In eigener Mission auf See
8. Teil
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Am späten Nachmittag ging das Forschungsschiff >Blue Sea< an ihrem Stammplatz in der Bucht vor Anker. Die beiden Wissenschaftler der Forschungsstation kamen mit dem kleinen Zodiac zum Schiff, wo sie herzlich von ihren Kollegen begrüßt wurden.8. Teil
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Zum Abendessen fanden sich alle in der Messe an Bord ein. Ralfs Freunde schoben ihm demonstrativ ein weiches Kissen unter, kurz bevor er auf dem Stuhl Platz nahm.
„Vollidioten, es waren doch nur ein paar Splitter“, kommentierte er grinsend. Doch schnell wurde er wieder ernst und stellte die Frage, die jedem auf dem Herzen lag. „Hat schon einer von euch was gehört, wie es Steffen geht?“
Sofort herrschte betroffene Stille.
„Noch nichts Genaues“, antwortete Jens schließlich nur leise. „Die letzte Meldung lautete, dass er stabil sei und ins Militärkrankenhaus geflogen wird. Sie wollen uns weiter auf dem Laufenden halten.“
„Gut, dann schlage ich vor, wir stoßen auf Steffen an.“ Claus stand auf und reichte jedem in der Runde ein Glas mit Sekt, der eigentlich dafür gedacht war, ihren Sieg zu feiern. Doch das jetzt war wichtiger. Alle erhoben sich von ihren Plätzen.
„Auf Steffen, unser Steinadler, dass er bald wieder seine Kreise mit uns gemeinsam am Himmel ziehen kann“, sagte Pitt und alle stießen darauf an.
Diese Nacht verbrachten sie noch einmal an Bord der >Blue Sea<. Am darauffolgenden Morgen wollten sie die >Neptun 2< bergen, auf das Mutterschiff hieven und danach auf die >El Warda< wechseln.
Romana fand in dieser Nacht keinen Schlaf, obwohl sie völlig erschöpft und müde war. Zu viele Gedanken beschäftigten sie, spukten in ihrem Kopf herum. Immer wieder musste sie an Steffens schwere Verletzung denken.
Sie hielt es im Bett nicht mehr aus, richtete sich auf und ging nach draußen, um sich den Wind um die Nase wehen zu lassen.
Endlich konnte sie auch auf die Steuerbordseite gehen, ohne sich verstecken zu müssen, überlegte sie kurz und ging hinüber, auf die andere Seite des Schiffes. Sie staunte nicht schlecht, als sie feststellte, dass sie nicht allein diesen Gedanken hatte. All ihre Freunde standen schweigsam an der Reling und blickten zum Horizont, wo Sternenhimmel und Meer sich trafen.
„Na, kannst du auch nicht schlafen?“, fragte Jens. Als er bemerkte, dass es Romana leicht fröstelte, legte er ihr seine Decke über die Schultern. „Ich weiß, Romy, das war etwas viel auf einmal in den paar Tagen. Jetzt, da alles vorbei ist, hat man zum ersten Mal Zeit, das Geschehene zu verarbeiten. Uns geht es nicht anders.“
Claus stellte sich vor sie, um mit seinem Körper den kalten Wind abzuschirmen, der übers Meer von Norden heranwehte.
Ralf trat hinter Romana, schlang sanft seine Arme um ihre Taille und legte den Kopf an den ihren.
Erst unbewusst begann sie, mit den Fingern in einem Loch im Holz des Geländers zu pulen. „Hat jemand von euch sein Messer dabei?“, fragte sie dann.
„Wieso?“ Thomas, der bisher nicht die Zeit gefunden hatte, sich umzuziehen, reichte ihr sein Tauchermesser, das er am Gürtel trug.
Neugierig beobachteten die Männer, was Romana damit vorhatte.
Sie bohrte die Spitze des Messers weiter in das Loch hinein und holte schließlich eine Kugel aus dem gesplitterten Holz. Dankend gab sie das Messer zurück, ballte die Hand, in der das Projektil lag, zur Faust und drückte sie an ihre Brust. Schweigend, in Gedanken versunken, schaute sie übers Wasser. Sie schämte sich nicht vor ihren Freunden, als Tränen über ihr Gesicht liefen. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, diese wegzuwischen, sondern ließ sie vom Wind trocknen.
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Am nächsten Morgen machten sich die Männer mit dem kleinen Boot mit Außenbordmotor auf den Weg, um die >Neptun 2< zu bergen und zum Schiff zurückzubringen. Sie hoben sie mit dem Bordkran vorsichtig aufs Deck und verzurrten sie sicher. In der Zwischenzeit drehte Romana mit der >El Warda< am Heck des Forschungsschiffes bei. Schnell wurden das Equipment, Medikamente und alles, was ihnen außerdem wichtig erschien, auf das Boot verladen.
Als sie damit fertig waren und von der >Blue Sea< ablegen wollten, sprang Ralf auf die Taucherplattform des Schiffes zurück.
„Sorry, habe was vergessen“, rief er und lief los, um wenig später zurückzukehren. „Ich möchte doch lieber als Ralf Richter das Land verlassen und nicht als Andreas Mai“, erklärte er, seinen Pass hochhaltend und sprang zurück an Deck der >El Warda<. „Jetzt können wir los.“
Dirk Schöller übernahm das Ruder und drehte eine Ehrenrunde um sein stolzes Schiff. Alle standen auf dem Oberdeck des kleineren Bootes und sahen voller Entsetzen die unzähligen Treffer, die das Forschungsschiff eingesteckt hatte. Als Dirk die betroffenen Gesichter der anderen sah, sagte er mit fester Stimme: „Lasst mal gut sein. Ohne euer mutiges Einschreiten hätte es für uns, die wir an Bord waren und für die Blue Sea selbst, viel schlimmer ausgehen können. Da sind das nur kleine Kratzer dagegen. Ihr habt sechsunddreißig Menschen das Leben gerettet und sie aus der wochenlangen Hölle befreit. Das ist es, was zählt.“ Mit einem letzten Blick zurück steuerte er die >El Warda< nach Norden und nahm Fahrt auf.
Romana stieg nach unten, um sich hinzulegen, während die Männer es sich im Salon bequem machten. Nach einer Weile wandte sich Ralf an seine Freunde und fragte, ob sie etwas dagegen hätten, wenn sie auf der Heimfahrt noch eine Pause einlegen würden. Er war der Meinung, dass sie alle ein wenig Erholung, Abwechslung und Zerstreuung brauchen könnten und sich Romanas Lieblingsriff dafür geradezu anbot, zumal sie direkt daran vorbeimüssten.
