In unser'm Dschungel

eiros

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In unser'm Dschungel
Neben den Schienen der Bahnlinie, die den Ort mit der nahen Stadt verband, streckt sich, fast die ganze Strecke entlang, ein verwilderter kleiner Wald. Na ja, Waldbäume mit dicken Stämmen gibt es eigentlich nur wenige dort, es ist eher ein hohes und verwildertes Gestrüpp und kein richtiger Wald. Aber es ist höher gewachsen als Erwachsene groß sind. Dicht zugewachsen und düster an manchen Stellen ist es dort jedenfalls, wenn im Sommer alles von Laub zugewachsen ist -man kann sich dort jedes Mal aufs Neue verlaufen. Lange, lange kann man laufen, ohne an irgendeinem Ende wieder rauszukommen, und es ist dann ein spannender und reizvoller Kitzel, wieder den Weg aus dem Dschungel heraus zu finden, wenn man sich verlaufen hat. Der Dschungel hört dann manchmal gar nicht mehr auf, ist wie eine unendlich große, grüne Tollwiese oder eine Hüpfburg, wie gemacht zum Toben.
Dahin gingen immer die Jungs im Sommer zum Spielen. Manuel, Marc, manchmal auch Marcs größerer Bruder Bertram und sein Freund Jockel, meistens aber nur Manuel und Marc allein. Hier konnte man richtig wild spielen, rennen , bis man ganz außer Atem und erschöpft war, sich blindlings auf den Boden werfen -meistens fiel man weich- und sich dann,- wenn man nach Hause kam, völlig verschwitzt und todmüde ins Bett werfen. Manuels Eltern fanden das nicht schlecht, weil er dann immer schnell einschlief. Sie sagten, er hätte sich müde gespielt und das sei eigentlich richtig und gesund in seinem Alter. Unter anderem spielten Manuel und Marc hier Verfolgungsjagd oder machten Ritterspiele. Sie hatten sich stabile Stöcke geschnitzt und mit denen übten sie wirkliches Fechten. Marc war viel wilder als Manuel, und er schlug beim Fechten immer richtig fest zu. Manchmal schlug er Manuel den Stock sogar aus der Hand und tat ihm dabei an den Fingern weh. Auch Bertram und Jockel schlugen hart zu und kämpften wild. Beide waren so etwa ein Jahr älter und auch stärker als Manuel und Marc. Das Höchste aber war, als Marc einmal ganz plötzlich die Hose und Unterhose runterließ, bis er ganz nackt war und unter dem Gejohle und schallendem Gelächter der Anderen einen dicken dampfenden Haufen ins Gras setzte. Bertram und Jockel lachten, liefen weg und hielten sich die Nase dabei zu, - dabei roch es gar nicht wirklich. Manuel blieb wie entgeistert stehen und sah zu, was Marc jetzt weiter tat. Marc zog sich völlig gleichgültig die Hosen wieder an, blickte gelassen auf seinen Haufen zurück und sagte nur, dass er verstehen konnte, wie ein solches Riesending ihn schon den ganzen Tag so drücken konnte und dass er ab heute nur noch hier im Dschungel aufs Klo gehen werde, das mache mehr Spaß. -Das tat er aber dann doch nicht! Aber Manuel war trotzdem sehr beeindruckt. Soviel unverschämte Gleichgültigkeit, soviel Mut, den Spott der anderen einfach auszuhalten hätte er nicht gehabt- er hätte so etwas nie gemacht. Er war überhaupt von Marc schwer beeindruckt.
Marc war etwas größer als Manuel, er war stark. Er hatte eine muskulöse, sportliche Figur, - Manuels Vater sagte mal zu Marc, er könnte mit diesen Muskeln glatt Boxer werden. Darauf wurde Marc verlegen und sagte, daß er auch Boxer werden wolle, wenn er mal mit der Schule fertig war und ihm stieg die Schamesröte ins Gesicht. Dieses Lob ging aber nicht nur Marc herunter wie Öl, sondern auch Manuel. Er platzte vor Stolz, als hätte man ihn selber gelobt. Aber auch Marc hatte umgekehrt eine hohe Meinung von Manuel und seiner Familie. Wenn er zu Besuch bei Manuel war, fand er, dass alles immer so sauber und aufgeräumt war, so ein frischer Duft und ihm schmeckte das Essen. Ja, er bewunderte sogar Manuel und lobte, dass er soviel wusste. Er sagte einmal, dass Manuel immer so vernünftig sei. Auch er kam gern zu Manuel zu Besuch. Außer, wenn Manuels Oma auch da war. Sie war nicht so absolut überzeugt von Marc, wie Manuel oder auch die Eltern waren.
Sie fand, dass Marc nicht zu Manuel passte. Er sei ein schlechter Umgang für Manuel. Marc kam aus einer ärmeren Familie als Manuel, seine Eltern hatten nicht so viel Geld. Marc lebte in einem der grau -braunen Hochhäuser am Rand der Ortschaft, ganz nahe am Dschungel. Es gab bei Ihnen meistens Ravioli oder irgendein Fertiggericht wie Pizza zum Essen, aber jeder konnte sich einfach so an den Mittagstisch setzen und mitessen. Es waren immer Freunde von Bertram da, oder die Freundinnen von Marcs Schwester, es war immer laut und lebendig dort drinnen. Außerdem konnte man in der ganzen Wohnung die Schuhe anlassen, sogar auf dem Sofa. Oma fand das schäbig und stillos. Auch Bertram und Jockel gefielen ihr nicht, sie waren einfach kein guter Umgang für Manuel fand sie. Manuel konnte das gar nicht verstehen. Das alles waren seine Kumpane. Mit ihnen zog er durch den Dschungel, es war seine Bande und er gehörte zu Ihnen.
Eines Tages spielten Manuel und Marc wieder Verfolgungsjagd im Dschungel. Sie stellten sich vor, dass Manuel ein böser Graf war, der von Marc besiegt werden sollte. Die Hintergrundgeschichte wurde aber immer unwichtiger während des Spiels. Stattdessen lieferten sie sich einen wilden Fechtkampf und machten eine besonders wilde Verfolgungsjagd. Sie beide rannten so schnell wie selten. Sie preschten nur so durch das Gebüsch, und benutzten ihre Stöcke, um sich das hinderliche Laub aus dem Weg zu schlagen, daß die Blätter und die schwächeren Äste nur so aufwirbelten. Sie kümmerten sich auch nicht um die üblichen Schleichwege, und sprangen blindlings über alle Hindernisse querfeldein in die Gebüsche hinein .
