Inventur

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James Blond

Mitglied
Der Mensch merkt oft, dass Dinge fehlen,
wenn er versucht, sie abzuzählen.
Und fraglich wird der Suche Sinn:
Was hier verschwand - wo ist es hin?

Die Flamme, die ein Hauch verblies,
die Seele, die die Welt verließ,
ein Schatten, der, durch Licht geschehn,
im Dunkeln ward nicht mehr gesehn?

Wo blieb das Loch, als es gefüllt
und wo der Durst, der nun gestillt,
die Hoffnung, die man mir geraubt,
die Schuld, an die ich nie geglaubt?

Bestimmt gibts eine andre Welt,
die alles, was uns fehlt, enthält.
 

molly

Mitglied
Bestimmt gibts eine andre Welt,
die alles, was uns fehlt, enthält. *****

Das tröstet doch über den Verlust so vieler Dinge.
Viele Grüße
molly
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Flamme, die ein Hauch verblies,
die Seele, die die Welt verließ,
ein Schatten, der, durch Licht geschehn,
im Dunkeln ward nicht mehr gesehn?
Ein schönes Stück, aber diese Strope stört mich doppelt. Einerseits, wegen der unschönen Doppelung des Todes. Ich meine Zeile eins und Zeile zwei meinen ja exakt dasselbe, es ist also unsinnig das doppelt zu schreiben. Andererseits die letzte Zeile, die schon arg für den Reim gebrochen scheint.

Eine mögliche Lösung wäre zb;

Die Flamme, die ein Hauch verblies
als die Seele die Welt verließ -
ein Schatten, der, durch Licht gesehen
im Dunkeln wandert, ungesehen?
Aber das ist nur ein rascher Vorschlag, der vielleicht noch nicht das gelbe vom Ei ist.

Lg
Patrick

PS; ist dein Stück eine bewusste Anlehnung an Eichs "Inventur"?
 

James Blond

Mitglied
Nein, lieber Patrick,

es ist keine Anlehnung an Eich.

Auch handelt es sich keineswegs um eine 'Doppelung' in den Versen 1 und 2, sondern um eine Parallelität, in der sich die Aussage versteckt, dass von der Seele ebenso wenig übrig bleibt, wie von einer verlöschenden Kerzenflamme. Gewiss ist das Bild der erlöschenden Flamme die bekannteste und oft gebrauchte Metapher für den Tod, aber dass sie zugleich auch eine deutliche Abkehr von der Vorstellung eines Lebens nach dem Tod beinhaltet, wird meist übersehen.

Diese Inventur versammelt Dinge virtueller Existenz, die sich allesamt ins Nichts auflösen können – ohne irgendwo Reste zu hinterlassen – und stellt sie 'der Seele, die die Welt verließ' zur Seite, um den Gedanken des Verlassens in eine andere Welt zu ironisieren, ihn als Versuch einer Selbsttröstung herauszustellen.

Ein leichter Bezug zu Eich ergibt sich aus dem Titel wohl schon: Inventur als Versuch einer nüchternen, illusionsfreien Bestandsaufnahme, hier allerdings ironisch verpackt in ein scheinbar lustiges Spiel mit Licht und Schatten. Nun frage ich mich allerdings, ob das überhaupt so erkannt wird.

Grüße
JB
 



 
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