Schnell waren sie sich einig, dass nichts dagegen einzuwenden sei. Im Gegenteil, sie freuten sich bereits auf das entspannende Tauchen am Riff.
Ralf eilte sofort aufs Oberdeck zum Kapitän. „Dirk, wir haben uns entschlossen, dass wir eine Tauchpause einlegen wollen. Wie wäre es mit dem Riff, an dem wir schon vor drei Jahren vor Anker gegangen waren, von dem Romy und ich und dann ein Jahr später auch Andi van Hogen so begeistert waren?“, dabei zeigte er auf die Karte, wo das große Korallenriff verzeichnet war.
„Klar, gern“, stimmte er zu und meinte, dass sie in knapp drei Stunden dort sein würden.
„Sag mal …“, fragte Ralf nach einer kurzen Pause, „waren die Kerle, nachdem ich abgehauen war, auch dort getaucht, um vielleicht nach solchen Goldmünzen zu suchen? Oder hat keiner von euch den Spalt erwähnt, den wir dort entdeckt haben?“
„Nein, die Kerle sind nirgends getaucht. Wahrscheinlich konnten sie das auch gar nicht. Außer dass sie uns immer wieder danach gefragt und deshalb gefoltert haben, um zu erfahren, woher van Hogen diese Münze hatte, haben sie keine anderen Aktivitäten in dieser Sache unternommen. Und wenn du glaubst, dass Andi die Münze vielleicht dort gefunden hat, so muss ich dich enttäuschen. Er besaß sie bereits, als er zu uns aufs Schiff kam. Die war für ihn so was wie sein heimlicher Talisman. Er hatte sie mir mal gezeigt. Trotzdem erzählte er uns nie, woher er die Goldmünze hatte.“ Er sah den Freund fragend an. „Und, willst du jetzt immer noch da runter, um nachzusehen, ob es nicht nur ein kleiner unspektakulärer Spalt, sondern mehr ist?“
„Warum nicht?“, gab Ralf zurück. „Eine bessere Ablenkung von all dem, was sie erlebt und durchgemacht hat, können wir Romy gar nicht bieten. Du weißt doch, wie gern sie taucht und sich immer über jede noch so kleine Entdeckung gefreut hat. Da kommt uns dieser Spalt genau richtig. Wer weiß, vielleicht führt der Spalt ja weiter ins Riff hinein und bildet eine schöne Höhle. Wäre doch toll, auf diese Weise ein neues Highlight für den Tauchtourismus in der Region zu finden. Etwas, was Romy bestimmt gefallen würde.“
Dirk musste ihm recht geben und hoffte, dass der Plan aufgehen würde. Er selbst wünschte sich, dass die junge Frau dadurch Abstand zu den Ereignissen der vergangenen Tage finden könnte, die ihr sichtlich zugesetzt hatten.
Zwei Stunden später erreichten sie ihr Ziel. Da sie sich außerhalb des Naturschutzgebietes befanden, ging die >El Warda< in der Nähe des Korallenriffs über einer kleinen Sandfläche vor Anker.
Ralf lief nach unten und schlich sich in Romanas Kabine. „Schatz“, sprach er leise und strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht, „wir sind an unserem Lieblingsriff voranker gegangen. Wie wäre es, wollen wir tauchen gehen?“
Er staunte nicht schlecht, wie schnell Romana munter und mit einem Satz aus der Koje war.
„Haben wir denn dafür Zeit?“, fragte sie mit leuchtenden Augen.
„Ja, die haben wir. Und hätten wir sie nicht, so würden wir sie uns nehmen. Wir warten oben auf dich, die Jungs machen gerade die Kreislaufgeräte fertig und füllen zusätzlich auch die Flaschen mithilfe des Kompressors wieder auf.“ Er gab ihr einen Kuss, dann verließ er die Kabine und berichtete den Freunden, dass sich Romana mehr über den Tauchgang freute, als er gedacht hätte.
Während Jens und Claus noch bei den letzten Geräten Atemgas- und Kalkbehälter wechselten, erschien Romana im schwarzen Badeanzug auf dem Deck und band sich gerade noch ihr Haar zu einem Zopf zusammen.
„Danke, Jungs. Ihr seid die Besten“, jubelte sie und gab jedem Einzelnen von ihnen einen Kuss auf die Wange. Schnell versorgte sie die Wunden der Männer und ihre eigenen mit wasserdichtem Pflaster und schlüpfte dann in einen der Neoprenanzüge, die sie vom Forschungsschiff mitgenommen hatten, und konnte es kaum erwarten, bis die Männer endlich fertig waren.
Thomas und Falko begnügten sich mit den mit 200 bar Pressluft gefüllten 12-Liter-Stahlflaschen. Von ihren Verletzungen etwas geschwächt, wollten sie nicht zu tief und nur ein kurzes Stück am Riff entlang tauchen. Die anderen rüsteten sich mit den CCR-100-Submatix-Rebreather aus und checkten gegenseitig ihre Ausrüstung, dann sprangen sie nacheinander von der Taucherplattform, direkt neben dem wunderschön mit Korallen bewachsenen Riff, ins Wasser.
Die acht Leute der Blue Sea blieben an Bord, sahen aber gern bei der Vorbereitung und beim Abtauchen ihrer neuen Freunde zu.
Romana und die Männer genossen den entspannten Tauchgang. Sie und Ralf führten die anderen bis zu dem versteckten Spalt, der groß genug war, um bequem zwei Taucher nebeneinander einzulassen.
Thomas und Falko trennten sich an dieser Stelle von der Gruppe, so wie sie es abgesprochen hatten. Sie tauchten noch ein Stück an der Riffkante entlang, dann zurück zum Boot und dort langsam wieder auf.
Die anderen folgten, von Romana angeführt, durch den engen Spalt, der sich tiefer ins Innere des Riffs schlängelte. Nacheinander wandten sie sich um die enger werdenden Windungen des Ganges, bis es nicht mehr weiterging. Doch Romana war nicht bereit, schon aufzugeben und zurückzukehren. Sie hatte der Forscherdrang gepackt. Mit dem hellen Lichtstrahl ihrer Unterwasserlampe tastete sie eine dunkle Nische in der Riffwand neben sich ab. Plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchte daraus ein Weißspitzenriffhai auf und suchte, von dem grellen Licht in seinem Schlafrevier gestört, sein Heil in der Flucht. Erschrocken machten die Taucher dem Tier Platz und beobachteten, wie es kurz darauf durch eine mit Weichkorallen bewachsene Öffnung, die ihnen zuvor nicht aufgefallen war, verschwand.