Auf einmal aber hatten sie das Ende des Dschungels erreicht. Manuel, der vorne weg gerannt war, trat hinaus auf eine Straße des Ortes. Hier war normalerweise das Ende beim Spielen. Hier endete ihr Spielgebiet, denn im Ort , auf den Straßen, war Verkehr. Und die älteren Leute beschwerten sich über Kinder die Lärm machten und rannten. Heute aber, Manuel hätte nicht sagen können warum, sollte die Jagd hier noch nicht zu Ende sein. Er rannte weiter Marc hinterher. Bertram und Jockel kümmerten sich ja auch nicht um die Waldgrenze und kamen in letzter Zeit nicht mehr so oft mit. Außerdem hatte Manuel einen Plan gefasst. Es gab im Garten ihres Hauses ein Gebüsch, hinter dem er sich verstecken konnte. Wenn Manuel, der ihm einfach weiter auch noch auf den Straßen verfolgte, an dem Gebüsch vorbei ging, konnte Manuel ihm ganz überraschend aus den Büschen springen und ihm den Stock aus der Hand schlagen. Damit war dann Marc entwaffnet und er hätte gewonnen. So ging die Verfolgungsjagd bis zu Manuels Haus weiter. Sie rannten über und auf den Straße, ohne auf Autos zu schauen. Wenn sie über Treppen gehen mussten, sprangen sie mehrere Stufen auf einmal herunter, daß es in den Beinen krachte. Dabei war Marc Manuel bedrohlich nahe herangekommen. Marc rannte sogar einmal durch ein fremdes Gärtchen, um abzukürzen. Er holte Manuel immer mehr ein. Endlich hatte aber Manuel sein Haus als Erster erreicht und Marc war immer noch ein paar Meter hinter ihm. Manuel war einfach erschöpft. Sein Herz wummerte dumpf und heftig und er keuchte wie nie. Seine Kehle war staubtrocken, er wollte nur noch etwas trinken. Statt sich im Garten zu verstecken, wollte er also erst ins Haus. Er drückte die Klingel, jemand musste direkt am Öffner stehen, denn sofort öffnete sie sich.
Gerade aber, als Manuel die Tür aufmachte, preschte Marc heran. Er hatte so eine Geschwindigkeit, dass er nicht rechtzeitig abbremsen konnte, - und prallte mit seinen ausgestreckten Armen in fast vollem Lauf gegen die dicke Glastüre von Manuels Haus. Durch die große Wucht bekam die Glaseinlage der Tür sofort zwei Sprünge genau an den Stellen, gegen die Marc mit seinen beiden Händen aufprallte. Augenblicklich kamen die Eltern herausgestürmt. "Ist euch was passiert!?...,...Mein Gott, wie habt ihr das wieder hinbekommen? - Ich seh' schwarz!" Marc hatte sich nur leicht am Handballen geschnitten, verbiß sich das Weinen und war mit einem Pflaster schnell verarztet. Aber die Tür... sie war zwar nicht völlig kaputt, doch zwei unschöne Sprünge liefen quer von links nach rechts über das Glas. Klebeband würde sicher nicht ausreichen...
Bis zur Reparatur der Türe hatte es ein paar Wochen gedauert und war auch nicht ganz fertig, hieß es immer. Während dieser Zeit waren Manuel und Marc nur noch selten in den Dschungel gegangen. Das Spielen machte nicht mehr diesen Spaß , den es vorher gemacht hatte. Sie spielten eher oberflächlich, nicht mehr so wild und ungebremst. Das lag wohl auch am Wetterumschwung. Der Sommer ging langsam zu Ende. Die Sonne schien nicht mehr oft und manchmal wehte bereits ein kühler Wind durch das Gestrüpp des Dschungels.
"Tja, die Reparatur", seufzte der Vater nun eines Tages zu Manuel, "das wird keine einfache Sache werden, darum ging es ja, als es immer hieß, sie wäre nicht fertig. Du weißt, daß auch wir hier zur Miete wohnen, das Haus gehört uns nicht, sondern Frau Stoer, -du kennst Sie ja noch. Mit der Tür ist es schwierig, weil der Glaseinsatz künstlerisch verziert ist, wie Du weist, und durch Marcs Aufschlag sind die Verzierungen jetzt kaputt. Wenn die Tür und das Haus uns gehören würden, würden wir den Einsatz einfach rausnehmen, wegschmeißen und durch einen billigen, schmucklosen ersetzen lassen. Das würden auch wir zahlen wenn´s sein müsste. Aber die Frau Stoer will das alte Glas mit den Verzierungen und Glasmalereien wieder und das muß man jetzt ganz neu anfertigen lassen. Man muss dazu extra einen Kunstglaser kommen lassen und das kostet." "Wieviel wird es sein?" Manuel schluckte, denn sein Vater sprach ernst und bekümmert. " Es werden wohl so um die 3000€ ,sagt Frau Stoer, das Ding war sehr teuer. Beide schwiegen sich an. " Unsere Versicherung zahlt nicht, sagt sie, denn Du warst ja nicht der Schuldige, fuhr Vater fort, also muss die Versicherung von Marcs Eltern zahlen. Deine Mutter hat schon ein paar Mal angerufen aber keinen erreicht. Heute hat sie jedenfalls Marcs Mutter erreicht und seine Mutter will sich nicht an die Versicherung wenden, scheinbar hat Marc schon öfter was angestellt, was die Versicherung zahlen musste, und mit jedem mal erhöht sich der Versicherungsbeitrag, es wird dann immer teuerer, Marc zu versichern. Jedenfalls haben die Beiden vereinbart, den Preis zu teilen, aber Marcs Eltern können ihre Hälfte nicht auf Einmal zahlen und müssen jeden Monat ein bisschen zahlen."
Von nun an rief Marc nicht mehr bei Manuel an, und Manuel traf ihn nicht mehr im Dschungel, nur noch ihre Mütter telefonierten ein paar mal miteinander. Als Manuel bei Marc anrief, war nur seine Schwester am Telefon, und sagte, Marc sei nicht da. Manuel sah in eigentlich nur noch zweimal, beim einen Mal ging Marc gruß- und wortlos auf der Straße an ihm vorbei. Das andere Mal sah Manuel ihn von Weitem, wie er mit Bertram und Jockel die Straße entlang trottete und es sah so aus, als gingen sie auf den Dschungel zu. Schon wollte Manuel zu Ihnen losrennen, aber sie bogen auf der Straße kurz vor dem Dschungel ab in Richtung ihres Mietblocks und gingen einfach am Dschungel vorbei. Manuel sah Ihnen noch nach bis sie verschwunden waren.
 

