Bornstein
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Irma und Vilmar
Die letzten Monate meines Münchner Aufenthaltes waren wie ein Traum. Die schöne Villa, umgeben von Wald und Wiesen, kam für mich, gewohnt an Studentenheime und Untermiete, als eine angenehme Überraschung. Frau Rehbank hatte den Vorschlag gemacht, ihre Wohnung, während ihrer langen Brasilien Reise, mir zu übergeben. Ich war anfänglich etwas misstrauisch, dachte allerlei was dahinter stecken konnte, aber das Angebot war unabweislich.
Frau Rehbank, Mitte fünfzig, war, äußerlich gesehen, recht unattraktiv. Starke Kiefer spannten das strenge, stramme Gesicht, welches, umrahmt von kurzen, glatten Strähnen blond gefärbtes, fettiges Haar, etwas zu massiv war. Der Körper war eckig und kantig und das Fleisch, man sah es kaum, hing schlapp und ausgetrocknet am Skelett.
Auch konnte man mit ihren Ansichten und Anschauungen wenig anfangen. Der Gedankengang war kurz und etwas hastig und endete immer, nach ein paar Seufzern, mit: Na ja, was soll man machen. Die Spannung in den Wörtern merkte man im Gesicht, oder war es umgekehrt?
Frau Rehbank war am Ende ihrer Laufbahn als Immobilienmaklerin, hatte es zu Geld geschafft, einschließlich die Villa und ein Sport BMW, der nicht ganz zu ihr passte, aber das sind eben die Ausgleiche, die das Leben erträglich machen.
Wer auch nicht ganz zu ihr passte das war Vilmar, Anfang dreißig, schlank, feine, zarte Gesichtszüge, Haare im Afrolook, der zu ihrer ständigen Begleitung wurde. Wie Vilmar es nach Deutschland geschafft hatte, wo und von was er lebte, wurde nie klar. Ähnlich wie Irma Rehbank hatten bei ihm Sätze und Gedanken nur einen Anfang. Nach ein paar Wörtern übergab er die Fortsetzung der Ideen den Händen, die in einer etwas affektierten, weichen und manierierten Art, voller Umschweife, Kreise und Pirouetten, die Selbstverständlichkeit voraussetzten.
Bei den Festen und Treffen die wir organisierten, das Durchschnittsalter wird um die dreißig gewesen sein, waren Vilmar und Irma immer dabei. Irma bewegte sich frei in der Gesellschaft, soweit es ihre verspannte Art erlaubte. Ob sie damals zusammen lebten, das weiss ich nicht, jedenfalls konnte Vilmar sie zu der Reise nach Brasilien überzeugen. Später hat sie dort ein schönes Haus am Strand gebaut, wo beide für einige Zeit zusammen gelebt haben.
Irma und Vilmar zusammen im Bett das kann ich mir nicht richtig vorstellen, es mag aber an meiner mangelnden Phantasie liegen. Schließlich konnte ja auch Vilmar, mit Recht, dasselbe von mir denken. Auch glaube ich, das Vilmar an andere Reize interessiert war, aber ich kann mich wieder irren. Ob Vilmar der Sohn, den Irma nie haben konnte, oder ob Irma die Mutter, die sich von Vilmar entfernt hatte, war, dies sind nur Vermutungen, die man nie aufklären wird.
Was ich mit Sicherheit sagen kann, sowohl von ihm wie auch von mir, ist, dass es nicht reiner Opportunismus war, der uns verband. So einfach sind die Sachen nicht! Selbstverständlich waren die schönen Münchner Tage in ihrem Haus der Anfang einer engeren Beziehung, aber, Jahre danach, als Irma mit Vilmar nach Brasilien umgezogen war, haben wir uns öfters besucht, haben regelmäßig korrespondiert bis zum Ende. Uns verband Erinnerung, Freude, Respekt vor dem Anderssein, Verständnis, Toleranz, Großzügigkeit und Vertrauen. Nicht wenig wenn man bedenkt, wie verschieden wir waren. Uns einigte auch die Anerkennung für das Geschaffte, jeder auf seiner Art. Gewissermaßen bin ich stolz, ein Zeugnis liefern zu dürfen, wie so unterschiedliche Menschen eine schöne Beziehung aufbauen konnten. Auch muss das Nutzen nicht menschliche Wärme ausschließen. Im Gegenteil, Dankbarkeit kann Schätzung und Achtung mit sich bringen, und muss nicht immer Unterwerfung oder Unterordnung bedeuten.
Selbstverständlich konnte das Abenteuer in Brasilien nicht lange halten. Der Strand war zu abgelegen, und die glühende Liebe konnte die glühende Sonne angeblich nicht überschatten. Irma hat dann das Haus am Strand verkauft, und ist wieder nach Europa zurückgezogen. Ihre letzten Tage hat sie Vilmar an Ihrer Seite gehabt.
Vergessen habe ich nicht Irma und Vilmar. Vergessen habe ich auch nicht die langen Spaziergänge im Wald, die weichen Schritte im neuen Schnee, und die gelb erleuchteten Fenster zu Weinachten in der Umgebung der Münchener Villa. Auch erinnere ich mich gerne an die schönen Nächte am Kamin, und wie ich und meine damalige Freundin in den weichen Teppichen rollten. Die Liebe im Rasen, zwischen Blumen und Insekten, dafür war es schon zu kalt, aber man konnte als Ersatz, durch Fenster und Glastüren, die mit Reif bedeckten Äste im Garten bewundern.
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