Kind.
Es war nur ein kleines Mädchen und kam aus einem winzigen Dorf in einer abgelegenen Region, nur eine von vielen, die das Imperium eroberte. Doch war es ein wunder Punkt des Imperiums, dass es jede einzelne Region nur solange beherrschte, wie es alle anderen beherrschen konnte. Aufruhr verbreitete sich wie Lauffeuer. Er fraß sich durch jede Region und in jedes Dorf und in jedes kleine Mädchen. Hatte Marcus wirklich zu viel gelächelt? Für Reue war es nun zu spät. Er begann zu schwitzen und griff das Kind beim Arm. "Du musst mir den nächsten heiligen Baum zeigen." Die Wilden begannen zu tuscheln. Er würde sie erschlagen lassen und die neu gebauten Hütten niederbrennen.
Ohne zu zögern, zeigte das Kind auf einen Birkenschössling gleich neben ihnen. Alle Blicke ruhten auf Marcus. Dieser konnte sich ein Lachen nur halb verkneifen. Ein dünnes Bäumchen - was für eine jämmerliche Sache doch die Heiligkeit unter diesen Wilden war. Er zog sein Schwert aus der vergoldeten Scheide. Die Legionäre drängten sich zusammen. Die Wilden wurden unruhig. Blickten sie etwa in den Himmel hinauf? Nein, sie starrten in die Baumkronen.
Nun schien die Luft feucht, als läge ein weiterer Schauer in der Luft. Der Offizier trat vor. "Herr ...", er öffnete den Mund, fummelte dabei aber an seinem Mantel. Marcus erstach ihn mit dem Schwert. Bedauerlich, dass es auf diese Weise geschehen musste. Die blutbeschmierte Klinge hob er dann gegen die Birke. Sein Herz schlug schneller. Er wollte Schwung holen und stolperte über eine Wurzel.
Er fiel. Der Boden war weich vom Regen und sein Körper sank ein. Hinter sich hörte er Schreie. Doch konnte er seinen Kopf nicht drehen. Dünne Wurzeln wanden sich um seine Glieder. Er öffnete den Mund. Statt um Hilfe zu rufen, schluckte er nasse Erde. Die Wurzeln zerrten an ihm. Immer fester umschlangen sie seinen Körper. Erstaunt fühlte Marcus sich hilflos. Die Wurzeln beugten seine Knie und brachen sie entzwei.
 

Klaus K.

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lietzensee,

heute wird man nicht mehr von Mistelzweigen oder Wurzeln erdrückt, eher von der künstlich geschaffenen Macht der Umstände. Sic transit gloria mundi.
Eine Story, die dankenswerterweise völlig dem Genre entspricht, vom Spannungsbogen bis zum (unerwarteten) Ende. Und dabei auf die billigen Würzmischungen des feuchtigkeitstriefenden Sex und dessen Abarten auskommt. Das kann nicht jeder, da könnten einige von dir etwas lernen, bevor sie ihre dubiosen Erfahrungen hier präsentieren. Und das dann lieber möglichst platt, als feinsinnig und unausgesprochen zwischen den Zeilen.
Oh Centurio, dein Text, der macht uns hoffnungsfroh! Mit Gruß, Klaus
 

Klaus K.

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Ich bitte um Nachsicht! Vor lauter Begeisterung ist mir oben das "ohne" durchgerutscht.
Selbstverständlich muss es im letzten Absatz heißen "Und dabei OHNE die billigen...", das "auf" muss weg. Sorry, Klaus
 

lietzensee

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Hallo Petra,
vielen Dank für deine Antwort. Freut mich, dass du beim lesen Freude hattest. Mit ein bisschen Abstand wäre der Text vielleicht auch ohne übernatürliches Ende ausgekommen. Aber diese mörderischen Pflanzen in der Provinz waren tatsächlich der Anfang, von dem aus sich die Geschichte entwickelt hat.

Hallo Klaus,
vielen Dank für deine Antwort und deine Bewertung. Ich fühle mich geehrt, dass du mein Handwerk so lobst. Plattes versuche ich wirklich immer zu vermeiden.

Viele Grüße und einen schönen Abend
lietzensee
 



 
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