Und ich habe dieses Gedicht sehr viel öfter als nur dreimal gelesen und kann danach mit einiger Sicherheit zumindest feststellen, dass es hier nicht um den angelssächsischen Pragmatismus des zukunftsorientierten Nachvorneschauens geht und auch nicht um Konnotationen zur Sterbeerfahrung.
Zustimmen würde ich darin, dass es sich hierbei eher um einen philosophischen als einen lyrischen Text handelt, auch wenn der Versuch, durch vollständigen Verzicht auf Großbuchstaben und Satzzeichen etwas Avantgardistisches zu produzieren, offensichtlich ist.
Entfernt man in S1 diese optische Kosmetik ebenso wie die Zeilenumbrüche, erhält man trotz des Reimpaares zwei prosaische Halbsätze:
"Nicht das Woher, sondern das Wohin seine Heimat zu nennen, sich als die Welt ringsumher, in der sich die Welt kennt, zu kennen"
Derart prosaisch entstylt wird die semantische Unvollständigkeit der Aussage offensichtlich, und auch die rückbezügliche Chiffre der "
Welt ringsumher, in der sich die Welt kennt", verpufft als Tautologie, weil "Welt" sich stets "ringsumher" befindet und weil sie stets ein Wissen und damit auch Kenntnis über sich besitzt.
Die Verbindung von Heimat und Zukunft (das wohin) mag zunächst irritieren, ist hier jedoch ganz klassisch theologisch konnotiert, wird doch in S2 dann von Geburt und Tod gesprochen. "
Wo kommen wir her, wo gehen wir hin?" ist der übliche Topos religiöser Fragen. Folglich wird die dazu "die Welt" in S2 teleologisch (nicht: theologisch) aufbereitet:
Die aber hat in dir ihr Ziel: Die Geburt, die nie endet, [der] Tod, der sich nicht sieht - es sei denn ins Fremde gewendet.
Jetzt sollte eigentlich klar sein, worum es hier geht: Nicht um die Welt, sondern um das Leben in ihr, das sich ständig neu hervorbringt (
die Geburt, die nie endet), wobei jedes Individuum den eigenen Tod nicht erfahren kann (
der sich nicht sieht) , sondern nur aus der Beobachtung anderer (ins Fremde gewendet).
Für mich ist das - vom "avantgardistischen" Pimp up einmal abgesehen - recht banale altbackene Philosophie (, meinetwegen neudeutsch auch "filosofie"). Und es ist zugleich ein Lehrstück, wie die Absicht unter der Maske der Chiffrierung schwindet und ein philosophischer Allerweltstext zum Plädoyer für Sterbeerfahrung (und womöglich auch noch für Sterbehilfe) wird.
Wie sagte es unlängst ein LuLu-Mitglied: Soll sich doch jeder
seinen Reim drauf machen.
Grüße
JB