Vielen, vielen Dank, Joneda! Ich wollte dieses "Mittendrinsein", diese Verdichtung, war aber am Schwimmen, wie ich den Text beende. Ich glaube, diese Version ist besser ...
ich habe den Text überarbeitet:
Irgendwann im April
Bald wirst du 73 sein, deine Haare sind kurz, ganz weiß, deine Haut ist an manchen Stellen schon welk, aber deine Augen blitzen noch immer vor Neugierde und Tatendrang, und dein steifer Schwanz drückt sich morgens wie ein sonnenwarmes Stück Holz an meinen Rücken.
*
Der Winter schien kein Ende zu nehmen. Ich stand am Fenster, schaute auf die Birken vor dem Haus, die sich matt vor dem milchig grauen Himmel abzeichneten. Der Boden war mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt, war noch makellos weiß um diese Uhrzeit. Bald würden Fußspuren zu sehen sein. Schade. Ich gähnte, öffnete das Fenster, machte ein paar tiefe Atemzüge. Die Kälte erschreckte mich.
Bald wird es April sein, und dann ist der Winter vorbei; so erwartet man es. Und bald werden es vier Jahre sein, dachte ich, und nichts wird vorbei sein. Ich zitterte. Der Winter wird endlich zu Ende sein, es wird warm sein, ich werde nicht mehr frieren.
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Werden Sie kommen, hattest du noch am Abend davor gefragt, und ich hatte geantwortet: Ja, ich werde kommen, ich will Sie doch küssen. Und dann standest du vor mir, und ich sah in deine Augen, spürte deine Hände in meinem Gesicht. Ich zitterte, war erschrocken über meinen Mut, hier zu stehen, vor diesem Mann, und dich küssen zu wollen.
Warum lachen Sie, fragtest du, und deine Hände hielten weiter mein Gesicht. Es war das erste Mal, dass jemand in dieser zärtlichen, liebevollen Art mein Gesicht hielt. Nichts hatte ich mir je sehnlicher gewünscht, und jetzt hatte ich Angst, spürte den Boden unter meinen Füssen nicht mehr.
Sollten wir uns nicht duzen, bevor wir uns küssen? Mir war nichts besseres eingefallen, denn meine Angst zuzugeben, das erschien mir nicht passend.
Deine Hände zogen mich näher zu dir, und dann spürte ich deine Lippen auf meinen. Weich, trocken und warm, dachte ich, und schob meine Zunge vor, fuhr neugierig, langsam über deine Lippen, dann zwischen deine Lippen. Meine Zunge berührt ganz neugierig deine Zunge. Sie gewöhnten sich ganz schnell aneinander. Du hieltest mein Gesicht immer noch in deinen Händen, sahest mich an, und sagtest: Dieses Gesicht! Seit ich es gesehen habe, will ich es in meinen Händen halten, und nicht mehr loslassen. Du zogst meinen Mund wieder zu deinem.
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Ich zog den Pyjama enger an mich, stand noch eine Weile da, und dann legte ich mich wieder ins warme Bett, sah zu den Birken. Es war heller geworden, aber der Winter bestimmte immer noch die Farbnuancen des Himmels, und über dem beginnenden Tag hing ein schweres Grau.
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Ich schaute mir zu: Mit jeder Berührung unserer Zungen wurde ich fordernder, nein, nachgiebiger, oder doch gelassener? Gelassener? Ja, und ich lächelte. Vielleicht lächelte ich irgendwie blödsinnig vor mich hin, aber es war die schönste Blödsinnigkeit, die ich mir vorstellen konnte: Ich freute mich auf deinen Körper, deinen Schwanz. Und plötzlich verstand ich Aristoteles’ der Zweck des Lebens ist die Ausdehnung von Glück.
Ich spürte deinen Körper, wie er sich an meinen drückte. Nichts anderes ist mehr denkbar. Denken? Ja, ich denke, ich spüre, ich bin. Dieser Kuss, das bin ich. Wir sahen uns wieder an, deine Hände hielten immer noch mein Gesicht. Du sagtest, fragtest, ziehen wir uns aus, und treffen uns im Bett? Du lächeltest, ich nickte, und du zeigtest mir, wo das Bad ist, wo das Bett ist. Ich zog mich schnell aus.
Ich war nackt, sah mir im Spiegel in die Augen, und lachte mich schallend lautlos an; ich hörte nur mein laut schlagendes Herz.
