inversion

4,50 Stern(e) 2 Bewertungen

Lastro

Mitglied
Wenn ich dich richtig verstehe, Mondnein, ist das ein sehr politischer, philosophischer Text. Sehr schön verdichtet.
Ich erlebe hier in Australien je eher die amerikanische Art, die Dinge anzugehen. Die neue Geburt, die neue Idee zählt, die den Geist für eine Weile vitalisiert oder einfach mit was Neuem beschäftigt. Die Kontemplation, die Rückbesinnung, wird vermieden, riecht sie doch nach Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens und damit dessen Vergänglichkeit. Meine Arbeit in den Altenheimen, die Konfrontation mit der lebenszeitlichen Begrenztheit, dem Verfall und dem Tod hat meine berufliche Haltung und meine therapeutische Zielsetzung seinerzeit grundlegend verändert. Von Natur aus sind wir ja ausgerüstet, vom Tod ergriffen zu werden, und die Sterbeerfahrung zu bewältigen. Diese Erfahrung gehört zum Lebensspektrum und birgt eine einzigartige Atmosphäre für alle daran Teilnehmenden. Wir sollten für eine gute „Sterbekultur“ sorgen. Bernd
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ich bin Dir, Bernd-"Lastro",

überaus dankbar für diesen schönen Brief. Ich habe ihn schon drei mal gelesen und werde ihn mir noch einige Male zu Gemüte führen. Verankerung im unmittelbaren Leben. Prüfstein des Gedichts.

Ja, ich lese diesen Brief noch einige Male,

grusz, hansz
 

James Blond

Mitglied
Und ich habe dieses Gedicht sehr viel öfter als nur dreimal gelesen und kann danach mit einiger Sicherheit zumindest feststellen, dass es hier nicht um den angelssächsischen Pragmatismus des zukunftsorientierten Nachvorneschauens geht und auch nicht um Konnotationen zur Sterbeerfahrung.

Zustimmen würde ich darin, dass es sich hierbei eher um einen philosophischen als einen lyrischen Text handelt, auch wenn der Versuch, durch vollständigen Verzicht auf Großbuchstaben und Satzzeichen etwas Avantgardistisches zu produzieren, offensichtlich ist.

Entfernt man in S1 diese optische Kosmetik ebenso wie die Zeilenumbrüche, erhält man trotz des Reimpaares zwei prosaische Halbsätze:
"Nicht das Woher, sondern das Wohin seine Heimat zu nennen, sich als die Welt ringsumher, in der sich die Welt kennt, zu kennen"
Derart prosaisch entstylt wird die semantische Unvollständigkeit der Aussage offensichtlich, und auch die rückbezügliche Chiffre der "Welt ringsumher, in der sich die Welt kennt", verpufft als Tautologie, weil "Welt" sich stets "ringsumher" befindet und weil sie stets ein Wissen und damit auch Kenntnis über sich besitzt.

Die Verbindung von Heimat und Zukunft (das wohin) mag zunächst irritieren, ist hier jedoch ganz klassisch theologisch konnotiert, wird doch in S2 dann von Geburt und Tod gesprochen. "Wo kommen wir her, wo gehen wir hin?" ist der übliche Topos religiöser Fragen. Folglich wird die dazu "die Welt" in S2 teleologisch (nicht: theologisch) aufbereitet:
Die aber hat in dir ihr Ziel: Die Geburt, die nie endet, [der] Tod, der sich nicht sieht - es sei denn ins Fremde gewendet.
Jetzt sollte eigentlich klar sein, worum es hier geht: Nicht um die Welt, sondern um das Leben in ihr, das sich ständig neu hervorbringt (die Geburt, die nie endet), wobei jedes Individuum den eigenen Tod nicht erfahren kann (der sich nicht sieht) , sondern nur aus der Beobachtung anderer (ins Fremde gewendet).

