Intri G.

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Aufschreiber

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„Der Neue, das ist die totale Pflaume.“, meinte Hubert aus der Vierten.
„Der passt einfach nicht. Ist jetzt fast ein Vierteljahr hier, war schon beinahe in jeder Abteilung und ist überall abgeblitzt. Den will niemand.“
Bernd, der aus der Achten bei uns gelandet und sofort bei allen beliebt war, ergänzte: „Hat einer von Euch mal gesehen, was der für eine Schrottkarre fährt?
Dem zeigen wir einfach, wo es zum Tempel raus geht. Du machst doch mit, Jörg?“

Jörg, das bin ich. Und natürlich war ich dabei, denn schließlich hatten sie ja Recht. Der Neue, der *Herr Buntzert* - ja, der ließ sich wirklich nach drei
Wochen noch siezen - war einfach ein eingebildeter Fatzke. Die Mittagspause über saß er allein an einem Tisch. Las seine 'Financial Times', als handele es sich um das Neue Testament, beinahe andächtig. Man merkte sofort, dass der sich für was Besseres hielt. Korrekt war er, bis zum Erbrechen. Kein falscher Zungenschlag, immer freundlich aber distanziert.

Edi, der bisher nur zugehört hatte, blinzelte uns zu und flüsterte verschwörerisch: „Am Donnerstag muss der Typ den Finanzreport für unsere Abteilung
abliefern. Wie wärs, wenn wir den ein bisschen - sagen wir - anpassen?“
Gebrummelte Zustimmung machte sich breit. Also war es beschlossene Sache. Jeder würde kleine Fehler in die zugearbeiteten Daten einbauen, so dass der Buntzert vor dem Planungsausschuss wie ein Trottel dastünde. Den waren wir so gut wie los.

Am Mittwoch, kurz vor Arbeitsschluss, stand der Kerl plötzlich an meinem Platz. Er wirkte ein wenig verunsichert.
„Herr Gemeinhardt, es ist mir unangenehm, aber ich muss Ihre Aufmerksamkeit auf die mir zugearbeiteten Ergebnisse lenken. Ich bin mir sicher, Ihnen ist hier ein kleiner Fehler unterlaufen.“
Mit diesen Worten reichte er mir einen Ausdruck der Tabelle, die ich für ihn präpariert hatte.
Mir schoss das Blut ins Gesicht. So ein Mist, Ausgerechnet mich musste der erwischen. Ich startete noch einmal das Kalkulationsprogramm und öffnete meine Datei.
Mit Unschuldsmiene zeigte ich auf den Monitor und sagte: „Das verstehe ich nicht. In meinem Dokument steht hier etwas anderes. Bitte sehen Sie.“

Beinahe wäre ich vom Sessel gefallen, als ich seinem Blick auf meinen Bildschirm folgte. In meiner Tabelle prangte die gleiche falsche Zahl, wie auf dem Papier!
Buntzert entgegnete trocken: „Bitte überprüfen Sie Ihre Zahlen noch einmal. Ich möchte morgen nicht mit fehlerhaften Daten vor den Ausschuss treten.“
Damit wandte er sich zum Gehen. An der Tür hielt er kurz inne und ergänzte: „Ich würde die korrigierte Version bis spätestens heute Abend, sagen wir 19.30 Uhr, brauchen.“
Dann verschwand er, leise, fast wie ein Spuk.
„Mist!“, murmelte ich vor mich hin, ärgerte mich, der Ertappte zu sein. Wie es schien, waren die anderen Drei cleverer gewesen. Ich musste mir etwas weniger Offensichtliches einfallen lassen, um dem Schnösel mitzuspielen... - Aber was?
Nach einiger Grübelei hatte ich die zündende Idee. Ich korrigierte den ersten Fallstrick, änderte aber drei Zahlen geringfügig. Darauf würde der nie kommen, zumal zwei der Fehler auch noch in dem Abschnitt lagen, den Edi geliefert hatte...
„Das dürfte es gewesen sein, Herr 'Financial Times'!“, frohlockte ich, als ich meinen Rechner herunterfuhr.

