"Alt bin ich geworden ... nicht mehr in der Lage, über die Stränge zu schlagen." Paul seufzte, während wir in unserer kleinen Teeküche der Kaffeemaschine beim Aufbrühen zuschauten.
"Du Ärmster," erwiderte ich spöttisch.
"Nein, im Ernst! Am Wochenende wollte ich mich mit Wodka und Slibowitz volllaufen lassen, in einen 'die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand' versetzen und bei meiner Nachbarin anläuten. Nichts zu machen, einfach umgekippt und eingeschlafen. Oder zu Weihnachten - ich hab dir ja erzählt, dass ich bei meiner Schwester eingeladen war. Damit das nicht wieder vorkommt, wollte ich ihr und ihrem Mann den ganzen Kartoffelsalat wegessen. Und den Kinder alle Weihnachtskekse. Früher wäre das ein Leichtes gewesen, heute wird mir schlecht, der Bauch wird eine Kugel und die Magensäure kriecht bis zum Zäpfchen."
"Und was ist mit Drogen?"
"Die müssen leider bis zur Pension warten. - Ich dachte, du würdest mich jetzt nach Sex fragen. Da zeigt sich nämlich dasselbe Problem. Sex ja, aber keine Wollust. Iris ist ja süß und auch gar nicht verkorkst, aber die Wollust fehlt, die ekstatische Unterwerfung der Feindin, sozusagen. Verstehst du?"
"Wollust und Völlerei also ... mmh."
"Ja, genau! So wie früher eben. Ich bin doch noch nicht so alt. Das kann doch nicht alles vorbei sein."
"Vielleicht bist du einfach vernünftig und maßvoll geworden. War schon bei den alten Griechen und Römern eine Tugend, die Temperantia. Ist wahrscheinlich auch gesünder als die Fresserei und Sauferei. Meinst du nicht? Von der Hurerei ganz zu schweigen."
"Du verstehst mich nicht!" Paul schüttelte unwillig den Kopf. "Du machst aus einem Exzess einen Dauerzustand. Du hängst eine 'erei' an und degradierst mich zum Säufer, zum Fresser und Sexsüchtigen. Du weißt genau, dass das nicht stimmt."
"Dann sag mir, worum es geht."
"Ich will wieder ein Bacchanal feiern, eine Karnevalsnacht, meine privaten Saturnalien mit allem Drum und Dran! Es geht um den Ausnahmezustand. Wenn der nicht mehr möglich ist, kann ich mich gleich ins Grab legen."
"Jetzt übertreib nicht so."
"Doch! Denn genau darum geht's ja: um die Übertreibung, das Entgleisen, das Ausrasten aus den Gewohnheiten, aus den wohltemperierten Zuständen, den kultivierten Verhältnissen. Ist dir das denn nie ein Bedürfnis?!"
"Mir? Ich weiß nicht ... ich hab mich einmal an Muscheln überessen, vor Jahren in Amalfi. - Der Körper will halt keine Übertreibungen. Er ist ein Spaßverderber. Manchmal macht er nur zum Schein mit, notiert aber alles in seinem Tagebuch, Vielleicht müsstest du mehr üben oder ... keine Ahnung. Vielleicht ist auch dein Geist nicht mehr ganz bei der Sache. Die Bedürfnisse ändern sich ja im Laufe des Lebens."
"Aber gerade hab ich doch über meine Bedürfnisse gesprochen! Versuch jetzt nicht, sie in Frage zu stellen oder zu zerreden. Ihr Frauen tut das besonders gern. - Ich weigere mich zu akzeptieren, dass ich in meinem Alter alle Lust der Mäßigung opfern soll. Diese rauschhaften Feste der Vergangenheit hatten ja einen Sinn, sogar einen kollektiven Nutzen. Wenn man befristet die Selbstkontrolle verlieren und dem Exzess frönen darf, ist man nachher wieder ein gesitteter Mensch und Bürger."
"Ach Gott, Paul. Da stehen wir in unserer Teeküche, aber statt Tee zu kochen, schauen wir der Kaffeemaschine bei der Herstellung eines höllisch starken Gebräus zu. Ich werde die halbe Nacht herumwandern. Wenn das kein Exzess ist! Komm, wir müssen wieder an die Arbeit."