Für mich ist das - vom "avantgardistischen" Pimp up einmal abgesehen - recht banale altbackene Philosophie (, meinetwegen neudeutsch auch "filosofie"). Und es ist zugleich ein Lehrstück, wie die Absicht unter der Maske der Chiffrierung schwindet und ein philosophischer Allerweltstext zum Plädoyer für Sterbeerfahrung (und womöglich auch noch für Sterbehilfe) wird.

Wie sagte es unlängst ein LuLu-Mitglied: Soll sich doch jeder seinen Reim drauf machen. ;)

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
wird die semantische Unvollständigkeit der Aussage offensichtlich

richtig bemerkt.

Die semantische Offenheit (nicht wirklich "Unvollständigkeit") des freischwebenden Infinitivs hat in meiner Sichtweise etwas mit der Umkehrung der Subjekt-Objekt-Polarität zu tun. Eine lyrisch-banale Form-Inhalt-Entsprechung.

Die Identität von unabgeschlossener Geburt der Welt im scheinbaren Subjekt und Tod der Welt-in-Welt-Reflexion bleibt unerörtert - warum auch soll sie erörtert werden? - - aber banal? Sehe ich nicht so, trotz des klanglichen Reims aufs intentional Ungereimte dieser paradoxen Identität.
 

James Blond

Mitglied
Klanglicher Reim auf intentional Ungereimtes, paradoxe Identität, lyrische Banalität, Subjekt-Objekt-Polarität?
Das sind auf nüchternen Magen recht unverdauliche Brocken. Ich geh besser frühstücken ... :)
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Mich interessiert eigentlich herzlich wenig, was es alles für Nichtverständnisse eines Gedichtes gibt, als vielmehr: auf welche Arten und Weisen Menschen etwas verstehen, sei es eine harmonische Fügung in der Musik, sei es eine mathematische Funktion, sei es die Schrift im Birkenborkenpapier, sei es das herzerweichende Greinen der Babies, in deren Mund sich Gott sein Lob bereitet.

Thema dieses Liedes hier oben ist nun einmal die Subjekt-Objekt-Polarität. Muß nicht jeden interessieren.

Ignoranz - ? Nein, interessiert mich nicht. Wäre auch reine Zeitverschwendung, die Löcher im Nichts zu zählen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Dankeschön, Keram und Franke!

Mich selbst beschäftigt dieses Lied, seit ich es hier eingebracht habe, besonders.

Aber ich bin nun mal ein Leibundmagenphilosoph, ich stelle mir gern solche inneren Diskussionsfragen, die die Perspektive (Subjekt <= Objekt) umstülpen.

grusz, hansz
 

James Blond

Mitglied
Man sollte bei der Betrachtung der Subjekt-Objekt-Polarität nur nicht die Dialektik von Verstehen und Nichtverstehen übersehen. Gar mancher endet bei seiner übergreifenden Zählung der Arten des Verstehens bei den Löchern im Nichts ohne es zu merken.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ganz recht, James Blond.

Nur, daß Dein Nichtverstehenwollen das Kunststück vollbringt, der Dialektik von Verstehen und offener Frage auszuweichen. Ignoranz ist das, woran jede Vermittlung ("Dialektik" im hegelschen Sinn) scheitert. Das Denken mit den Füßen (oder gar mit dem Schwarzausgang), statt mit den Gedanken. Das Diskutieren mit der Verweigerung, mit dem Diskussionsabbruch statt mit Fragen und Argumentieren. Die "Dialektik" lebt aus der Offenheit der Frage und dem Fluß des grenzenüberwindenden Verhandelns vorläufiger Grenzen und schwankender Symmetrieachsen.
"Nichtverstehen" ist allein sinnvoll in der Offenheit der Frage, nicht im Begründungsabbruch.
Zumal das Nichtverstehenwollen sich mit dem Vorwurf der "Banalität" beißt. Sonst lecken sich die Hunde ihre Eier (wird gerne gekalauert, ich kenne mich mit Hunden nur aus, wenn es sich um meine "alten Hündchen" der Zehnerjahre handelt), anstatt ihre Zähne in die Nüsse hineinzuschlagen. Das mit der "Banalität" war natürlich bösartiger Quatsch, und grauenhaft begründet. Dünnpfiff aus dem Schwarzausgang.