Neugierig geworden, folgten sie dem Raubfisch und gelangten so in einen langen, niedrigen Stollen, dem sie weiter folgten.
Nach fünfzehn Minuten erreichten sie eine ausladende Höhle, die den Tauchern genügend Platz bot, um sich darin aufzurichten und im Inneren zu verteilen. Erneut bei seinem Schläfchen gestört, schwamm der Hai ungehindert an ihnen vorbei aus der Unterwassergrotte in den Gang zurück.
Feine Sonnenstrahlen fanden durch das Riffdach ihren Weg ins Innere und verbreiteten eine mystische Atmosphäre. Mit staunender Bewunderung sahen sich die Freunde um. Ihre Unterwasserlampen tasteten die Wände und die Kuppel der Höhle ab, bis sich ihre Lichtkegel auf einer alten, über und über mit Seepocken bewachsenen Truhe trafen und darauf haften blieben.
Völlig aufgeregt drückte Romana Ralfs Hand und lächelte ihm durch das Glas ihrer Taucherbrille zu.
Eine Riesenmoräne ruhte wie ein Wächter auf der geheimnisvollen Kiste. Doch als sich die Taucher vorsichtig näherten, zog es die Moräne vor, zu verschwinden. Sie wand sich geschmeidig durch einen kleinen Riss in der Rückwand der Höhle.
Sanft, geradezu liebevoll strich Romana über das alte, korrodierte Vorhängeschloss des rätselhaften Fundes. Als Ralf sein Messer zückte, um damit den maroden Beschlag zu knacken und so den Deckel aufhebeln zu wollen, stoppte sie ihn. Mit deutlichen Handzeichen gab sie allen zu verstehen, dass sie die Truhe lieber an Bord schaffen und dort öffnen wolle.
Jens und Claus versuchten die Kiste anzuheben. Vergeblich. Auch zu viert schafften sie es kaum. Sie mussten feststellen, dass das Teil zu schwer war und sie zu langsam damit vorwärtskamen. Außerdem, das war allen klar, würden sie die Truhe auf diese Weise nicht durch den sich eng windenden Weg aus dem Riffspalt bekommen.
Nach einigen Überlegungen hatte Ralf eine Idee. Um diese umzusetzen, musste er aber erst einmal zum Boot zurück, was er durch Handzeichen kundtat.
Deutlich signalisierte er, dass die anderen hier auf ihn, warten sollten. Was dank der Kreislaufgeräte für alle auch ohne Probleme möglich war. Er zeigte Uwe an, ihm zu folgen und tauchte Richtung Ausgang der großen Höhle, wo sie kurz darauf gemeinsam verschwanden.
Während die Freunde wie vereinbart warteten, umkreisten sie neugierig die Truhe und besahen sich auch den Rest der Grotte in Ruhe. Dabei entging ihnen nicht, dass diese Höhle schon vor sehr langer Zeit künstlich erweitert worden war. Dafür sprachen einige untrügliche Anzeichen.
Nach fünfzehn Minuten kehrten Ralf und Uwe mit einer Pressluftflasche zurück. Ralf zog den auf der >El Warda< schnell aus Fallschirmseide und Seilen zusammengebastelten Bergeballon aus der Tasche seiner Tarierweste und reichte ihn an Jens weiter. Gemeinsam befestigten die Männer die Leinen an der Truhe und überprüften ihren Halt. Auf das Okayzeichen von Jens hin füllte Pitt, aus der Pressluftflasche den Ballon, bis die Kiste sich in einer Wolke feinsten Sandes vom Höhlenboden löste und zehn Zentimeter über ihm zu schweben begann. Ohne großen Kraftaufwand gelang es nun den Tauchern, die schwere Truhe bis zum Höhlenausgang vor sich herzuschieben. Schwieriger wurde es durch den niedrigen Gang. Dafür mussten sie wieder etwas Luft aus dem Hebeballon herausdrücken, von vorn ziehen und von hinten schieben, um vorwärtszukommen. Noch komplizierter wurde das Unterfangen, als sie sich mit ihrer Beute durch den sich eng windenden Gang, durch den Spalt ins Freiwasser arbeiten mussten. Dafür quetschten die Männer den provisorischen Hebesack, so gut es ging zusammen und zerrten ihn gemeinsam mit der Truhe um die mit abgestorbenen, scharfkantigen Korallen bewachsenen Biegungen. Um zu vermeiden, dass der Bergeballon an den scharfen Kanten hängenblieb und der Stoff dabei riss, waren sie immer wieder gezwungen, Stopps einzulegen. Mal musste die Luftblase unter dem Stoffpilz vorsichtig von oben flacher, dann wieder rechts oder links an den Seiten in die Länge gedrückt werden. Das gelang nicht immer so wie geplant und die Luft entwich komplett, um sich dann in kleinere Bläschen aufgeteilt ihren Weg durch das poröse Korallendach zu bahnen. Doch solange das Material des provisorisch gebastelten Hebesackes dabei nicht beschädigt wurde, war das nicht das eigentliche Problem.
Denn das erneute Befüllen des Hebe- und Tragekörpers nahm nicht nur zusätzliche Zeit, Geduld und Kraft in Anspruch, sondern auch die nicht unbegrenzt zur Verfügung stehende Atemluft der Taucher.
Endlich, nach langen, kräfte- und nervenzehrenden Minuten, hatten sie das Ende der Spalte erreicht. Sie zogen den Bergeballon samt Kiste ins Freiwasser, wo sie weitere Luft aus der mitgeführten Pressluftflasche unter den Hebesack strömen ließen. Sofort begann der Ballon mit seiner angehängten Fracht, begleitet von den sieben Tauchern, langsam nach oben zu steigen.
Als sie an der Wasseroberfläche den Rumpf der >El Warda< schaukeln sahen, tauchte die erste Gruppe nach dem Sicherheitsstopp langsam auf, um die Mannschaft zu bitten, bei der Bergung ihres Fundes behilflich zu sein.
Die Männer holten Taue und Seile aus der Tauwerkkammer und warteten gespannt auf der Plattform am Heck, bis sie den blauen Ballon achtern an die Wasseroberfläche steigen sahen.
Nur Romana blieb im Wasser, um den Hebesack mit der darunter befestigten Truhe in Position zu halten, während die anderen eilig an Deck kletterten, um gemeinsam die Truhe an Bord zu hieven. Dabei kamen sie schnell ins Schwitzen.
Nach einer halben Stunde größter Kraftanstrengung stand die geheimnisumwitterte Kiste auf der Taucherplattform. Neugierig und gespannt auf den Inhalt der geheimnisvollen Truhe, warteten sie aber, bis auch Romana wieder an Deck war und ihr Gerät abgelegt hatte.
