irgendwann ist immer das erste mal

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Perry

Mitglied
irgendwann ist immer das erste mal

zapfenstreich sie wollten nicht gehen füllten die gläser mit
zügigem flaschenschwenk vergaßen dass nachts um vier
alarm schrillte im morgengrauen kletterten sie übern zaun

immer an neuen fronten mit anderen kameraden unterwegs
das machte ihn auf die dauer einsam und traurig doch er
wusste wer den abzug zu spät betätigte war so gut wie tot

irgendwann stand er bittend vor ihrer tür sie hieß jeanne
fragte nicht lange tat was nötig war komm ins haus der
lerche da ist das schweigen des meers besser zu hören
 
G

Gelöschtes Mitglied 24777

Gast
Hallo Perry,

ich finde, dass du ein sehr interessantes und intensives Gedicht geschrieben hast. Nach dem leider wenig Interesse weckenden Titel zieht mich die erste Strophe schnell in ihren Bann, weil sie beinahe atemlos schildert, wie eine militärische Einheit bei einer Mobilmachung aufbrechen muss. Aber vielleicht geht es auch nicht um eine Armeegruppe, sondern um jene, die vor dem Militär flüchten müssen. Aber die erste Deutung erscheint mir logischer.

In der zweiten Strophe veränderst du dann die Perspektive. Aus dem Blick auf die Gruppe (sie) wird nun der auf eine einzelne Person (er). Ehrlichgesagt kommt mir das ein wenig unvorbereitet daher, sodass ich bei den ersten Leseeindrücken stockte. Nach mehrmaligem Lesen habe ich mich aber auf diesen Wechsel eingestellt. Dennoch ist dir in meinen Augen die zweite Strophe nicht so gut gelungen, sie fällt, vor allem im Vergleich zur sehr starken dritten etwas ab. Das liegt meiner Meinung nach vor allem an Vers 5, der eher erzählerisch wirkt und eine gewisse Beliebigkeit aufweist (das machte ihn auf die dauer einsam und traurig doch er).

In Strophe 3 kommt dann, zumindest für mich, das Highlight des Textes:

fragte nicht lange tat was nötig war komm ins haus der
lerche da ist das schweigen des meeres besser zu hören
Ich kenne den Film Das Haus der Lerchen leider nicht, aber wenn es stimmt, was Wikipedia schreibt, dann ist das Ende deines Gedichtes ein Enormes:

Assadour plant eine Reise in seine Heimat zu seiner Familie. Doch dazu kommt es nicht mehr. Massaker an der männlichen armenischen Bevölkerung verhindern die Reise von Assadour. Die einzige Hilfe, die er seinem Volk übermitteln kann, ist der Schmuggel von Wertpapieren. Die Männer der Familie Avakian werden ermordet und die Frauen auf einen Fußmarsch in die Verbannung geschickt. Arams Tochter Nunik verliebt sich auf diesen Marsch in einen jungen türkischen Offizier, der sie retten möchte und mit nach Hause nehmen will. Doch dazu kommt es nicht mehr. Nunik organisiert eine Flucht ihrer Familie, wird dabei aber selbst entdeckt. Um ihr die Qualen der Folter zu ersparen, schlägt ihr Geliebter ihr den Kopf ab. Die Kinder der Familie können sich nach Italien retten.

Ich habe mich gern mit deinem Gedicht beschäftigt!

Liebe Grüße
Frodomir
 

Perry

Mitglied
Hallo Frodomir,
danke fürs intensive Auseinandersetzen mit den Wortbildern.
Der Text ist eine Erinnerung an meinen Vater, der in jungen Jahren im 2. Weltkrieg in der Normandie kämpfen musste.
Die dritte Strophe reflektiert den Film "Das Schweigen des Meeres", der von der Resistance handelt.
Ich habe den Text für mich nochmal überarbeitet und ihm den neuen Titel "wenn die seele schweigt singt das herz" gegeben (auch wegen des Lerchenbildes).
LG
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 24777

Gast
Hallo Manfred,

ui, da habe ich aber mit dem Film ins falsche Regal gegriffen. Ich hatte mich schon gewundert, weshalb du dich mit der Geachichte Armeniens beschäftigst, aber dann fand ich es auch interessant.

Aber so hat dein Text einen ganz anderen Bezug und fühlt sich dank deiner Erläuterung stimmiger an. Beim Lesen ist mir übrigens aufgefallen, dass es eine Idee wert wäre, in der letzten Zeile das Wort besser zu entfernen. Das würde den Vers noch eindrücklicher machen.

Vom neuen Titel bin ich ehrlichgesagt auch nicht überzeugt, ein Titel sollte meiner Meinung ja auch ein bisschen knackig sein, um den Leser gleich etwas anzubieten. Vielleicht wäre ein kürzerer Titel besser? Z.B. böte sich der Name eines Ortes in der Normandie an, in dem dein Vater war.

Liebe Grüße
Frodomir
 

Perry

Mitglied
Hallo Frodomir.
danke fürs nochmalige Feedback.
Bezüge zu realen oder literarischen Begebenheiten in lyrischen Texten sind zum Verständnis sicher hilfreich, letztlich ist aber das, was hinter den Bildern steht wichtiger für die Gesamtaussage.
Das "besser" am Schluss wegzulassen würde die Aussage ändern, denn das Schweigen des Meeres ist im Haus nicht wirklich "besser" zu hören, sondern im übertragenen Sinn leichter zu ertragen.
Was den Titel anbelangt, habe ich meist spezielle Vorstellungen, hier war es die, einen Bogen zum Schlussbild zu schlagen und da war mir der neue Titel "wenn die seele schweigt singt das herz" näher.
LG
Perry
 



 
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