Ich empfehle Dir im Übrigen dringend, die alten Diskussionsbeiträge zur Kleinschreibung noch einmal hervorzuholen, sei es aus dem Archiv, sei es aus dem Gedächtnis. Die Brüder Grimm, später dann der elitäre George, und in principio die karolingische Schriftreform von Annopief und und und -
so weit von Avantgarde entfernt wie die End- und Binnenreime dieses in der Gestaltung ziemlich konventionellen Gedichts.

Ich weiß, daß Du besser argumentieren kannst. Deine Kommentare können ausgezeichnet sein.

grusz, hansz
 

James Blond

Mitglied
Lieber Hanß,

meine hiesigen Kommentare sind ausgezeichnet, selbst wo sie auf deine Kombination von Ignoranz und Arroganz treffen. Den Diskussionsabbruch betreibe nicht ich; das Denken mit den Füßen überlasse ich gewöhnlich dir, wie ein Rückblick in unsere bisherigen Diskussionen leicht verrät.

Meine Kritik auf dein optisches Aufgepimpe (durch Verzicht von Satz- und Trennzeichen und Großbuchstaben) dieses Textes erfolgte mit dem Hinweis, einen schwer verständlichen Text vielleicht dadurch etwas lesbarer zu machen, indem man sich der üblichen Hilfsmittel bedient, welche die deutsche Sprache dafür zu bieten hat. Ich sehe hier für derartige Effekte weder eine lyrische Notwendigkeit, noch habe ich sie bisher von dir erklärt bekommen. So präsentiert wird hier dein Avantgardismus zum Selbstzweck: Was neu ist, ist gut, weil es neu ist.

Die zwei Reimpaare zu Kennzeichnung des "intentional Ungereimten" sind so armselig und ähnlich in Bezug auf den philosophischen Anspruch des Textes, dass ich sie bisher verschwiegen schamvoll habe: nennen - kennen, endet - gewendet. Jeweils gleiche Wortarten und im Text fast austauschbar.

Banalität bedeutet in diesem Zusammenhang Trivialität: die Aufbereitung von etwas Offensichtlichem (ich nannte es bereits: "altbackene Philosophie") als großartige Eingebung. So ist die Umkehrung der Subjekt-Objekt-Polarität der ständige und notwendige Beobachterwechsel: Wir können unser eigenes Werden und Vergehen nur in der Beobachtung anderer erfahren. Das liegt daran, dass zur Selbsterfahrung Bewusstsein vorhanden sein muss, aber dort noch nicht ist, wo etwas entsteht und dort nicht mehr ist, wo etwas vergeht. Und das ist trivial, sofern es nicht als Grundlage für weitere Schlüsse verwendet wird. Da mag sich der Hund auch noch so in die Eier beißen: tiefer geht's hier nicht.

Ich habe diesen äußerlich innovativen Text nur herausgegriffen, weil ich durch den vorangegangenen Kommentar darauf aufmerksam und zugleich erschüttert wurde, wie oberflächlich mittlerweile deine schwächeren Texte gelesen und gelobt werden.

Auch ein Lied entsteht hier nicht. Ich kenne niemanden, der so etwas überzeugend singen könnte. Aber es käme auf (d)einen Versuch an, mich vom Gegenteil zu überzeugen.

Gruß
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Mir ist nicht ganz klar, James,

wie Du die Daktylen verprosat hast.
Und wie Du die sanften Oxymora der beiden Strophen banalisieren konntest.

