Inshallah

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Sta.tor

Foren-Redakteur
Hallo retep,

ich habe gerade Deinen Text und die Kommentare gelesen und muss sagen, dass ich vom handwerklichen nichts zu meckern habe. Der Erzählstil ist in seiner lethargisch-melancholischen Art dem Thema angepasst. Insofern ist die Form stimmig.
Am Inhalt stört mich allerdings einiges.
Warum exportierst Du den Terror nach Deutschland, wo es doch weltweit reale Schauplätze des Geschilderten gibt? Möchtest Du ein Visionär sein? Mich ärgert sowas, weil immer das Unwort 'Wunschdenken' beim Lesen im Raume schwebt. Und das scheinbar unvermeidliche Mitgefühl mit dem Beweggründen des Mörders ätzt tatsächlich.
Eine Story über einen Vertreter einer abendländischer Religion, der sich im Gewühl der Pilger in Mekka in die Luft sprengt, weil seine Tochter bei einer Massenvergewaltigung durch moslemische Jugendliche ums Leben kam, hätte wohl auch einen gewissen Unterhaltungswert, ist aber genau so irreal, wie Dein Märchen vom Wochenmarkt.

Viele Grüße

Sta.tor
 

Retep

Mitglied
Hallo Stator,

deine Ausführungen über "Wunschdenken", "Mitgefühl" mit dem Attentäter kann ich nicht nachvollziehen.

Wie kommst du darauf, dass ich als "Visionär" auftreten wollte?

Wenn man Ereignisse in einen anderen Raum (0der in eine andere Zeit) verlegt, handelt es sich nicht um "Märchen".

Gruß

Retep
 

Retep

Mitglied
Hatte den Text in verschiedenen Foren eingestellt, erhielt zahlreiche Kommentare. Habe den Text verändert, soweit es mir passend erschien.




Inshallah


Es war schon gegen Mittag. Lange hatte Hakim nicht einschlafen können, später als sonst war er aufgewacht, hatte das Zimmer angesehen, als wenn er es nie vorher gesehen hätte oder niemals wieder sehen würde.
Er konnte nicht verstehen, wie eine Kultur, in der die Schrift, die Mathematik entstanden war, die die Welt über Jahrhunderte beeinflusst und geformt hatte, in Bedeutungslosigkeit zu versinken drohte.
Hakim stand langsam auf, wusch sich und zog sich so an, als würde er zu einem Fest gehen. Als er in die Küche kam, sah er seine Frau, sie bereitete das Mittagessen vor, sein Sohn spielte in einer Ecke mit einem Feuerwehrauto. Sie brachte ihm Kaffee. Wie schön sie war.
Er verabschiedete sich und umarmte seinen Sohn und seine Frau. „Zum Mittagessen bin ich wieder da“, sagte er, wollte dann noch etwas hinzufügen, ließ es aber dann.
Er stieg die schmale Treppe aus dem zweiten Stock hinunter. Die letzte Stufe müsste einmal ausgebessert werden, dachte er. Als er aus der Haustür kam, blendete ihn Licht, er konnte zunächst nur Schatten erkennen. Die alte Frau aus dem dritten Stock kam ihm entgegen, grüßte ihn, aber er bemerkte sie nicht; sie schüttelte den Kopf und schaute ihm nach.
Er ging in Richtung Wochenmarkt. Hier war er oft zur U-Bahn gegangen, zur Arbeit gefahren. Aber heute war alles anders, er sah alles wie durch einen Nebel, alles unscharf, alles bewegte sich wie in Zeitlupe, als wenn sich die Zeit gedehnt hätte.
Leute schauten ihn an, und Hakim sah in ihren Gesichtern, was sie dachten. Für ihn, der Araber war und auch wie ein Araber aussah, war das Leben hier schwieriger geworden.
Patienten wunderten sich manchmal, einen Arzt zu sehen, der Ausländer, Araber war, sie dachten, dass die alle bei der Müllabfuhr arbeiten würden.
Sie schauten ihn misstrauisch an.
Typisch deutsche Vorstellungen, alle Schwarzen sitzen im Urwald auf Bäumen und trommeln, alle Araber sind Händler, betrügen oder sind Terroristen, dachte er.
Anfänglich wollte Hakim sich in eine neue Kultur integrieren. Er hatte die Sprache gelernt und versucht, sich anzupassen. Dann aber war er durch die herrschende Überheblichkeit und soziale Kälte abgeschreckt worden, nachdem er den Schein der sogenannten multikulturellen Gesellschaft erkannt hatte.
In abendländischen Medien wurden Migranten als hilfsbedürftige, defizitäre und pathologische Individuen beschrieben, die von ihrer Doppellast von zwei Kulturen befreit werden müssten.