„Ich hoffe, es ist nicht die Büchse der Pandora“, scherzte Rainer, während Ralf sich daran machte, das marode Schloss zu knacken. Nur zu zweit konnten sie den schweren Deckel heben, dessen Scharniere verrostet waren.
Der dann dargebotene Anblick verschlug den siebzehn Freunden an Bord den Atem. Mit fast allem hatten sie gerechnet, nur nicht damit.
Die Strahlen der Sonne brachen sich am Inhalt der Kiste und wurden tausendfach funkelnd zurückgeworfen.
Geblendet und wie angewurzelt standen sie um die offene Truhe. Außerstande, sich zu rühren, geschweige denn, den Blick von all den goldenen Figuren, Schmuck, Perlen und Edelsteinen abzuwenden.
„Das gibt es doch nicht wirklich“, fand Pitt als erster die Sprache wieder. „Kann mich mal einer kneifen?“
„Ich glaub nicht, was ich da sehe.“ Auch Rainer fand langsam wieder zu sich. „Kann mir vielleicht einer sagen, was das ist?“
„Es … es sieht … sieht fast so aus“, stammelte Romana mit trockenem Mund, „als wären es … Grabbeigaben für eine ägyptische Königin oder einen Pharao, die von Grabräubern zusammengerafft wurden.“
„Und wie kommen die in die Unterwasserhöhle?“, wollte Ralf wissen, der ebenso wenig wie die anderen den Blick vom Schatz lassen konnte.
„Ich denke, darüber können wir nur mutmaßen.“ Jens traute noch immer seinen Augen nicht.
„Das Beste wird sein, wir schließen die Kiste wieder und decken sie mit einer Plane ab“, schlug Thomas vor. „Der Schatz gehört dem ägyptischen Volk, also werden wir die Behörden in Kairo über den Fund informieren. Ich denke, die werden sich sehr darüber freuen. Was meint ihr?“
Alle waren damit einverstanden. Ohne auch nur ein Schmuckstück mit eigenen Händen berührt zu haben, verschlossen sie die Truhe wieder und warfen eine Plane sowie ein paar schwere Taue darüber.
„Claus, hast du vielleicht noch ein, sicher schon längst warmes, Bier für uns?“, fragte Jens. „Ich denke, wir brauchen das jetzt nach der Schwerstarbeit und dem Schock. Sicher wird es uns schmecken, als wäre es eisgekühlt.“
„Klar doch, habe ich. Warmes Bier soll ja auch gut für die Nieren sein, habe ich mir mal sagen lassen.“
Gemeinsam gingen sie in den Salon, wo Claus die Flaschen aus einem kühlen Versteck hervorzauberte, die er für eine besondere Gelegenheit dort deponiert hatte. Und genau dieser Zeitpunkt war, seiner Meinung nach, jetzt.
Gerade, als sie darüber diskutierten, wie die Truhe so tief in die Höhle gekommen sein könnte. Ob die Münze, die van Hogen bei sich trug, doch aus dem Schatz stammte, die Räuber sie vielleicht auf dem Weg in die Höhle verloren hatten. Während sie noch darüber spekulierten, weswegen die vermeintlichen Grabräuber die Truhe nie aus dem Versteck geholt hatten, klingelte das Satellitentelefon, das neben dem kleinen Radarschirm lag.
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Jens ging ans Telefon, meldete sich und lauschte in den Hörer. Zusehends verfinsterte sich seine Miene und er wurde blass. „Ich verstehe“, sagte er dann mit belegter Stimme. „Trotzdem danke für Ihren Anruf.“ Dann drückte er den Knopf, um die Verbindung zu beenden. Alle Augenpaare waren nun auf ihn gerichtet.
„Leute“, wandte er sich bedrückt an die Männer der >Blue Sea<, „könnt ihr uns bitte mal alleinelassen? Es ist etwas Privates.“
Ohne ein Wort verließen die acht Besatzungsmitglieder der >Blue Sea< den Salon und gingen aufs Oberdeck. Sie ahnten, welche Nachricht Jens soeben empfangen hatte.
„Okay, Jungs, es ist so weit.“ Dann richtete er sich an Romana. „Romy, du musst wissen, bei uns ist es eine Art Ritual, dass jeder von uns vor einem gefährlichen Einsatz einen letzten Gruß und Wunsch aufschreibt und diesen Brief dann einem seiner Kameraden gibt. Nach dem Einsatz bekommt jeder, der überlebt hat, seine Notiz ungelesen zurück, zerreißt sie oder bewahrt sie fürs nächste Mal auf. Andernfalls wird der letzte Brief vor den Kameraden, die im Einsatz dabei waren, verlesen“, erklärte er. Dann wandte er sich wieder an die Männer und schluckte schwer, als er fragte: „Also, wer von euch hat den Brief vom Steinadler bekommen? Ich wurde gerade darüber informiert, dass Steffen die dritte Notoperation leider nicht überstanden hat. Er ist vor zehn Minuten, noch auf dem OP-Tisch verstorben.“
Der Schock über diese Nachricht saß bei allen tief.
Die Freude über den gefundenen Schatz war vergessen.
Völlig erschüttert schüttelte Romana den Kopf und kämpfte mit den Tränen. „Nein, das kann, das darf nicht sein! Er ist meinetwegen gestorben. Nur, weil ich zu leichtsinnig war.“
„Nein, Romy, rede dir das nicht ein.“ Uwe nahm sie in die Arme, als sie aufstand, aus dem Salon laufen wollte und hemmungslos zu weinen begann. „Das hat er nicht nur für dich getan. Jeder von uns würde das für den anderen tun. Wir sind ein Team, da ist das so, dass einer für den anderen da ist. Also auch für dich“, versuchte er sie zu trösten, selbst gegen die Tränen ankämpfend. „Das musst du verstehen und akzeptieren.“
„Ich habe ihn“, meldete sich Ralf mit erstickter Stimme, um Fassung ringend. „Ich hatte ihm den Brief nach der Landung des Helis schon wieder zurückgegeben … er steckte ihn mir erneut zu, bevor er mit dem Hubschrauber abtransportiert wurde. Ich hole ihn gleich“, fügte er leiser hinzu und ging nach unten in die Kabine. Wenig später kam er mit gesenktem Kopf zurück, den Blick auf das blutverschmierte Papier gerichtet, das er an Jens weiterreichte.