Charima

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Hallo, Eiros!

Entschuldige bitte, daß ich mich erst jetzt zu Wort melde, aber ich wollte Deine Geschichte in vollkommener Ruhe lesen, bevor ich Dir etwas dazu schreibe. Aufgefallen sind mir beim Lesen mehrere Dinge.

Zuerst einmal weiß ich nicht, wieso Du Deine Geschichte schlecht findest. Wie Deine andere gefällt sie mir ziemlich gut. Besonders dicht wird sie meiner Ansicht nach (auch sprachlich) im letzten Drittel Deines Textes. Vor allem das Ende hat mich angerührt - ich mußte weinen, weil ich weiß, daß es in der Realität leider oft genug genau so ist.

Wo Du etwas verbessern könntest:

Der Titel lautet "In unser'm Dschungel", es wird jedoch aus keiner Ich- oder Wir-Perspektive erzählt. Das hat mich irritiert.

Ansonsten könntest Du Deinen Text insbesondere auf Wiederholungen und Füllwörter (wie 2X "zugewachsen", oft "man", "aber", "auch") untersuchen. Wenn Du daran arbeitest, wird der Text noch um etliches runder werden, davon bin ich überzeugt. Aber auch so halte ich ihn für ziemlich gelungen! :)

Liebe Grüße,

Charima
 



 
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