Bornstein
Mitglied
Ioiô
Trancoso, gegründet 1586, war einer der ersten portugiesischen Siedlungen Brasiliens. Es liegt im Süden des Staates Bahia umgeben von schönen Stränden. Das Zentrum des Dorfes ist das Quadrado, ein großer viereckiger Platz auf der Höhe eines Hügels, von dem man einen herrlichen Blick auf das Große weite Meer hat. Der Platz, an drei Seiten umrahmt von Bäumen und kleinen bunten Häusern, hat an der Meeres Seite eine schlichte Kirche mit massiven Mauern aus dem XVII Jahrhundert. Das Quadrado ist nichts Weiteres als ein Rasen, wo früher einmal die Kühe, Pferde und Kälber weideten, und am späten Nachmittag, nach der Arbeit, die Männer des Dorfes Fußball spielten. Diese Zeit ist vorbei. Zwar blieben der Rasen, die Kirche und das Meer, aber statt Kühe, Pferde und Kälber, grasen heute dort nur die Touristen, statt Fußball, gibt es jetzt Kaffee mit Kuchen.
Zu meinen Vogelgeschichten gehört auch eine Liebesaffäre, die sich in Trancoso abspielte. Alles fing mit den Übungen an, die ich jeden Tag in der Morgendämmerung, wenn die Sonne noch nicht sticht, und noch etwas von der frischen Abendluft zu spüren ist, mache. Genau wie und wann weiß ich nicht mehr, aber auf einmal merkte ich, dass ich beobachtet wurde. Auf dem Geländer der Veranda saß ein kleiner grüner Papagei und schaute zu. Ich war etwas verlegen, verlor die Konzentration, aber so Sachen passieren nun mal, und man muss sich damit abfinden. Der Vogel saß dort lange Zeit, und wir untersuchten uns seitlich und gegenseitlich. Wie ich dann später erfuhr, war Ioiô ein Weibchen, gehörte dem Hotel, wurde verpflegt, war aber sonst frei, flog im ganzen Garten und auch manchmal weiter, im Wald und in dem kleinen Dorf herum.
Die Szene wiederholte sich während der ganzen Zeit die ich in Trancoso verbrachte. Pünktlich, jeden Morgen, erschien der Vogel, setzte sich auf dem Geländer und beobachtete mich aufmerksam. Nach der Überwindung der Spannung des ersten Tages, war ich sogar stolz und geehrt, so viel Achtung und Zeit-Aufopferung mit meinen Nummern zu verdienen. Am Ende, erschien dann meistens meine Frau, um mich zum Kaffee zu rufen, und der Vogel flog weg.
Nicht nur bei den Übungen konnte ich mit Ioiôs Gesellschaft rechnen. Auch wenn ich im Garten oder im Wald alleine spazieren ging, erschien der Vogel, flog dann niedrig von Ast zu Ast, und begleitete mich. Kam meine Frau, so verschwand der Papagei sofort.
Es gab noch ein Detail, das ich fast vergessen hätte. Meine Übungen beende ich mit einer Art Entspannung. Ich liege dann am Boden, die Augen geschlossen, einige Minuten lang. Als ich so in Ruhe versunken lag, spürte ich plötzlich eine Berührung. Es war Ioiô, die mich mit dem Schnabel, oder war es der Fuß, sanft anstupste. Wie konnte ich dies vergessen? Wollte ich, in meiner Erinnerung, die Liebe nur platonisch?
Am Tag der Abfahrt nahmen wir einen Bus. Ich setzte mich ans Fenster, und öffnete das Glas. Nach einigen Sekunden erschien Ioiô und setzte sich auf einen Ast. Als der Bus abfuhr, begleitete der Vogel das Fahrzeug noch eine Zeit lang. Dann verschwand er im Wald.
Lange Zeit blieb die Geschichte in meinem Kopf. Wie war die Liebe zu erklären? Sollte man überhaupt versuchen Liebe zu erklären? Das gesagt, will ich es mal versuchen.
Ioiô war frei, nicht ganz. Sie wurde gefüttert. Ioiô war Natur, nicht nur. Sie war umgeben von Menschen, von Unkultur. Berücksichtigen muss man noch, dass die meisten Papageien eine sehr starke Paarbindung haben, viele Sorten sind monogam, und die Bindung kann das ganze Leben andauern. Der Partner ist also etwas Wichtiges.
Ioiô war alleine, nicht schön. Sie war auf der Suche, und ich war sicherlich nicht der Erste. Als ich so auf der Veranda, in der Morgendämmerung meine Übungen machte, dachte sie sich: „Der hat einen Spleen, dem fehlt etwas im Oberstübchen, der hat sicherlich einen Vogel!“. Nun, von dem Gedanke eines Vogels zu dem Vogel-Gedanke, d.h., dass es sich hier tatsächlich um einen Vogel handelte, ein etwas großer, ein etwas alter, aber sie hatte ja nicht viel Auswahl, die richtigen Papageien kamen ja nicht in der Nähe des Hotels, war es nur ein kleiner Schritt.