Behutsam faltete dieser das Papier auseinander und strich es glatt. Er räusperte sich leicht und begann, mit einem dicken Kloß im Hals vorzulesen:
Also gut, Jungs und meine liebste Romy,
Da Ihr diese Zeilen nun lest, scheint es offensichtlich zu sein, dass ich es dieses Mal nicht geschafft und das Zeitliche gesegnet habe.
So sagt man es wohl.
Aber im Ernst, es hat mir riesigen Spaß gemacht, diesen Weg mit euch gemeinsam gegangen zu sein.
Es war mir eine große Ehre, an eurer Seite kämpfen zu dürfen.
Ich wünsche mir, dass Ihr mein Fell so richtig ordentlich versauft und viel Spaß dabei habt. Und bitte, keine schwulstigen Reden an meinem Grab, das will ich nicht.
Ehrlich gesagt, meiner Meinung nach passt das zu keinem von uns.
Meine Gedanken gehen zu meinen beiden Mädchen und ihrer Zukunft. Ihr wisst, wie sehr ich sie liebe.
Ich mache mir ihretwegen große Sorgen, denn meine Großtante ist zu alt und wird sie nicht mehr weiter betreuen können, weshalb ich eigentlich auch schon bald meinen Abschied von der Truppe nehmen wollte.
Was wird jetzt, wo ich nicht mehr da bin, aus ihnen? Ich möchte nicht, dass sie nun in einem Heim aufwachsen müssen. Das haben sie nicht verdient.
Ich weiß nicht, ob das vermessen ist, aber jetzt, wo ihr euch, Ralf und Romy, endlich nach langer Freundschaft richtig zusammengefunden habt und euren Weg gemeinsam,weitergehen werdet, diesen Wunsch zu äußern. Es würde mich glücklich machen, wenn ihr euch meiner beiden Süßen annehmen würdet. Ihr habt so viel Liebe in euch und zu geben, das habe ich gesehen. Ich könnte mir keine besseren Eltern für meine geliebten Mädchen vorstellen und wünschen.
Also, ihr beiden, überlegt es euch.
Die Einwilligung zur Adoption und meinen letzten Willen, sowie alles Weitere, findet Ihr bei meinen Sachen auf der >El Warda<. Und da ich es auch schon im Vorfeld mit Rainer, der, wie ihr ja alle wisst, ein guter Anwalt geworden ist, besprochen hatte, wird er euch bestimmt gern bei all dem juristischen Kram behilflich sein.
Alle anderen wichtigen Dokumente findet ihr im Schreibtisch meines Hauses, welches ich den Mädchen und euch hinterlasse, damit ihr ein warmes Nest für sie und eure große Liebe habt.
Ich wünschte, ich könnte noch dabei sein, Ralf, wenn Du Deine wunderschöne Braut das erste Mal nach dem Ja-Wort küssen darfst. Doch das werde ich, wie es aussieht, nun versäumen. Schade, dass mir auch der Brautkuss von Romy durch die Lappen geht.
Nun zu euch Jungs. Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn ihr alle euch nun doch etwas öfter treffen würdet und euch nicht wieder so lange aus den Augen verliert.
Ihr müsst zugeben, diese paar Tage, die wir wieder zusammen agiert haben, waren doch eine echt geile Zeit. Oder?
Macht`s gut. Ihr werdet mir alle fehlen, doch ich muss jetzt gehen.
Ich werde meine Kreise als Steinadler nun in anderen Himmelsregionen ziehen und von da aus immer ein Auge auf euch haben.
Vergesst mich nicht ganz und haltet die Ohren steif.
Euer Steffen Körner
PS.: Sorgt doch bitte mit dafür, dass keiner der Schweine durch die Lappen der Justiz geht, und auch die Hintermänner dorthin kommen, wo sie hingehören, nämlich in den Bau. Und dann werft den Schlüssel weg. Tretet ihnen ordentlich in den Arsch und das Ganze bitte auch für mich mit!
Steinadler ENDE ...
Jens faltete das Blatt wieder sorgfältig zusammen, wie es zuvor gewesen war, und reichte es an Ralf zurück, der Romana nun fest in seinem Arm hielt.
Keiner im Raum sagte ein Wort. Betroffen und traurig schluckten sie die aufgekommenen Tränen hinunter.
Mit der Zeit beruhigte sich Romana wieder und atmete mehrmals tief durch.
Ralf sah ihr eindringlich in die Augen.
Und sie wusste genau, was er sie damit fragen wollte. Noch mit Tränen der Trauer in den Augen lächelte sie ihm zu und nickte.
Dafür küsste er sie zärtlich.
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Die >El Warda< steuerte langsam ihrem Heimathafen entgegen.Jens hatte bereits die zuständigen Behörden in Ägypten per Satellitentelefon über den Fund informiert. So war sichergestellt, dass der Schatz, gleich nachdem sie angekommen waren, unter Bewachung abtransportiert wurde und sie sich nicht darum kümmern mussten.
Wie ein Lauffeuer hatte sich der Fund herumgesprochen.
Bei ihrer Ankunft im Hafen der Tauchbasis ihres Freundes wurden sie nicht nur von Angestellten des Museums aus Kairo, Sicherheitskräften und den Leuten von der >Blue Sea<, sondern auch von zahlreichen Journalisten und Schaulustigen erwartet.
Der Trubel um sie und den entdeckten Schatz schien nicht abreißen zu wollen.
Romana und den Männern war es unendlich schwer ums Herz. Die Trauer um ihren Freund wog wesentlich schwerer als die Freude über die Entdeckung der alten Truhe. Sie versuchten vergeblich, dem Rummel, um sich und den neugierigen Fragen der vielen Journalisten zu entfliehen, von denen die wenigsten auf eine objektive Berichterstattung aus waren. Die meisten von ihnen erhofften sich eine Sensationsstory, um ihren Artikel meistbietend verkaufen zu können. Doch genau das war es, was die Freunde nicht wollten, weshalb sie nur wenige, knapp gehaltene Antworten gaben und jedes Interview ablehnten.
Dem Leiter der Tauchbasis und ehemaligen Kampfgefährten, Sebastian Rothe sowie den geretteten Besatzungsmitgliedern der >Blue Sea<, die nicht zur ärztlichen Betreuung ins Krankenhaus gebracht wurden, war sofort das Fehlen eines ihrer Retter aufgefallen. Die starren, ernsten Gesichter der Männer, die sich doch eigentlich über die Entdeckung des Schatzes hätten freuen müssen, dazu die traurigen, rot unterlaufenen, noch verweinten Augen der Ärztin sprachen zudem Bände. Betroffen senkten sie die Köpfe. Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin gingen sie gemeinsam durch die Absperrung auf die Gruppe zu. Sie nahmen sie in ihre Mitte, um sie vor weiteren lästigen Fragen in Schutz zu nehmen und den Schmerz mit ihnen zu teilen. Alles andere hatte in diesem Augenblick keine Bedeutung.