Erst als er sich immer öfter mit Landsleuten getroffen hatte, fing er an, über seine Lage nachzudenken, hatte gemerkt, dass er nicht allein war. Er war sich allmählich bewusst geworden, dass man etwas tun musste, wenn sich etwas verändern sollte.

Auf dem Markt grüßte ihn ein Arbeitskollege, scheißfreundlich, falsch, ein richtiger Arschkriecher. Schöne Ferien hatte man ihm gestern gewünscht.
Das Gedränge wurde immer größer, überall Menschen, die verkauften und kauften, Blumen, Obst und Gemüse, Gewürze, Töpfe aus Ton.
Er dachte an seine Eltern und Geschwister. Sie lebten nicht mehr; irrtümlich war ihr Haus von einer Bombe getroffen worden, wie man ihm gesagt hatte.
Sein Vater war Bauer gewesen, er und seine Mutter hatten sich abgerackert, auf dem Land hatten sie bescheiden gelebt. Was in den Städten passierte, davon hatten sie kaum etwas mitbekommen.
Ein paar Schafe und Ziegen hatten sie gehabt, Olivenbäume und einen kleinen Hund.
Aber plötzlich waren Flugzeuge über sie geflogen, zum ersten Mal hatte er Panzer vorbeifahren gesehen, Männer in Uniform aus anderen Ländern waren gekommen und geblieben, zuerst Russen, dann Amerikaner, auch andere Nationen und auch Deutsche.

Hakim drängte sich durch die Menschenmassen. Er war jetzt etwa in der Mitte des Marktes. Zwei Polizisten kamen ihm entgegen, sahen ihn kurz an, gingen weiter.
Ihm wurde immer heißer, er griff unter seinen Mantel und fasste die Schnur an. Ihm wurde erst jetzt richtig bewusst, was er da machen wollte; seine Sicherheit verlor sich ein wenig, er versuchte sich zu beruhigen.
Für seine Familie würde gesorgt werden, sie würde Deutschland verlassen. Er war jetzt und hier im Einsatz, im Dschihad, im Einsatz für die Sache Gottes.
Ihm waren in der letzten Nacht nicht die beiden Grabesengel erschienen, hatten ihn nicht über seinen Glauben befragt; er würde direkt ins Paradies eingehen.
Er tauschte dieses diesseitige Leben für ein jenseitiges ein, damit die nach ihm kamen, sich nicht mehr fürchten , nicht mehr trauern müssten.

Alles begann sich um ihn herum zu drehen, zu kreisen. Er hörte Geräusche, Verkehrslärm, Stimmen, als hätte er Wasser in den Ohren.
Er schaute sich noch einmal um und zog an der Schnur, alles würde zu Ende sein.
Und dann sah er seine Frau und seinen Sohn, sie liefen ihm winkend entgegen. Jetzt waren sie schon fast bei ihm.

„Allah baha“, flüsterte er.
 

Retep

Mitglied
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Gruß

Retep
 

Retep

Mitglied
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Inshallah


Es war schon gegen Mittag. Lange hatte Hakim nicht einschlafen können, später als sonst war er aufgewacht, hatte das Zimmer angesehen, als wenn er es nie vorher gesehen hätte oder niemals wieder sehen würde.

Hakim stand langsam auf, wusch sich und zog sich so an, als würde er zu einem Fest gehen. Als er in die Küche kam, sah er seine Frau, sie bereitete das Mittagessen vor, sein Sohn spielte in einer Ecke mit einem Feuerwehrauto. Sie brachte ihm Kaffee. Wie schön sie war.
Er verabschiedete sich und umarmte seinen Sohn und seine Frau. „Zum Mittagessen bin ich wieder da“, sagte er, wollte dann noch etwas hinzufügen, ließ es aber dann.
Er stieg die schmale Treppe aus dem zweiten Stock hinunter. Die letzte Stufe müsste einmal ausgebessert werden, dachte er. Als er aus der Haustür kam, blendete ihn Licht, er konnte zunächst nur Schatten erkennen. Die alte Frau aus dem dritten Stock kam ihm entgegen, grüßte ihn, aber er bemerkte sie nicht; sie schüttelte den Kopf und schaute ihm nach.
Er ging in Richtung Wochenmarkt. Hier war er oft zur U-Bahn gegangen, zur Arbeit gefahren. Aber heute war alles anders, er sah alles wie durch einen Nebel, alles unscharf, alles bewegte sich wie in Zeitlupe, als wenn sich die Zeit gedehnt hätte.
Leute schauten ihn an, und Hakim sah in ihren Gesichtern, was sie dachten. Für ihn, der Araber war und auch wie ein Araber aussah, war das Leben hier schwieriger geworden.
Patienten wunderten sich manchmal, einen Arzt zu sehen, der Ausländer, Araber war, sie dachten, dass die alle bei der Müllabfuhr arbeiten würden.
Sie schauten ihn misstrauisch an.
Typisch deutsche Vorstellungen, alle Schwarzen sitzen im Urwald auf Bäumen und trommeln, alle Araber sind Händler, betrügen oder sind Terroristen, dachte er.

