Innehalten

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Mitglied
Servus, Sammis!

Eine provokant formulierte These stellst du da auf. Mit meiner (voreiligen) Erstlese-Erstinterpretation lag ich auch eher bei Petra. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit dein Text einen in diese Richtung lenkt, aber so, wie er formuliert ist, war auch mein erster Gedanke, dass es sich genau gegenteilig verhält: dem Wahnsinn nachzugeben wäre etwas, das aus Trägheit oder Angst (sich der eigenen Verantwortung zu stellen zettbeh) resultiert und es bräuchte im Gegenzug Mut, der Trägheit oder Angst entgegenzuwirken.

Mit dem Titel aber hattest du mich sofort und der sollte nicht vergessen werden, gibt der doch den entscheidenden Dreh und Hinweis, worum es hauptsächlich im Textanliegen geht: das Zurücktreten aus einer Situation um mit etwas mehr Distanz abzuwägen, welche Konsequenzen aus meiner nächstfolgenden Handlung vermutlich entstehen. Etwas, das man gar nicht oft genug tun kann. Vor allem dann, wenn man schon gefährlich nah am Schädlichen, am "Unmaß" (dem Wahnsinn) entlangkratzt (und dadurch die Vernunft eher in den Hintergrund gedrängt wird).

Dein Zweizeiler sagt ja auch, dass man durch "Feigheit, Trägheit oder das Verweilen im Angepassten" "bewahrt" - also gerettet - werden kann. Die Frage ist nur: wovor? Und ob das gut oder schlecht ist.
Denn wird man nicht genausooft dadurch von etwas Gutem abgehalten - eben dem Erleben von wahnsinnig Schönem, dem im Übermaß Genossenen...? Ich glaube, dass, was zwischen diesem "gut" oder "schlecht" liegt, noch viel winziger ist als ein kleiner Schritt. Haaresbreite fällt mir dazu ein. Und die zu erkennen, ist nicht leicht. Da muss man schon genau hinschauen. So, wie auch bei deinem Text. Je länger ich ihn "zerpflücke", umso besser wird er.

Die wenigen Zeilen könnten allerdings m.M.n. noch ein klein wenig ausgefeilter formuliert sein. Immerhin liegt bei einem derart kurzen Text doch die Aufmerksamkeit auf jedem einzelnen Wort. Ich hab mir erlaubt, das zu verdeutlichen:

Innehalten

Mitunter fehlt ist es nur ein winziger Schritt, der uns sogenannte Normale vom Wahnsinn trennt.
Und oft ist es Feigheit, Trägheit oder das Verweilen im Angepassten, was uns davon davor bewahrt(alternativ: davon abhält), diesen zu gehen.
Sehr gerne gelesen, weil weit entfernt von der Schlichtheit, die der Text vielleicht anfangs vortäuscht zu haben.
LG,
fee
 

Sammis

Mitglied
Hallo fee!

Die beiden Sätze habe ich vor rund 30 Jahren hingerotzt. Einfach weil sie zu dieser Zeit in meinen Ohren cool und provokativ klangen. Und ganz sicher stand Wahnsinn seinerzeit für ausrasten, Grenzen überschreiten, gegen Konventionen sein, sich auflehnen, es jedem zeigen wollen. Wenn man so will, eindeutig negativ besetzt.
Die Tage kamen mir die wenigen Worte wieder unter die Augen. Und als ich sie laß, dachte ich mitunter an ganz andere Dinge. Alles steht und fällt mit der Sichtweise auf Dinge und Situationen. Auf welcher Seite stehe ich und mit welchen Erfahrungen begegnet mir wann Neues.

So fand ich den kurzen Text vor:
Manchmal ist es nur ein winziger Schritt, der uns sogenannte Normale vom Wahnsinn trennt.
Und meist ist es Faulheit und Feigheit, was uns davon abhält, diesen zu gehen.
(Daher davon/davor (konzentrier dich, verdammt!))

Nun habe ich ihn aufgrund deiner Rückmeldung abermals leicht abgeändert und gewichtet.
Und ja, der Titel kam auch neu hinzu und innehalten bedeutet ja nicht, endgültig stehen zu bleiben.

Vielen Dank für deine Gedanken zum Text!