Stillschweigend verfolgten sie, nachdem Jens einige Formulare hatte ausfüllen müssen, wie die Truhe mit den altägyptischen Kunstschätzen von Bord des kleinen Bootes gehievt und für die Journalisten geöffnet wurde. Diese drängten sich darum. Sofort brach ein gewaltiges Blitzlichtgewitter los, was den Freuden die Gelegenheit bot, sich unbehelligt bis in Sebastians Tauchbasis zurückzuziehen. Dort ließen sie sich im Schatten der hinteren Terrasse nieder.
Die ägyptischen Angestellten der Basis verteilten schnell und leise Wasser- und Bierflaschen auf den Tischen und gesellten sich dann mit zu der großen Gruppe. Wobei sie sich aber absichtlich an die offene Seite der Terrasse setzten, um jederzeit lästige Journalisten abdrängen zu können, die nicht lange auf sich warten ließen.
„Scheißhausfliegen sind nichts gegen die“, raunte Rainer ärgerlich. „Die kriegen wir nicht so schnell wieder los. Nicht bevor sie nicht ihr Maul voll haben.“
„Na dann gib ihnen doch das Fresschen, was die satt macht und von mir aus auch platzen lässt. Hauptsache, die verschwinden endlich. Wer ist denn hier der Rechtsverdreher und damit der Sprachbegabteste von uns, der es versteht, immer schön um den heißen Brei drumherum zu reden, ohne wirklich was zu sagen?“, flüsterte Thomas ihm zu.
„Entschuldige bitte, da verwechselst du was. Die, die du meinst, sind schwarze Schafe bei den Politikern. Ich bin aber Anwalt auf der Seite des Rechts und nur dort. Oder was meinst du, wofür ich mich noch einmal auf den Hosenboden gesetzt und gebüffelt habe?“, verteidigte sich Rainer.
„Na wie auch immer. Aber reden kannst du. Also dein Part. Geh raus und erzähle ihnen etwas Belangloses, was sie hören wollen. Hauptsache die verschwinden danach endlich“, zischte Thomas ihm genervt zu.
„Vergiss es, Turmfalke“, ging Jens scharf dazwischen. „Keiner von uns wird denen noch irgendetwas sagen. Das ist der Job von anderen, nicht von uns. Wir haben unseren Teil geleistet, und gut ist’s“, entschied er mit harter Stimme, was auch die anderen auf der Terrasse hörten und zustimmend nickten.
„Also lassen wir sie am langen Seil zappeln, weiter Fotos von uns schießen und lesen dann morgen in der Zeitung Dinge über uns, die wir nie gesagt und getan haben, oder wie?“, mischte sich nun auch Claus ein.
„Ja, so ähnlich. Nur haltet eure Larven etwa bedeckt und nicht gerade direkt in die Kamera. Denn egal was wir sagen, wenn wir es denn tun, würde trotzdem nicht so abgedruckt. Nicht von den Schmeißfliegen, die uns jetzt noch so belauern. Den Reportern der guten Nachrichtenagenturen haben wir bereits nach unserer Ankunft hier alle Fragen beantwortet. Die jetzt noch da sind, sind die, die noch auf eine zusätzliche Sensationsstory hoffen, die sie bis zum Gehtnichtmehr ausschlachten können. Etwas, das wir ihnen aber nicht liefern werden. Steinadler selbst würde das nicht wollen und wir ebenso wenig“, erinnerte Jens an die bittere Realität. „Also ist es das Beste, wir ignorieren sie einfach. Mit der Zeit werden sie schon das Interesse an uns verlieren.“
Man war darum bemüht, sich bei ihrer Berichterstattung ausnahmslos nur auf die Entdeckung des Kunstschatzes zu beschränken.
Die Regierungen der beteiligten Staaten waren sich darüber einig. Sie alle waren daran interessiert, die Hintermänner in ihren Ländern so lange in Sicherheit zu wiegen, bis sie genügend Beweise für ihre Festnahme in den Händen hielten.
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Die Freunde waren froh und dankbar, als sie am späten Abend, abgeschirmt vom ägyptischen Militär, zu ihrem Hotel chauffiert wurden und diese Männer auch dafür sorgten, dass das Hotel nicht von Journalisten belagert wurde. In dieser Nacht saßen die neun Freunde noch lange in der Hotelbar zusammen, als das Satellitentelefon klingelte.
Jens nahm den Anruf entgegen. Nach einer Weile sagte er: „Einen Moment, bitte. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Sie auf Lautsprecher schalte? Meine Freunde würden das bestimmt gern mithören … danke.“ Er drückte auf einen kleinen Knopf und legte den Apparat in die Mitte des runden Tisches. „Sie können jetzt sprechen“, sagte Jens dann laut.
„Guten Abend, meine Dame und die Herren.“ Eine tiefe, kräftige Stimme mit starkem englischen Akzent drang aus dem Lautsprecher des Hörers. „Mein Name ist Randolph Kings. Ich bin der Chef der internationalen Sonderkommission für Verbrechensbekämpfung in der Abteilung des illegalen Waffenhandels und -schmuggels. Dank Ihnen ist uns heute ein großer Schlag gegen das internationale, organisierte Verbrechen geglückt. Schon auf den Booten der Marine wurden die von Ihnen gefangen genommenen von unseren Kollegen verhört. Und wir bekamen bereits die ersten schlüssigen Aussagen, woraufhin acht Stunden später in sechs Ländern die ersten Festnahmen erfolgen konnten, darunter waren auch hochrangige Politiker. Mehrere illegale Waffenlager wurden ausgehoben und damit weiteres Beweismaterial sichergestellt. Vor allem dank Ihres schnellen und umsichtigen Handelns ist die Beweislage so erdrückend, dass sich keiner der Beschuldigten seiner Verantwortung und Strafe entziehen kann. Zudem war es uns möglich, im Zuge dessen auch von denen festgehaltene und gefolterte Geiseln zu befreien. Darunter auch ein deutscher Offizier, der wohl ganz schlimm zugerichtet war, wie ich informiert wurde. Ich möchte Ihnen für Ihren großartigen Einsatz meinen ganz persönlichen Dank aussprechen.“ Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: „Ich habe noch eine ganz persönliche Frage, außerhalb des Protokolls. Wer von Ihnen hat diese Schurken für uns … wie sagt man doch gleich … so weichgeklopft? Leider war weder von unseren Kollegen, noch von den Offizieren und Soldaten, die diese Kerle auf Ihrem Schiff in Gewahrsam genommen haben, eine einzige Information darüber in Erfahrung zu bringen. Komischerweise waren es die Ganoven selbst, insbesondere fünf von denen, die in seltsam hohen Stimmlagen am meisten gesungen haben. Womit konnten sie ausgerechnet diesen abgebrühten Kerlen derartige Angst einjagen? Einige von ihnen gehören zu den führenden Köpfen der Organisation. Wir selbst hatten nie eine Chance, sie zu ergreifen. Und nun haben sie sich quasi selbst gestellt und gestanden. Verraten Sie mir den Trick?“
Die Männer am Tisch lächelten Romana herausfordernd an.