Er konnte nicht verstehen, wie eine Kultur, die in der Vergangenheit die Mathematik und andere Wissenschaften weiter entwickelte, eine Schrift erfand, die die Welt über Jahrhunderte beeinflusste und formte, in Bedeutungslosigkeit zu versinken drohte.

Anfänglich wollte Hakim sich in eine neue Kultur integrieren. Er hatte die Sprache gelernt und versucht, sich anzupassen. Dann aber war er durch die herrschende Überheblichkeit und soziale Kälte abgeschreckt worden, nachdem er den Schein der sogenannten multikulturellen Gesellschaft erkannt hatte.
In abendländischen Medien wurden Migranten als hilfsbedürftige, defizitäre und pathologische Individuen beschrieben, die von ihrer Doppellast von zwei Kulturen befreit werden müssten.

Erst als er sich immer öfter mit Landsleuten getroffen hatte, fing er an, über seine Lage nachzudenken, hatte gemerkt, dass er nicht allein war. Er war sich allmählich bewusst geworden, dass man etwas tun musste, wenn sich etwas verändern sollte.

Auf dem Markt grüßte ihn ein Arbeitskollege, scheißfreundlich, falsch, ein richtiger Arschkriecher. Schöne Ferien hatte man ihm gestern gewünscht.
Das Gedränge wurde immer größer, überall Menschen, die verkauften und kauften, Blumen, Obst und Gemüse, Gewürze, Töpfe aus Ton.
Er dachte an seine Eltern und Geschwister. Sie lebten nicht mehr; irrtümlich war ihr Haus von einer Bombe getroffen worden, wie man ihm gesagt hatte.
Sein Vater war Bauer gewesen, er und seine Mutter hatten sich abgerackert, auf dem Land hatten sie bescheiden gelebt. Was in den Städten passierte, davon hatten sie kaum etwas mitbekommen.
Ein paar Schafe und Ziegen hatten sie gehabt, Olivenbäume und einen kleinen Hund.
Aber plötzlich waren Flugzeuge über sie geflogen, zum ersten Mal hatte er Panzer vorbeifahren gesehen, Männer in Uniform aus anderen Ländern waren gekommen und geblieben, zuerst Russen, dann Amerikaner, auch andere Nationen und auch Deutsche.

Hakim drängte sich durch die Menschenmassen. Er war jetzt etwa in der Mitte des Marktes. Zwei Polizisten kamen ihm entgegen, sahen ihn kurz an, gingen weiter.
Ihm wurde immer heißer, er griff unter seinen Mantel und fasste die Schnur an. Ihm wurde erst jetzt richtig bewusst, was er da machen wollte; seine Sicherheit verlor sich ein wenig, er versuchte sich zu beruhigen.
Für seine Familie würde gesorgt werden, sie würde Deutschland verlassen. Er war jetzt und hier im Einsatz, im Dschihad, im Einsatz für die Sache Gottes.
Ihm waren in der letzten Nacht nicht die beiden Grabesengel erschienen, hatten ihn nicht über seinen Glauben befragt; er würde direkt ins Paradies eingehen.
Er tauschte dieses diesseitige Leben für ein jenseitiges ein, damit die nach ihm kamen, sich nicht mehr fürchten , nicht mehr trauern müssten.

Alles begann sich um ihn herum zu drehen, zu kreisen. Er hörte Geräusche, Verkehrslärm, Stimmen, als hätte er Wasser in den Ohren.
Er schaute sich noch einmal um und zog an der Schnur, alles würde zu Ende sein.
Und dann sah er seine Frau und seinen Sohn, sie liefen ihm winkend entgegen. Jetzt waren sie schon fast bei ihm.

„Allah baha“, flüsterte er.
 



 
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