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Sie klingen gut, meine Herzschläge, vor allem weil sie meinem Atem gehorchen, und der beruhigt sich und meine Beine mit. Ich liege im Bett, die Bettdecke hochgezogen, meine Hände liegen flach auf meinem Bauch, und ich fühle meinen ruhigen Körper. Er gehört mir schon so lange, dieser Körper, und ich bin immer wieder erstaunt, wie gut wir miteinander auskommen, auch wenn wir das nicht immer ohne Meinungsverschiedenheiten hinbekommen haben.
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Fast tänzelnd ging ich zum Bett, legte mich hin, drehte mich, roch am Kissen. Dann standest du nackt in der Tür. Ich stützte meinen Kopf mit einem Arm, sah dir zu, wie du näher kamst, dich an meine Seite legtest. Wir lagen Haut an Haut. Ich spürte eine neugierige und vorsichtige Hand über meinen Körper streichen, streckte mich, genoß. Ich schaute dich an, und dachte, ich will dich. Ich will dich, sagte ich.
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Ich streiche sanft über meinen Bauch, denke daran, wie oft ich ihm böse war, weil meine Einbildung ihn für zu üppig hielt. Ich lächle, denn es ist schon lange nicht mehr wichtig ob es ein Zentimeter mehr oder weniger ist. Wichtig sind die Hände von ihm, wenn sie morgens über meinen Körper streicheln, einmal oder zweimal in der Woche. Häufiger sehen wir uns nicht; er ist verheiratet, will sich nicht von seiner Frau trennen. Meistens stört mich das nicht. Ich strecke mich, lasse meinen Atem durch meinen Körper ziehen, spüre der warmen Leichtigkeit nach, die sich in mir breitgemacht hat, und stelle überrascht fest, dass ich mich auf den Tag freue. Es freut mich immer, wenn ich mich freue. Meine Tage starten meistens mit einer vorsichtigen Neugierde.
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Komm, sagte ich, und ich spürte dich in mich eindringen, deine sanften Bewegungen in mir. Ich sah genau hin, sah deine Lust, die sich angesammelt hatte, und sah die Spannung, die abfiel, als du in mir warst. Ich war viel zu aufgeregt, um einen Orgasmus haben zu wollen. Nein, ich wollte keinen, ich wollte deinen genießen. Für meine Orgasmen würde ich schon noch sorgen. Du fragtest mich, ob ich schon bereit sei, ich antworte mit nein, aber ich will auch nicht. Und dann, nach einer Weile sah ich dir zu, wie du von einem Orgasmus überwältigt wurdest, der sich von den Zehen bis zu den Haarspitzen auszudehnen schien. Ich war von der Heftigkeit ganz eingenommen, streichelte über deinen Rücken, nahm deinen Kopf zwischen meine Hände, küsste dich auf Kopf, Stirn, Augen. Du atmetest schwer, ich sagte, bleib so liegen, auf mir. Meine Hände mochten die trockene Wärme deiner Haut, meine Nase hatte sich schon längst in Deinen Geruch verliebt.
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Meistens verfliegt die Vorsicht sehr schnell, und die Neugierde bleibt alleine zurück. Die Neugierde hat sich bewährt, ihr verdanke ich die entscheidenden Momente meines Lebens. Und ein bisschen Mut gibt es ohne die Vorsicht auch noch dazu.
Ich stehe auf, stelle Wasser für Tee hin, gehe ins Bad. Ich liebe diese banalen Alltäglichkeiten morgens, ich tue sie mit aufrichtiger Hingabe an meinen Körper, vor allem aber für meinen Kopf. Der ist dann frei.
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Dann lagst du auf dem Rücken, lächeltest still vor dich hin, und ich rollte mich auf den Bauch, stützte meinen Kopf in die Hände, und sah dich an. Ich liebe es, mich an einem anderen Körper entlang auszustrecken, sagte ich, denn erst dann lernt man seinen eigenen Körper kennen. Meine Hand strich über deine Brust, den Bauch, und legte sich dann um deinen heißen, weichen Schwanz. Es ist schön, wenn er langsam seinen Zustand verändert, sagte ich, und du fragtest, ob er nicht auch ein bisschen lächerlich wirkt, jetzt, wo er daläge, wie ein zerknittertes Würmchen. Ich lachte, hob mich etwas hoch, und streckte mich zu meiner Hand mit deinem Schwanz darin. Dann küsste ich ihn, und sofort spürte ich die kleinen Zuckungen, diese kleinen Zeichen größter Lebendigkeit. Befriedigt legte ich mich wieder zurück, sagte, nein, daran ist nichts Lächerliches, ich liebe einen schönen Schwanz in jedem Zustand. Weißt du noch, du lachtest, sagtest ach du, zogst mich an dich, küsstest mich ganz wild. Und ich küsste dich, lachte, war ausgelassen, fühlte mich frei.
