Ingrid
Ingrid war Klassenbeste. 3 Jahre lang saß ihr die Krone sicher - eine durchaus beachtliche Zeit.
Vom Lehrpersonal hofiert, von uns Mitschülern eher geduldet als gemocht, ging sie stets mit hocherhobenem Haupt und gerümpfter Nase ihrer Wege. Sie las viel, sprach wenig, beteiligte sich in der Freizeit selten an unseren Spielen. Das störte niemanden sonderlich. Ingrids Gegenwart während der Unterrichtsstunden genügte uns vollkommen.
Ich hatte meine Freundin Luise; die war eine der gehässigsten, wenn es galt, Ingrid herunterzuputzen.
Eines Abends - ich hatte Spüldienstwoche, leider zusammen mit Ingrid - tat diese ein bisschen geheimnisvoll. Überfreundlich machte sie mir den Vorschlag, das kommende Wochenende bei ihr zu verbringen. Ich wollte nicht unhöflich sein. So erbat ich mir Bedenkzeit. Ich wusste jedoch sofort, dass ich die Einladung keinesfalls annehmen wollte. Ingrid meinte, die anderen brauchten ja nichts davon zu wissen; so würden wir ein Geheimnis teilen. Mir schmeckte das Ganze nicht und so sagte ich ihr anderntags, reichlich schroff, ab.
Bereits einen Monat später erfuhr ich, dass Luise, ausgerechnet meine Freundin Luise, mit Ingrid in die Sommerferien fuhr.
Danach waren die beiden unzertrennlich.
Von da an fühlte jetzt ich mich ausgeschlossen.