Das ist der schlechteste "Kommentar", den ich je von Dir gelesen habe. Nun ja - nun nein, eigentlich kein Kommentar. Aber lies es, wie Du willst. Der Leser macht das Lied - mit mehr oder weniger grünem Händchen.

Dieses Lied hier lese ich (aber das ist gewiß nicht maßgeblich) inzwischen als Osterlied.

Ich würde ihm deshalb seit einer Woche (und auch dieses Wochenende noch einmal entsprechend dem orthodox-julianischen Kalender) den oben vorgeschlagenen Titel geben:

XPICTOC ANECTH


grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 13736

Gast
James, was hansz da geschrieben hat, bedeutet "der HSV steigt ab".
Also, wenn du dir das gefallen lässt...
 

James Blond

Mitglied
:)
Nun ja, der HSV ist bereits abgestiegen und ob der Heiland sich in Kyrillisch zum Auferstehen inspirieren lässt?

Ich habe da meine Zweifel: Tot bleibt tot, da helfen auch keine neuen Bonbonieren, um die bitteren Vers-Drops schmackhafter zu machen:

Kommentar hin oder her, solch Gewusel dokumentiert vor allem die innere Hirnverknotung, ist mehr Symptom denn Diagnose und weder die Kommentarschelte noch die nachgereichten schönklingenden Verpackungen von Oxymoron, Daktylus, Osterlied, etc. machen es besser.

Ausgangspunkt meiner Kritik war weniger der vorliegende Text, als die sich daran abarbeitenden Interpretationen, die sich des Textes nurmehr als Stichwortgeber bedienten, ohne sich den Mühen einer schlüssigen Interpretation zu unterwerfen. Wenn hier dann das Fazit einer Inversions-Betrachtung lautet, "wir sollten für eine gute „Sterbekultur“ sorgen", dann karikiert das womöglich unfreiwillig den (nachgereichten) österlichen Auferstehungsgedanken: Vom Ewigen Leben zum fortwährenden Sterben.

Hat ja auch was.

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Wir können unser eigenes Werden und Vergehen nur in der Beobachtung anderer erfahren.

Dem widerspricht der schlichte Sachverhalt, daß wir in das Bewußtsein eines anderen Individuums nicht eindringen können, solange wir keine Telepathen sind.

Also ist die angeblich "triviale" These von James Blond (die die Subjekt-Objekt-Polaritäts-Umkehr meines Gedichtes philosophisch verselbständlichen will) nicht nur nicht trivial, und sie ist auch nicht beweisbar, sondern sie ist schlicht und einfach falsch. (Natürlich ist sie unter der Bedingung nicht falsch, meinetwegen wahr: daß irgend ein begabter Telepath in das Bewußtsein eines anderen Individuums hineinschauen kann. Ich wiederhole mich.)
 

James Blond

Mitglied
Erfahrung ist nicht nur das, was einem selbst widerfährt. Erfahrung kann auch aus der Kombination von Selbsterinnerung und Fremdbeobachtung entstehen, anderenfalls wäre alle Empirie sinnlos. Es geht dabei weniger um Telepathie als um Empathie, die Fähigkeit, das Eigene im Anderen zu entdecken.
Der Tod ist allerdings nur durch Fremdbeobachtung erfahrbar, das Sterben kann zwar grenzwertig erlebt, jedoch nicht mehr erinnert werden. Selbst ein telepathisch begabter Beobachter würde da nur ins Leere blicken, wo das Bewusstsein sich auflöst. Wir können bestenfalls (schlimmstenfalls) auf eigene Erfahrungen temporärer Bewusstseinstrübung und - einbuße zurückgreifen: Rausch, Narkose, Koma, etc. und daraus unsere Schlüsse ziehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Der neue Titel; der Ostergruß

XPICTOC ANECTH

ist natürlich nicht "kyrillisch", sondern griechisch in byzantinisch-griechischer Schrift ("pretty igrek, siehe oben: "wu du").
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:



 
Oben Unten