in den nächten

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wüstenrose

Mitglied
Hallo Herbert,
dein Gedicht finde ich sehr stark!
Die Hingabe, die Trunkenheit, der Tanz - das ist gleichzeitig ein Seinszustand, in dem sich Inhalte zu nichts verflüchtigen. So ungefähr weht es mich aus deinem Gedicht an. Aber das sagen deine Zeilen natürlich schöner und unaufdringlicher.
Mit jedem neuen Lesen grüble ich über das Schlussbild:
die krusten der zeit
So richtig greifbar wird das Bild für mich nicht. Mit einer Kruste verbinde ich das, was etwas umschließt oder abdeckt.

und nichts bleibt von dem
was die Zeit umschließt


Das soll kein Veränderungsvorschlag sein, sondern ich versuche, ob ich es so lesen könnte. Frage mich dann auch, was für die Verwendung der Mehrzahl (krusten) spricht.

und nichts bleibt
vom Gerüst der Zeit


(ein weiterer Leseversuch)
...und nichts bleibt von dem, was die Zeit, was das Leben zusammen hält.
Beim verwendeten Schlussbild bleibe ich etwas ratlos; ich finde die krusten der zeit sprachlich reizvoll, gleichzeitig werde ich an dieser Stelle ein Gefühl von "Unschärfe" nicht los.

Vielleicht wirkt das Bild auf andere Leser ohne Weiteres rund und stimmig? Das würde mich interessieren.

lg wüstenrose
 

Label

Mitglied
Lieber Herbert

das gefällt mir sehr gut

erstaunlich was in diesen wenigen Worten alles mitschwingt
besonders gut gefallen mir die Krusten der Zeit

Dein Gedicht provoziert bei mir die verschiedensten Bilder - das, das mir am Eindrücklichsten geblieben ist - eine Altersheimszene

liebe Grüße
Label
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Wüstenrose,

hier ist Krusten wohl eher als Verkrustungen zu lesen, aber dieses Wortungetüm wollte ich dem Gedicht nicht antun. Alles was durch die Zeit Krusten bekam, verschwindet in diesen Nächten des Tanzes. Kannst Du Dich damit eventuell "anfreunden"?

Danke für Deine lobenden Worte.

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Label,

auch Dir Dank für Deinen Kommentar und die Super-Wertung.

Die verschiedenen Assoziationsmöglichkeiten, die für Dich mitschwingen, sind natürlich ein Sahnehäuptchen :)

Mit der Assoziation des Altersheims bist Du auf einer interessanten Fährte.

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Oliver, liebe Andraika,

auch Euch beiden ein herzliches Dankeschön für die guten Wertungen.

Liebe Grüße

Herbert
 

ENachtigall

Mitglied
Lieber Herbert!

Das Gedicht besticht - neben all den Stärken, die schon genannt wurden - auch dadurch, dass es wie ein Rückblick formuliert ist, aber doch im Präsens steht. Mir ist das erst nach mehrmaligem Lesen richtig bewusst geworden. Vielleicht ist es das Blitzen der Lichter, das Linoleum, es verströmt einen Hauch von Nostalgie. Vielleicht bin aber auch nur ich einer Täuschung erlegen.
Die Krusten der Zeit, sehe ich als die Verhärtungen; das ernster werden mit den Jahren.
Durch die versetzten Zeilen gewinnt es auch optisch beschwingte Leichtigkeit.

Grüße von Elke
 

wüstenrose

Mitglied
Lieber Herbert,
danke für deine Antwort! Dadurch sah / las ich dein Gedicht plötzlich noch mal mit ganz anderen Augen und die "krusten der zeit" fand ich dann auf Anhieb stimmig / gut verständlich.

Finde es spannend, dass ich beim ersten Lesen spontan wohl eine ganz andere Lesart gewählt habe, als diejenige, welche vermutlich dir die naheliegendste schien.

Ich beschreibe nochmal kurz meine ursprüngliches Leseerlebnis auf etwas "barocke" Weise:
in vollen Zügen, intensiv gelebt und vielleicht gerade im Moment des selbstvergessenen Sich-Drehens und Tanzens wird das LyrI der Endlichkeit und Nichtigkeit gewahr, welche alle Fülle des Lebens bald auslöschen wird.
In diesem Zusammenhang konnte ich dann nicht so recht den Bogen zu den "krusten der zeit" schlagen.
Trotzdem: ich finde, es lässt sich auch in die Richtung, wie von mir beschrieben, lesen und es entfaltet dabei einen starken Reiz, der mich richtig gepackt hat!

lg wüstenrose
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Elke,

du hast völlig recht. Das Spiel von Gegenwart und Vergangenheit ist wichtig für das Gedicht. Linoleum ist nicht gerade ein aktuelles Modewort, wer in ist, tanzt vielleicht auch nicht auf Sohlen, sondern auf nackten Füßen. Es ist sicherlich nicht das Gedicht eines Jugendlichen. Nostalgie ist vielleicht ein wenig stark. Es ist vielleicht am ehestens eine Art, durch das Tanzen die Vergangenheit abzuwerfen.

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Wüstenrose,

du hast schon richtig gelesen bei dem ersten Mal: Es geht auch um Selbstvergessenheit, um Schwerelosigkeit beim ausgelassenen Tanz. Das, was sonst vielleicht bedrückt - die Vergangenheit, die Jahre, die Verhärtungen im Laufe des Lebens - wird davongewischt und kaum noch wichtig in diesem Tanzen.

Liebe Grüße

Herbert
 



 
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