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Während ich den Tee trank, klingelte das Telefon, ich ignorierte es. Ich dachte an ein Blatt, das sich im Wind wiegend langsam auf die Erde fallen ließ, sich ganz auf den Rhythmus des Windes einließ. In gewisser Weise hatte ich mich auch auf seinen Rhythmus eingelassen, schwebte auf ihn, der mich trug, und nicht fallen ließ. Er war der Wind und ich das Blatt. Ich setzte die Tasse ab, sah zum Fenster hinaus. Es waren erst sehr wenige Blätter an den Bäumen.
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Ich habe Hunger, sagte ich, ich war heute Morgen viel zu aufgeregt, um etwas zu essen. Du antwortetest, ich habe auch Hunger, und ich habe etwas vorbereitet. Du lächeltest, standest auf, und sagtest, wenn ich fertig bin, dann kannst du kommen. Ich drehte mich vom Bauch auf den Rücken, und vom Rücken wieder zurück auf den Bauch, und vor mich hin. Ich dachte, wie schnell sich das Leben doch ändern kann. Gestern noch hatte ich mich als einsame kleine Maus durch die Tage schlürfen sehen, und heute liege ich entspannt, ganz selbstverständlich im Zweitbett eines verheirateten Mannes, und fühle mich wohl, und begehrt.
Du kannst kommen, hattest Du gerufen, und ich stand auf, holte mir mein Hemd und ging in die Küche, wo du auf mich gewartet hattest. Auf dem Tisch stand eine Flasche Wein, eine Schüssel mit Obst und Gemüse, Oliven, ein Brett mit Käse, und eins mit Salami. Setz Dich, hattest Du gesagt, und, ich komme gleich, ich will mir auch mein Hemd anziehen. Dann aßen wir, und tranken Wein, und Du sahest mich an, als ob ich von einem anderen Stern käme, ich wurde rot bis in die Haarspitzen, und Du schütteltest nur den Kopf: Es ist unglaublich, seit ich Dich das erste Mal gesehen habe, wollte ich Dich, aber wie sollte das gehen? Du, dreißig Jahre jünger, schön, klug, und ich, ein erfolgreicher, aber doch alter Mann mit Bauch. Der stört mich nicht, hatte ich geantwortet, und Du: Ich verspreche Dir, der wird kleiner. Wir hatten gelacht, weiter gegessen, getrunken, und dann hatte ich ich meinen Fuß unter dem Tisch zu Dir gestreckt, berührte Deinen Schwanz. Der wurde sofort steif, und wir gingen wieder ins Bett.
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Ich fing an die Blätter zu zählen, es waren aber doch mehr als ich dachte, und so schloss ich die Augen, und stellte mir vor, wie ich auf einem Blatt liege, das vom Wind getragen auf Reisen geht. In meiner Mitte machte sich ein warmes Gefühl breit. Sehr angenehm. Ich war nie besonders reisefreudig gewesen, ich hatte mich immer mit ziehen lassen, aber wenn ich dann woanders war, mich in einer ungewohnten Sprache unterhielt, dann hatte es mir gefallen. Sprachen waren mir immer leicht gefallen. Wenige Menschen auch.
Es klingelte wieder, und ich schwebte von meinem Blatt wieder an meinen Tisch, und nahm ab. Es war er, und er wollte mit mir heute Mittag essen. Ich sagte zu.
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Und dann hatte ich auf Dir gesessen, langsam meine Muskeln um Deinen Schwanz bewegt, hatte gelacht, und einen herrlichen Orgasmus gehabt. Du schautest mich an, und meintest, dass meine Brüste wirklich wunderbar aus dieser Perspektive aussähen, und berührtest sie ganz andächtig. Ich legte mich auf Dich, atmete Dich ein. Du fragtest, kann man mit Andacht ficken?
Wir verließen gemeinsam Deine Wohnung, ich fuhr nach Hause, und Du auch. Und Du sagtest noch, bitte treffen wir uns erst mal hier, ich möchte Dich nicht zurück lassen, wenn ich gehen muss; das ist kein schönes Gefühl. Und mir war das erst mal recht. Ich schwebte davon.
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Wir hatten gegessen, er Salat, ich gegrillten Calamari. Ich nahm einen Schluck Wein, wir sehen uns an, und er sagt: Kannst du dir vorstellen, mit mir zusammen zu leben?