inhumanitas

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Mimi

Mitglied
es gibt sie
die vergebenden

die nach den schädeln suchenden
nach den in reihen gegliederten
von der zeit zersetzten
überbleibseln
im tief des grässlichen
und keine antwort finden
zwischen dem gestern und morgen
und im heute sich trösten

ich aber vergebe nicht
dem unmenschlichen
dem klaffenden loch in der erde
dem herz einer bestie

und ihr gott den sie preisen
schnürt fester ihre schlingen
die sie flechten aus palmen
wenn sie duplizieren
sein wort
es verzerren zu spiegeln
bis das wort sie verblendet
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja. Im Namen Gottes wurden Leute verbrannt und Kriege geführt. Es hatte nicht wirklich etwas mit Gott zu tun, sondern mit dem Bild, das man sich von ihm machte.

Entsetzliche Verbrechen durch die Jahrhunderte - bis heute.

Das Gedicht arbeitet mit poetischen Bildern und ist sehr vieldeutig. Es sagt nicht, um welche Religion es geht. Aber es geht um alle, selbst um die atheistische, da hieß einer der Götter dann Stalin.
 

Tula

Mitglied
Hallo Mimi
Der Inhalt ist ok. Die Frage der Vergebung ist auch die des zeitlichen Abstands. Schuld hat ja nie die Religion, sondern der Mensch, der sie missbraucht. Manchmal braucht es die Vergebung, um eine neue Seite aufzuschlagen, siehe Apartheid in Südafrika. In keinem Falle jedoch beinhaltet Vergebung das Vergessen. Vergessen sollte man nie.

LG
Tula
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Man sollte auch nie Brecht vergessen. Das Thema ist wichtig und betrifft uns alle:

»Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Die Beschreibungen, die der New Yorker von den Gräueln der Atombombe erhielt, erschreckten ihn anscheinend nur wenig. Der Hamburger ist noch umringt von Ruinen, und doch zögert er, die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht nass, sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. ...
Ausschnitt, zitiert nach https://www.nd-aktuell.de/artikel/5643.und-wenn-sie-schon-wie-asche-im-mund-sind.html

Ja, wir dürfen die Schrecken der 1940er Jahre nicht vergessen. Aber wir vergessen.
Das Problem ist, sich selbst bei den Guten zu sehen.

Und es war nicht zu Ende. Vietnam ... Es waren Christliche Präsidenten, die Napalm und Agent Orange verwenden ließen.

Grün haben wir zu Olivgrün verwandelt. Es hat die Lage verschlimmert.

Wir sollten Freundschaft zu den Ländern des Ostens erreichen. Russland, China und viele andere.

Wir sollten nicht mehr als Bestien handeln.

Dazu gehört auch: Die Umwelt nicht weiter so zerstören, uns einschränken. Sonst werden die nächsten Kriege um Wasser geführt.

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Beim Nochmallesen des Gedichtes: Es enthält auch die Umweltzerstörung unerhörten Ausmaßes.
 

Mimi

Mitglied
Ich habe viel von Brecht gelesen und ich halte ihn für einen hervorragenden Autor von politischer Lyrik.
Gerade die politische Lyrik ist kein einfaches Genre.

Und ja, die poetischen Bilder im Gedicht sind bewusst sehr vieldeutig gelassen...
Es geht darin nicht um den einen Gott, die eine Religion, den einen Krieg , die eine Gräueltat oder die eine Zerstörung.
Das Gedicht befasst sich mit "dem unmenschlichen" in seiner vielfältigen und oft unergründlichen Form.
Das Lyrische Ich vergibt nicht, denn ich glaubte, hätte ich geschrieben "ich vergesse nicht", so hätte es eine völlig andere Bedeutung.
Es geht nicht darum einem Menschen zu vergeben, sondern um die Taten an sich.
Ich kann mich noch gut an ein sehr bewegendes Gespräch mit einer Zeitzeugin des Völkermords von Srebrenica erinnern.
"Es geht nicht um die Vergebung des Menschen, sondern um die Vergebung des Unmenschlichen."

Gruß
Mimi
 



 
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