In geheimer Mission
[ 6]Trotz aller Vorsicht ging das leise Knarren in ein verräterisches Quietschen über. Der erfahrene Bennet hielt unvermittelt inne.
[ 6]»Was ist?« hinterfragte sein erst kürzlich angeworbener Assistent in offensichtlicher Verkennung der gefahrvollen Situation.
[ 6]»Psst!« wurde er energisch zurechtgewiesen, bevor sie sich nacheinander durch den engen Spalt zwängten.
[ 6]Nur wenig Licht drang vom Flur auf die ersten Stufen. Das Ende der Treppe verlor sich in geisterhaftem Dunkel. »Können wir kein Licht machen?« erkundigte sich Bennets Kollege beinahe ängstlich.
[ 6]»Hier. Wir nehmen die hier«, widersprach Bennet und drückte ihm eine Taschenlampe in die Hand.
[ 6]Zwei schwache Lichtkegel huschten nun aufgeregt von Stufe zu Stufe und dann wieder durch das tiefer gelegene Kellergewölbe. Deckenhohe und prall gefüllte Regale, Schränke, riesige Kartonstapel, unbekannte Gerätschaften und geheimnisvolle Gegenstände, alles sicher von einer dicken Staubschicht überzogen, wurden kurzzeitig sichtbar, bevor die Finsternis sie wieder verschluckte. Ein modriger Geruch stieg aus der Tiefe empor.
[ 6]»Hier entlang«, flüsterte Bennet unten angekommen und wandte sich nach links. Sein Assistent folgte hastig, nachdem die gigantische Werkbank seine ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Einige fremdartige Werkzeuge und Geräte mit vielen Knöpfen und Schaltern hatte er darauf entdeckt, aber deren Untersuchung mußte warten. Bennet wußte, was zu tun war.
[ 6]»Kannst du mir ´mal leuchten?« forderte Bennet, der seine Lampe bereits in der Hosentasche verstaute und von einem Stuhl auf einen der Kartonstapel kletterte. Geschickt arbeitete er sich weiter nach oben, fand mit dem Fuß schließlich den nötigen Halt auf einem der Regalböden und zog sich an der Konstruktion bis ganz hinauf. »Hier ist es«, erklärte er fündig geworden und deutete auf einen länglichen Karton, dessen seitliche Beschriftung auf einen extrem gefahrvollen Inhalt schließen ließen. »Du mußt mir helfen.«
[ 6]»Soll ich auch hoch kommen?«
[ 6]»Nein. Es trägt uns nicht beide. Aber siehst du die Isolationsmatten? Dort ´drüben. Die silbernen Zylinder.«
[ 6]»Meinst du die hier?«
[ 6]»Ja, genau. Hast du noch die Handschuhe, die ich dir gegeben habe?«
[ 6]Der Assistent griff in seine Hintertasche und holte sie hervor. »Ja, hab´ ich.«
[ 6]»Zieh´ sie an. Das Zeug ist hoch toxisch.«
[ 6]»Roger.« Verdutzt wandte er sich noch einmal um. »Sind die nicht viel zu schwer?«
[ 6]»Kein Problem. Sehen schwerer aus als sie sind. Zwei dürften genügen. Hol´ sie ´rüber und stell´ sie genau unter mich.« Ohne weitere Verzögerung folgte sein Assistent nun der Anweisung und plazierte die außen beschichteten und aufgerollten Matten an der gewünschten Position. »Okay. Schieb´ ein paar der Kartons dagegen, damit sie nicht umfallen können.« Von leisem Stöhnen begleitet wurden die benötigten Stützen verschoben oder aufeinander gewuchtet, bis ein ausreichender Halt der Auffangvorrichtung gesichert schien. »Alles klar. Geh´ lieber zur Seite«, riet Bennet noch, bevor er mit einer Hand an dem aufgefundenen Objekt zu zerren begann, bis es über die Kante ragte und nach einer ganzen Seitwärtsdrehung schließlich auf der Glaswolle landete.