Am Donnerstag saßen wir alle gespannt am Frühstückstisch. Der Buntzert ließ sich nicht blicken, hatte wohl nichts bemerkt. Auch zum Mittagessen blieb die Zeitung, die ihm Evi, die hübsche Sekretärin, täglich bereitlegte (wer weiss, vielleicht hatte die ja was mit ihm) unangetastet. Er kam nicht.
Ein Gefühl des Triumphes machte sich in mir breit. Vielleicht hatten sie ihn schon gefeuert?
Die anderen schienen sich nicht so sicher zu sein. Sie blieben wortkarg. Es kam mir vor, als vermieden sie es, mich anzusehen.

Als der Feierabend heran war, ohne dass man nur die geringste Spur des Delinquenten gesehen hätte, trat ich auf dem Weg zum Fahrstuhl an Hubert heran. Ich stieß ihn leicht in die Rippen und schlug vor: „Na, Alter, den sind wir bestimmt los. Wollen wir noch schnell bei Harald ein Bier trinken?“
Nervös wehrte Hubert ab: „Keine Zeit, Jörg. Ich hab heute doch mein Rendezvous mit der Blonden aus dem siebten Stock. Hab dir doch von ihr erzählt.“
Ich war platt. Hubert hatte von allen möglichen Damen erzählt, denen er - alternder Junggeselle mit ausgeprägtem Machismo - hinterherstieg. Aber eine Blonde aus Etage Sieben hatte er nie erwähnt.
Das war kein Beinbruch. Ich wandte mich Bernd und Edi zu, die offenbar ganz in einen Disput über die Aufstiegsschancen ihrer Lieblingsmannschaft, des 'Gummersdorfer FC', versunken waren.
„Wie sieht es mit Euch beiden aus?“, fragte ich.
Bernd wurde rot, Edi blass.
„Heute nicht. Wir sind zum Vereinsabend bei den Gummerdorfern eingeladen.“
Also auch Fehlanzeige. Ein wenig verloren wanderte ich durch die Altstadt, an Haralds 'Schinkenklopferei' vorbei, nach Hause.
An diesem Abend ging ich zeitig zu Bett.

Der Freitagmorgen sah mich dann auch entsprechend frühzeitig in meinem Bad stehen. Zur Feier des Tages gönnte ich mir eine perfekte Rasur, statt des alltäglichen Stoppelkratzens.
Als ich meinen Rechner einschaltete war es kaum dreiviertel Acht. Die Kollegen würden zeitigstens in zehn Minuten einzutrudeln beginnen. Ich rief meine Mail ab. Ahja, da war auch eine vom Personalbüro. Sicher die Info über Buntzerts Ausscheiden. Wieso hatte ich die gestern nicht schon gesehen?

Ich klickte die Betreffzeile an und las.
:: Werter Kollege: GEMEINHARDT, J.

bitte finden Sie sich am Freitag, dem 13.05.2005 um 8:15 Uhr im Personalbüro ein.

HR, E. Gutwasser.::


Was sollte das bedeuten? Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Ich schaute auf die Uhr. Es war bereits 8:05 Uhr. Wieso kamen die anderen nicht?
Heisskalt wechselgebadet machte ich mich auf den Weg in die elfte Etage.
Was mochte Gutwasser von mir wollen? Der Personalchef war nicht für übermäßige Freundlichkeit bekannt. Und Termine bei ihm hatten selten einen positiven Anlass.

