Irrungen und Wirrungen

Hassels

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Der Sand unter mir hatte sich kaum abgekühlt und obenrum machte sich eine unerträgliche Wärme breit. Es war die über mich gelegte Decke, unter der ich schmurgelte.

>Hatte Tim es sich doch noch überlegt?<

Blinzelnd begrüßte ich den neuen Tag. Langsam richtete ich mich auf und legte die Decke beiseite, es wurde deutlich kühler, aber nicht unangenehm. Sofort spürte ich die Sonnenstrahlen auf meinem Rücken und verschwommen erinnerte ich mich an dieses malerische Bild des letzten Abends. Bedächtig war der Feuerball am Horizont ins Wasser getaucht.

Das leise Schnarchen brach in dieses sinnliche Bild ein, übertönte sogar das leichte Rauschen des sich zurückziehenden Wassers. Die Ebbe gab den Blick auf unzählige Meeresbewohner, jenseits der eigentlichen Wasserlinie, frei. Neben mir lag Anna.

>Die gute Anna.<

Sie schlief tief und fest, hatte ein entspanntes Gesicht, umgeben von ihren langen Haaren, die sich vor ihre Nase verirrt hatten. Die brünetten Haare wirkten wie ein Schatten hinter dem man sich verbergen kann.

Behäbig stand ich auf, die schwere Kugel vor mir ließ nichts anderes zu, war eins mit der Natur. Der kaum spürbare Wind erfrischte mich, schmeichelte meiner Haut. Es waren nur wenige Schritte, schon spürte ich das Watt unter meinen Füßen.

Das gestern, mit dem Spaten meines verstorbenen Onkels ausgehobene Loch, Anna hatte richtig geschuftet, stand voll Wasser. Wie einen runden Whirlpool hatte sie es angelegt, zwei Personen würden sich angelehnt gegenübersitzen können.

>Danke Anna. Du bist die Beste.<

Ich drehte mich um, meine Freundin schlief immer noch. Ziellos stapfte ich durch den Schlick, am Rande meiner kleinen Hallig, der schon hochstehenden Morgensonne entgegen. Diese endlose Weite, die Reflexion des Sonnenlichts auf dem Wasser, wirkte beruhigend auf mich, konnte mich aber nicht von allen Gedanken befreien.

>Was hatte ihm nicht gepasst? War es meine Gier nach Leberwurstbrot mit Erdbeermarmelade? Er fand das ekelhaft. Andere Schwangere, so liest man es immer wieder, stopfen sich mit sauren Gurken voll. Das finde ich ekelhaft. Den Blumenkohlauflauf hatte er auch nicht angerührt. Und dann diese Ausflüchte, es wäre zu heiß dafür.<

Ein stechender Schmerz durchfuhr mich, mein Unterkörper verkrampfte. Hier stand ich nun zitternd, so extrem hatte ich die Vorboten nicht erwartet. Meine Hände streichelten über den dicken Bauch, das Strampeln ließ nach. Im Stil einer Schnecke, mit den Ausmaßen eines Flusspferdes, wanderte ich zu dem alten Blockhaus.

Noch zweimal ereilten mich diese Schmerzattacken, dann konnte ich meine verklebten Haare im Spiegel des Hauses bewundern. Mit der gepflegten Langhaarfrisur einer Blondine, hatte es nichts mehr gemein.

>Wie sehe ich nur aus? Ist er deshalb geflüchtet?<

„Guten Morgen. Geht es langsam los?“ Ich nickte und Anna reichte mir eine Schüssel mit Müsli. Sie trank ihren Kaffee und gab mir einen Klaps auf die Finger. „Koffein ist allgemein nicht so gut, und jetzt schon gar nicht. Ich habe dir an der Zisterne eine Flasche Wasser abgefüllt. Am besten gehen wir gleich los, sonst wird der Weg zur Wassergeburt nachher zu weit!“

>Sie hat ja Recht. Das hatte ich alles im Vorbereitungskurs gelernt.<

Zwei Stunden, oder zehn Wehen später, saß ich im von Anna gebauten Pool und presste. Sie schüttelte noch schnell die Decke aus, der Sommerstaub verteilte sich in den Wind, und baute mir daraus ein Kissen für den Kopf.

>Tim du Arschloch. Jetzt verpasst du den magischsten Augenblick unserer Zweisamkeit.<

Ich presste weiter, hechelte zwischendurch und plötzlich hielten mich zwei wohlbekannte Hände an den Schultern.

>Tim.<

„Oh Tim.“

„Psst! – Ich wollte es nur nicht eskalieren lassen, Anna hatte mich ja vorgewarnt.“

Babygeschrei.

„Hast du gut gemacht Schatz. Corinna, ich bin stolz auf dich. Wir haben eine kleine Meerjungfrau.“

>Scheißkerl, verdammter.<

Ich lächle in mich.
 



 
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