Gruß,
Sammis
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Sammi,
mit dem Begriff Innehalten hast du mich geködert - eines der deutschen Wörter, die ohne nähere Erklärung nicht in andere Sprachen übersetzt werden können. Deine darauf folgende Zeile wirft die Frage auf, wer ist es, der uns sogenannte Normale so nennt? Die Antwort könnte über die Definition des Begriffs Normal zu finden sein - würde mich wahnsinnig interessieren! Der fehlende Schritt zum Wahnsinn wäre dann besser einzuschätzen, auch ob es nicht noch etwas Anderes gäbe außer Feigheit, Trägheit oder Verweilen Im Angepassten, die einen den ultimativen winzigen nicht Schritt vollziehen lassen. Ja, das nachgereichte Adjektiv, wahnsinnig , verstärkt die Beschreibung eines Zustands, wie z.B. Verliebtsein , ist im Text für mich so nicht erkennbar, ansonsten im allgemeinen Sprachgebrauch aber gängig.
Mit Interesse gerne gelesen.
Herzliche Grüße.
Horst
 

Sammis

Mitglied
Hallo Horst,
dein wahnsinniges Interesse soll natürlich nicht ungehört bleiben. Normal, oder?

Was normal ist und was nicht, scheint für die Meisten doch recht klar zu sein. Normal ist normalPUNKT

Die Rede ist von normalen Umständen und normal sein, alles ganz selbstverständlich. Besonders wenn es um menschliches Verhalten und psychische Gesundheit geht.
Normal kann jedoch rasch problematisch werden, wird es als Gegensatz zu Menschen mit Behinderung oder beispielsweise bei sexueller Ausrichtung verwendet.
Denn Fakt ist, normal und anormal sind wertende Attribute. Ganz ähnlich wie gut und schlecht oder richtig und falsch. Paradox an Normal ist jedoch, das es an sich weder wahr noch falsch ist. Dennoch soll es als Messwert dienen. Hinzu kommt die Wandelbarkeit der Normalitäten. Was für unsere Ureltern als normal galt, klingt heute mitunter recht merkwürdig. Oder was hierzulande als normal gilt, ist anderswo …
Somit kann normal nie absolut betrachtet werden, bleibt immer ein relatives Maß.

Dennoch verstehen die meisten Menschen unter normal das, was der sozialen Norm entspricht, die von der Gesellschaft als gültig angesehen wird, weil es üblich ist oder der Mehrheit entspricht.

Nimmt man die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes zur Grundlage, bedeutet normal das Naturgemäße. Die durchschnittliche, natürliche Beschaffenheit, der gesunde Idealzustand eines Körpers. Zu Naturgemäß gehören jedoch auch Unregelmäßigkeiten. Anomalien sind typischer Bestandteil, Ausnahmen gehören zur Regel.

Heute wird Normalität als erwünschtes, akzeptables, gesundes, förderungswürdiges Verhalten definiert, das im Gegensatz zum unerwünschten, störenden Verhalten steht.

Weiter gibt es den statistischen, mathematischen Ansatz: Wonach das Häufigste normal ist, die kleinere Zahl für Anormales steht.
Oder den biologische, naturalistischen Ansatz nach funktionalen Kriterien. Wobei ganz grob gesagt, Naturgesetze und biologische Prozesse Normalitäten definieren.
Dann noch den soziologischen Ansatz, mit Fokus auf gesellschaftlicher Akzeptanz.
Und nicht zuletzt den subjektiven, psychologischen Ansatz: Normal ist das, was sich für eine Person in sich stimmig anfühlt.

Unterm Strich: Es ist normal, verschieden zu sein. Es gibt keine Norm für das Menschsein.

Selbstredend stammt das alles nicht von mir. Spiegelt aber weitgehend das wider, was ich zum Thema denke.

Gruß,
Sammis
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Sammis,
dein kurzer Text hat ja reichlich Reaktionen gesammelt. Das Thema bewegt offensichtlich.
Mir fehlt für Kurzprosa hier ehrlich gesagt die Prosa. "Mitunter", "Oft", "uns", das ließt sich alles recht akademisch und blutleer. Für einen Text über den Wahnsinn ist das sehr schade.
Das Thema schreit danach, in den Werkzeugkasten der Literatur zu greifen. Mit einem Protagonisten könntest du die tiefen deines Gedankens viel besser ausloten.

Viele Grüße
lietzensee
 

Sammis

Mitglied
Hallo @lietzensee,

nach mehrmaligem Überdenken bin ich damit ohnhin nicht mehr zufrieden. Irgendwie trifft es Wahnsinn nicht und wie @Horst M. Radmacher bereits anmerkte, gibt es weit mehr Gründe. Vernunft, Einsicht, Rücksichtsnahme um nur ein paar zu nennen. Mal schauen, was mir dazu noch einfallen will. Eine Geschichte zum Thema wäre ein reizvoller Weg.

Gruß,
Sammis
 



 
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