Ich klopfte kurz an und trat nach einem fast gebellten 'Ja!' in Dr. Gutwassers Büro ein.
Mir stockte der Atem. Da saßen neben dem Personaldirektor auch Buntzert, sowie Hubert, Bernd und Edi. Sie sahen sehr ernst aus.
Der Personaler hieß mich Platz zu nehmen und schaute mich einen Moment lang eindringlich an.
Dann holte er tief Atem und begann: „Herr Gemeinhardt, Sie haben bei der Bearbeitung der Berichtsdaten zur Auftragsentwicklung wissentlich falsche Daten angegeben, um, wie uns von Ihren hier anwesenden Kollegen bestätigt wurde, dem Ansehen unseres Mitarbeiters, Herrn Buntzert, zu schaden. Damit haben Sie nicht nur gegen das im Unternehmen geforderte kollegiale und faire Verhalten verstoßen, sondern auch noch Unstimmigkeiten im Geschäftsbericht provoziert, die, wären sie unentdeckt geblieben, einen Verlust von (er zog sich eine Tabelle heran und studierte sie kurz) 1,12 Millionen Euro hervorgerufen hätten.
Erschwerend kommt hinzu, dass Sie Ihre Manipulationen im Aufgabenbereich eines Kollegen ausführten, was offensichtlich den Verdacht auf diesen lenken sollte.
Aus diesem Grunde sehen wir uns veranlasst, uns mit sofortiger Wirkung von Ihnen zu trennen.“
Mit diesen Worten griff er nach einem bereitliegenden Umschlag, den er mir herschob.
Wie in Trance erhob ich mich schweigend und wankte zur Tür.

Als ich im Lift stand, traten die drei Verräter in die Kabine.
Ich schaute aus brennenden Augen in Huberts stahlgraues Gesicht und krächzte: „Warum?“

Er grinste den anderen beiden zu und erwiderte: „Buntzert ist der neue GF, Jörg. Und du warst schon immer ein Arschloch.
Keiner will dich.“
 
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GerRey

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Hallo Aufschreiber!

Ja, wer anderen eine Grube gräbt ... Sehr schön und flott erzählt. Aber ob der Jörg durch die Kündigung geläutert ist, wage ich zu bezweifeln. Solche Geschichten wiederholen sich, und irgendwann ist er wieder am Drücker.

Eigentlich eine scheiß Welt - aber die Wirklichkeit!

Gruß
GerRey
 
Hallo Steffen,

wie GerRey schon sagte: scheiß Welt. Jeder ist sich selbst der Nächste. Hinterhältig und gemein.
Und dass er ausgerechnet am Freitag, den 13. in die selbst gegrabene Grube fällt, ist bestimmt Absicht.

Ich klopfte kurz an und trat nach einem fast gebellten 'Ja!' in Dr. Gutwassers Bür huch, hier endet der Satz.
Der Personaler hließ mich Platz nehmen ...
„Herr Gemeinhardt Komma Sie haben bei der Bearbeitung der Berichtsdaten ...
Damit haben Sie nicht nur gegen das im Unternehmen ...
Erschwerend kommt hinzu, dass Sie Ihre Manipulationen ...

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 

Hans Dotterich

Mitglied
Hallo,

Gefällt mir. Die Charaktere sind plastisch, der Erzählstil aus einem Guss, kurz und bündig die Details.

Eine Idee kam mir am Schluss: die Liftszene. Für die Stoty wäre es kein Schaden, wenn die Rache etwas kühler herüber kämme. Sttat es Jörg explizit ins Gesicht zu sagen, könnten die Mitfahrer es lakonisch halten, "Sei froh, Jörg, jetzt brauchst Du diesem B. nicht als GF hinterher zu hecheln." (ich weiß, mein Vorschlag ist nicht ausgereift.) Die Pointe funktioniert auch dann noch.

Grüße

Hans

P.S.: Ist das von der Struktur her nicht schon eine Kurzgeschichte ?
 
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Aufschreiber

Mitglied
Hallo Rainer,

wie immer vielen Dank für Deine Hinweise. Einen habe ich mssachtet, weil das "hieß" von "Geheiß" - also Anweisung - abgeleitet ist, das "H" also bewusst geeählt wurde. Alle anderen Schwächen habe ich gern korrigiert.

Allen anderen:
Ich freue mich sehr, dass die Geschichte Euch bewegt und der Stil Euch zusagt.
Ich war mir selbst nicht sicher, ob man das schon eine Kurzgeschichte nennen sollte, deshalb habe ich es hier eingestellt.
Ich habe keinerlei Einwände, sollte ein Mod sie verschieben.

Beste Grüße,
Steffen
 



 
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