Doch sie blieb ernst, räusperte sich kurz, wirkte kalt und steif wie ein alter Universitätsprofessor, als sie sich über das Gerät beugte. „Mister Kings, hier spricht Doktor Romana Veit. Wir freuen uns sehr über Ihre Erfolge. Besonders freuen wir uns, weil wir damit auch einen Wunsch unseres Freundes erfüllen konnten. Doch, was Ihre persönliche Frage betrifft, so müssen wir Sie leider enttäuschen, aber das gehört zu unseren Geheimwaffen. Würden wir Ihnen das verraten, so wären sie ja nicht mehr geheim. Das verstehen sie doch? Wir bedanken uns sehr für Ihren Anruf und wünschen Ihnen auch weiterhin viel Erfolg.“ Ohne noch auf eine Antwort zu warten, kappte sie schnell die Verbindung.
„Geheimwaffe? Ja, so könnte man das auch bezeichnen“, prustete Uwe los.
„Hätte bloß noch der Satz gefehlt: Wenn ich ihnen das verraten würde, müsste ich sie töten“, setzte Thomas noch einen drauf, und alle mussten lachen.
Selbst Romy gelang es nicht länger ernst zu bleiben, und brachte zumindest ein Lächeln zustande.
Einen Tag später, am Mittwoch, vier Tage vor Heiligabend, hielt zur Mittagszeit ein großer Reisebus vor dem kleinen Hotel und holte eine Frau und acht Männer ab, um sie unter Geleitschutz zum Flughafen zu bringen. Alle neun hatten eine persönliche Einladung des Ministerpräsidenten von Ägypten in der Tasche. Er würde sie gern im März als Gäste begrüßen, um mit ihnen gemeinsam den neuen Ausstellungstrakt, mit dem von ihnen gefundenen Pharaonenschatz zu eröffnen. Sie freuten sich darauf, denn eigentlich hatten sie den ganzen Inhalt der großen Truhe selbst noch gar nicht richtig gesehen.
Im Bus gab Ralf den Pass an Thomas zurück, der seinem Stiefbruder gehörte, und bedankte sich noch einmal herzlich dafür, denn ohne dieses Dokument wäre die ganze Mission kaum möglich gewesen.
Auf dem Flugfeld wartete eine ägyptische Regierungsmaschine auf sie. Diese sollte sie gemeinsam mit den Wissenschaftlern und Besatzungsmitgliedern der >Blue Sea< in ihr jeweiliges Heimatland zurückbringen. Damit sie pünktlich im Kreis ihrer Familien das Weihnachtsfest feiern konnten.
Die Verabschiedung der einzelnen Crew-Mitglieder des Forschungsschiffes fiel an jedem Flughafen, wo die Maschine landete, sehr herzlich aus, mit dem Versprechen, sich bald wieder zu treffen, um die Arbeit fortzusetzen.
75
Einen Tag vor Heiligabend klingelte es an der Tür eines kleinen Ferienhauses auf Fehmarn, an der Küste der Ostsee. Eine ältere Frau mit silberweißem Haar öffnete die Tür.„Oh mein Gott! Das kann doch nicht wahr sein“, rief sie freudig überrascht. „Oh Kinder ist das schön. Kommt doch rein, schnell.“
„Pst, leise, Tante Else“, flüsterte Romana, „wir wollen unsere Mütter überraschen. Wo sind sie denn?“
„Oh, die sind unterwegs. Sie machen gerade mit Lumpie einen Spaziergang am Strand. Aber sie müssten bald zurück sein. Wir haben euch im Fernsehen gesehen“, berichtete die alte Frau ganz aufgeregt. „Irmgard und Elfriede warten schon voller Sehnsucht auf euch. Sie sprechen von nichts anderem mehr. Und nun seid ihr da. Ich kann es gar nicht fassen. Ihr seid richtige Helden geworden!“, fügte sie überschwänglich und glücklich hinzu.
„Darf ich bekannt machen, das ist Rosemarie Körner, die Großtante eines sehr guten Freundes. Und das ist meine Tante Else“, stellte Romana die Frau neben Ralf, ihre Tante vor und umgekehrt.
Gemeinsam traten sie in das warme, geräumige Wohnzimmer und entdeckten den Tannenbaum, der liebevoll geschmückt in der Ecke stand. Es roch nach Räucherkerzen und auf dem Tisch stand ein Adventskranz, an dem drei Lichter brannten.
Tante Else brühte Kaffee auf und Romana half ihr beim Decken der festlichen Tafel, als draußen die Eingangstür aufging.
Als die beiden Frauen sich die kalten Hände reibend ins Wohnzimmer traten, trauten sie kaum ihren Augen. Die Freude war grenzenlos. Alle umarmten und küssten sich. Auch Rosmarie wurde ganz herzlich von den beiden Frauen begrüßt. Doch bei all der Freude, wurden die beiden kleinen Mädchen, die still in einer Ecke saßen, fast übersehen.
Als sich langsam alle wieder etwas beruhigt hatten, trat Ralf ein Stück vor.
„Mutsch und Mom, ich hoffe, ich darf dich bald so nennen“, wandte er sich an Romys Mutter und gab ihr einen Handkuss. „Wenn ich vorstellen darf, das ist Lisa …“
„Und das ist Laura“, ergänzte Romana und zog die beiden verschüchterten Mädchen liebevoll an sich. „Wir werden sie adoptieren.“ Dann wandte sie sich den Kindern zu. „Lisa … Laura, das sind eure Omas Irmgard und Elfriede“, stellte sie den Großmüttern ihre Enkel und den beiden Mädchen ihre neuen Omas vor.
Ralf und Romana hoben je eines der Mädchen auf den Arm und gaben ihnen einen zärtlichen Kuss.