"Du Ärmster," erwiderte ich spöttisch.
"Nein, im Ernst! Am Wochenende wollte ich mich mit Wodka und Slibowitz volllaufen lassen, in einen 'die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand' versetzen und bei meiner Nachbarin anläuten. Nichts zu machen, einfach umgekippt und eingeschlafen. Oder zu Weihnachten - ich hab dir ja erzählt, dass ich bei meiner Schwester eingeladen war. Damit das nicht wieder vorkommt, wollte ich ihr und ihrem Mann den ganzen Kartoffelsalat wegessen. Und den Kinder alle Weihnachtskekse. Früher wäre das ein Leichtes gewesen, heute wird mir schlecht, der Bauch wird eine Kugel und die Magensäure kriecht bis zum Zäpfchen."
"Und was ist mit Drogen?"
"Die müssen leider bis zur Pension warten. - Ich dachte, du würdest mich jetzt nach Sex fragen. Da zeigt sich nämlich dasselbe Problem. Sex ja, aber keine Wollust. Iris ist ja süß und auch gar nicht verkorkst, aber die Wollust fehlt, die ekstatische Unterwerfung der Feindin, sozusagen. Verstehst du?"
"Wollust und Völlerei also ... mmh."
"Ja, genau! So wie früher eben. Ich bin doch noch nicht so alt. Das kann doch nicht alles vorbei sein."
"Vielleicht bist du einfach vernünftig und maßvoll geworden. War schon bei den alten Griechen und Römern eine Tugend, die Temperantia. Ist wahrscheinlich auch gesünder als die Fresserei und Sauferei. Meinst du nicht? Von der Hurerei ganz zu schweigen."
"Du verstehst mich nicht!" Paul schüttelte unwillig den Kopf. "Du machst aus einem Exzess einen Dauerzustand. Du hängst eine 'erei' an und degradierst mich zum Säufer, zum Fresser und Sexsüchtigen. Du weißt genau, dass das nicht stimmt."
"Dann sag mir, worum es geht."
"Ich will wieder ein Bacchanal feiern, eine Karnevalsnacht, meine privaten Saturnalien mit allem Drum und Dran! Es geht um den Ausnahmezustand. Wenn der nicht mehr möglich ist, kann ich mich gleich ins Grab legen."
"Jetzt übertreib nicht so."
"Doch! Denn genau darum geht's ja: um die Übertreibung, das Entgleisen, das Ausrasten aus den Gewohnheiten, aus den wohltemperierten Zuständen, den kultivierten Verhältnissen. Ist dir das denn nie ein Bedürfnis?!"
"Mir? Ich weiß nicht ... ich hab mich einmal an Muscheln überessen, vor Jahren in Amalfi. - Der Körper will halt keine Übertreibungen. Er ist ein Spaßverderber. Manchmal macht er nur zum Schein mit, notiert aber alles in seinem Tagebuch, Vielleicht müsstest du mehr üben oder ... keine Ahnung. Vielleicht ist auch dein Geist nicht mehr ganz bei der Sache. Die Bedürfnisse ändern sich ja im Laufe des Lebens."
"Aber gerade hab ich doch über meine Bedürfnisse gesprochen! Versuch jetzt nicht, sie in Frage zu stellen oder zu zerreden. Ihr Frauen tut das besonders gern. - Ich weigere mich zu akzeptieren, dass ich in meinem Alter alle Lust der Mäßigung opfern soll. Diese rauschhaften Feste der Vergangenheit hatten ja einen Sinn, sogar einen kollektiven Nutzen. Wenn man befristet die Selbstkontrolle verlieren und dem Exzess frönen darf, ist man nachher wieder ein gesitteter Mensch und Bürger."
"Ach Gott, Paul. Da stehen wir in unserer Teeküche, aber statt Tee zu kochen, schauen wir der Kaffeemaschine bei der Herstellung eines höllisch starken Gebräus zu. Ich werde die halbe Nacht herumwandern. Wenn das kein Exzess ist! Komm, wir müssen wieder an die Arbeit."