[ 6]Geübt hangelte sich Bennet an dem monströsen Regal entlang, um an geeigneter Stelle auf den Kartonstapel überzusteigen. Nach einem gewagten Sprung landete er genau vor den Füßen seines ihm leuchtenden Partners. »Puh! Das wäre geschafft«, stieß er erleichtert aus und zog nun ebenfalls Handschuhe an. »Los. Wir müssen es da ´rüber schaffen«, erklärte er und hielt seinen Kopf in Richtung Werkbank.
[ 6]Mit vereinten Kräften schleppten sie den Karton bis an die gewaltige, hölzerne Konstruktion heran, wo sie ihn vorsichtig abstellten. Mit einem Messer durchtrennte Bennet das Klebeband und klappte den Karton auf. Ein rechteckiger, metallener Gegenstand kam zum Vorschein.
[ 6]»Pack´ mit an. Wir stellen es da ´rauf.«
[ 6]Anschließend leuchtete sein Assistent das Gerät neugierig von allen Seiten ab, während Bennet neues Werkzeug beschaffte. Auf der Frontseite gab es alle möglichen Knöpfe, die mit merkwürdigen Symbolen versehen waren. Eine ausgedehnte gläserne Fläche deutete auf eine Anzeige hin. Daneben gab es eine Klappe, hinter der sich weitere Knöpfe und Regler befanden.
[ 6]»Nicht berühren!« warnte Bennet. »Wir müssen es erst entschärfen.« Mit einem Schraubenzieher löste er eine Schraube nach der anderen, aber der Deckel wollte sich nicht abnehmen lassen.
[ 6]»Wahrscheinlich eine zusätzliche Sicherung«, spekulierte sein Assistent nervös und suchte sofort das Gehäuse ab.
[ 6]»Jetzt hab´ ich´s«, verkündete Bennet plötzlich triumphierend. Mit einem Ruck zog er den Deckel erst nach hinten, bis er sich nach oben abnehmen ließ. Mit ihren Lampen leuchteten sie nun das Innere ab. Auf einem bräunlich-grünen Untergrund waren zahllose Bausteine und Elemente in den verschiedensten Farben, Formen und Größen befestigt, die über metallisch glitzernde Bahnen miteinander verbunden schienen. Trotz der vielen Beschriftungen war kein Muster zu erkennen.
[ 6]Bennet griff nach einem der fremdartigen Werkzeuge, das in einem spiralförmigen Ständer steckte. Ganz sachte setzte er dessen Metallspitze auf dem Untergrund auf und fuhr einige der Glitzerbahnen ab.
[ 6]»Das ist es!« hauchte er seinem ratlosen Assistenten zu und stieß dabei gegen eines der Bausteine, die mit kleinen Beinchen etwas erhöht vom Untergrund montiert waren. »Ich brauche eine Zange.«
[ 6]»Bist du sicher, du weißt, was du tust?« zögerte der Angesprochene verunsichert.
[ 6]»Als Geheimagent hatte ich die beste Elektronikausbildung, die es gibt«, konterte Bennet belehrend. »Die Zange!«
[ 6]»Aber ich bin doch auch Geheimagent«, hielt sein kleiner Bruder dagegen.
[ 6]»Erst wenn du dich bewährt hast. Noch bist du mein Assistent.«
[ 6]Das Quietschen der Kellertüre kündigte unerwartete Gesellschaft an. »Kinder? Seid ihr da unten?« schallte ihnen die Stimme ihrer Mutter entgegen. »Rupert? Oliver?«
[ 6]»Ja, Mama.«
[ 6]Das Licht wurde eingeschaltet. »Das Essen ist fertig. Kommt jetzt bitte. Ihr könnt nachher weiterspielen.« Etwas widerwillig trotteten die beiden Jungs die Stufen hinauf. »Aber zuerst werden Schularbeiten gemacht. Verstanden?«
[ 6]»Ja, Mama«, antworteten sie im Chor, aber eines wußten sie genau: heute nachmittag würden sie ihren Geheimauftrag beenden. Schließlich waren sie ja Geheimagenten, und zwar die besten, die es gibt.