Obwohl sie schon miteinander telefoniert und erfahren hatten, dass ihre beiden Kinder, Ralf und Romana, sich verlobt hatten. Aber damit hatten die Frauen nicht gerechnet, aber sie waren überglücklich, ihre Kinder und dazu auch noch zwei kleine Enkelchen in die Arme schließen zu können. Nun konnten sie verstehen, warum die beiden nicht gleich, nachdem sie in Deutschland gelandet waren, zu ihnen gefahren waren. Sondern sie stattdessen noch etwas sehr Wichtiges zu erledigen hatten und ihre Tante noch drei Betten mehr in den anderen, kleineren Gästezimmern beziehen sollte.
Den ganzen Nachmittag und Abend hatten Romana und Ralf zu erzählen, während Tante Else, Rosemarie Körner und die Kinder mit Lumpie spielten. So erfuhren die beiden Mütter, was ihre Kinder alles erlebt hatten und von Steffen, dem Vater der Zwillinge, und dessen letztem Wunsch.
Nach dem Abendessen brachten Ralf und Romana die beiden sehr schnell liebgewonnenen Mädchen zu Bett. Sie sangen ihnen ein Schlaflied, bis Lisa und Laura einschliefen.
Am nächsten Tag feierten alle gemeinsam ein schönes, glückliches und gemütliches Weihnachtsfest, zu dem auch die vierte Kerze am Kranz leuchtete.
76
Schon einen Monat später, am Sonnabend, dem 27. Januar 2007, trafen sich alle Freunde in Ferdinandshof, in der Nähe von Ueckermünde, dem ehemaligen Wohnsitz von Steffen Körner und seinen Zwillingen, wieder. Die Männer trugen feierliche, schwarze Anzüge.
Romana erschien in einem traumhaften, weißen Kleid mit langem Schleier, der ihr Gesicht spielerisch verhüllte. Vor ihr her liefen die Zwillinge in rosa Kleidchen und streuten Blumen auf den roten Teppich. Die beiden Mütter und Großtante Rosmarie weinten vor Rührung und Ralf strahlte voller Vorfreude über das ganze Gesicht, als er seine Braut mit den beiden Mädchen so sah.
Die sieben Freunde traten gemeinsam, was ungewöhnlich war, als Trauzeugen des Paares hinter sie und begleiteten Romana und Ralf das letzte Stück bis zum Altar.
Als der Pfarrer mit den Worten endete: „Und hiermit seid ihr Mann und Frau. Ralf, du darfst die Braut jetzt küssen“, sahen sich Romana und Ralf glücklich an, nickten dem Pfarrer dankend zu, dann machten sie auf dem Absatz kehrt. Sie nahmen ihre Kinder auf den Arm und entschuldigten sich bei den verdutzt dreinschauenden Hochzeitsgästen, die in dem Moment nicht wussten, was das bedeuten sollte.
Ralf bat sie freundlich, doch schon in die Gaststätte vorzufahren und versprach bald nachzukommen.
Daraufhin verließ das Brautpaar mit den beiden Kindern, gemeinsam mit den Trauzeugen die Kirche und ließ die Gäste irritiert zurück.
Ein weißer Mercedes und drei schwarze BMW fuhren am Tor des Friedhofes vor. Ein Brautpaar stieg aus dem ersten Wagen, zwei süße kleine Mädchen in ihrer Mitte. Aus den anderen Autos stiegen sieben Männer in schwarzen Anzügen mit weißer Nelke am Revers.
Die Gruppe, die ein ungewöhnliches Bild auf einem Friedhof darbot, ging den Hauptweg entlang, der sich dann verzweigte. An einem relativ frischen Grab blieben sie stehen und reihten sich feierlich davor auf.
Ralf hob langsam den Schleier seiner Braut und schwor ihr ewige Treue. Romana wiederholte gerührt seine Worte. Dann küsste er zum ersten Mal nach dem Ja-Wort seine geliebte, wunderschöne Frau.
Romana legte den Brautstrauß, bestehend aus 36 weißen Rosen und einer einzelnen roten Nelke in deren Mitte, auf das Grab. Sie zog die rote Nelke aus dem Strauß und presste sie an ihre Brust. „Steffen, du fehlst uns. Wir werden dich immer in unseren Herzen tragen, wenn wir am Himmel unsere Kreise ziehen“, sagte sie mit sanfter Stimme zum Grab gewandt.
„Kommt, meine Süßen“, flüsterte Ralf leise, an die Mädchen gewandt, „legt eure Blümchen hier zu Papi, er freut sich bestimmt sehr darüber.“
Langsam traten die Mädchen, geführt von Uwe und Thomas, damit sie nicht fallen konnten, ans Grab und legten ihre kleinen Sträuße auf die gefrorene, mit einer dünnen Schneeschicht bedeckte Erde.
Die Männer zogen ihre Nelken aus den Revers und legten sie in einem Kreis um den Brautstrauß aufs Grab des verstorbenen Freundes. Romana vervollständigte diesen Kreis mit ihrer roten Nelke. Dann holte sie ein kleines, gerahmtes Foto aus ihrem perlenbestickten Täschchen, auf dem das lächelnde Gesicht ihres gemeinsamen Freundes Steffen Körner abgebildet war, und nahm es in beide Hände. „Der erste Kuss der Braut gehört dir, Steffen“, flüsterte sie und küsste das Bild. Dann reichte sie es an Falko weiter, der es in die dafür ausgearbeitete Stelle des Grabsteins einsetzte.
Claus verteilte Sektkelche an alle und köpfte eine gute Flasche Champagner, die er speziell für diesen Anlass aus seinem Weinkeller mitgebracht hatte. Er füllte die Gläser seiner Freunde, die sie erhoben und dem Brautpaar viel Glück wünschten. Nacheinander stießen sie damit zuerst an den Grabstein, danach mit dem Brautpaar an. Bevor sie aber selbst tranken, schütteten sie den ersten Schluck aus ihren Gläsern auf das Grab ihres Freundes.
Noch eine Weile verharrten sie in aller Stille.
Danach begab sich die kleine, aufeinander eingeschworene Gruppe zurück zur großen Hochzeitsgesellschaft, um kräftig mit den Gästen zu feiern.
Von dem Geld, das die neun Freunde von der ägyptischen Regierung als Finderlohn für die Artefakte und Kunstschätze erhalten hatten, wollte keiner seinen Anteil behalten. Also gründeten sie eine Stiftung zur Förderung von Kindern und Hilfsbedürftigen, die den Namen >Steffen-Körner-Stiftung< trug. Die Verwaltung übernahm ihr Freund und Anwalt Rainer Kramer.
Ende
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