ithaka

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Ralf Langer

Mitglied
ithaka

nur dilettanten schwärmen
um das licht um ihre leere
haben sie den gott gedacht
das es so leichter wäre
da ein wesen das bedacht

den sinn hinter die lichter führt
allein das fleisch - es trug
bilder vom ewigen leben
ist in dir nicht genug
um fremde zu verstehen

im körper haust die frist
das was noch kommt
was dir gegeben ist
bestimmt ein ende
auch wenn es dir nicht frommt
- ist fernab aller strände

verläuft sich deine spur
in weiten kreisen
wird dir alles war
nur ein verreisen
in gedanken; schwärmereien
um eine heimat – ithaka
 
F

Fettauge

Gast
Hallo Ralf,

das hat was. So richtig weiß ich aber noch nicht, was.
Ithaka, die Heimat des Odysseus, Sinnbild des Suchens, des Verirren und des Irrens, des Endlichfindens, des Immer-dagewesen-Seins, der Traum des Zuhause, das Ziel allen Mühens.

In der 1. Strophe sprichst du von den Dilettanten, die ums Licht schwärmen und hoffen, dass ihnen ein Gott schon helfen würde. Für mich eine Anspielung nicht nur auf das Schreiben, sondern weitergedacht, sogar auf die Haltung zur Welt. Worauf es beim Schreiben in allererster Linie ankommt, denn Wörter zusammenstellen, das kann so ziemlich jeder, das ist aber nicht die Kunst.

In der 4. Strophe kommst du auf diesen Gedanken zurück: Es war nur Schwärmerei, die Spur verläuft sich, es war ein Ausflug in ein unerreichbares Ithaka.

Die 2. und 3. Strophe spielen an auf das, was im Grunde hinter jedem Schreiben steht: dass etwas bleibt. Ein menschlicher Wunsch, aber zu eng gedacht; er reiht sich in den Begriff des Dilettanten ein.

Ich frage mich natürlich: Ist das nun Selbsterkenntnis, oder hast du einen bestimmten Autor im Blick, oder ist das ganz allgemein gedacht? Meiner Ansicht nach bleibt es ein elitärer Blick (auf die Lyrik), man spürt ein leichtes Schimpfen, auch wenn du nirgends wirklich schimpfst.

Elitär meine ich in dem Sinne, dass es immer nur wenige sind, die wirklich einen Gipfelpunkt erreichen. Um das aber zu können, brauchen die Wenigen eine breite Basis unter sich - um herausragen zu können. Ich sehe keinen Grund, die Dilettanten zu schmälern oder gar zu verhöhnen, auch sie haben ihren Anteil an Gipfelpunkten, die Namenlosen, die Vergessenen, die nicht immer glücklichen Arbeiter, die die Ernte nicht einfahren dürfen oder können.

Insgesamt, lieber Ralf Langer, drückt sich in deinem Gedicht etwas aus, was ich als etwas überheblich empfinde, als unproduktiv. Aber diese Haltung liegt in der Zeit, das Konkurrenzdenken (und jeder ist ein Konkurrent) triumphiert unausgesprochen in deinem Text - statt das Miteinander, denn das passt nicht in die Zeit.

Dies ist meine Interpretation deines Textes, sie ist natürlich wie jede Interpretation sehr persönlich und damit angreifbar.
Berichtige mich, wenn ich etwas falsch sehe.

Gruß, Fettauge
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo fettauge,

nur ganz kurz (zumindest im moment )
zum begriff des dilettanten. ich sehe ihn sehr ambivalent.

im ursprünglichen bedeutungsfeld ist ein dilettant, jemand der etwas tut aus freude, um der sache selbst tut.

er macht aus leidenschaft und nicht beruflich, als broterwerb.

dabei kann der dilettant durchaus überragende fähigkeiten entwickeln.

das sehe ich sozusagen konträr ( für das verständnis des textes wichtig ) zu der heutigen bedeutung die her"stümperhaft" meint.

später gerne mehr.

(ich muß zur arbeit)

danke für deine interessanten gedanken zu meinem stück
ralf
 

Label

Mitglied
Lieber Ralf

dein Gedicht lädt zum Nachdenken ein und zum Verorten des Selbst.

nur dilettanten schwärmen
um das licht

da es sich nicht um Motten handelt, ist das Licht im übertragenen Sinne aufzufassen - etwas strahlendes zu dem oder von dem die Laien (Dilettanten) hingezogen werden.
Die folgenden Zeilen geben einen Hinweis was da strahlt - ein Idol, ein Gott, der die innere Leere füllt.
um das licht um ihre leere
haben sie den gott gedacht
das es so leichter wäre

Das ist leichter als sich selbst auf die Suche nach Erleuchtung zu begeben, die ihre Leere füllte. Ein oberflächliches Denken also, das für Dilettant steht.

dieses Idol mit bewunderten Attributen bedacht - ist ein Gedankenkonstrukt das sich in Traditionen verselbständigen kann

da ein wesen das bedacht, den sinn hinter die lichter führt
Das Wortspiel hinter die lichter führt ist hier brillant eingesetzt und im ursprünglichen Wortsinn, als auch im übertragenen, präzise.
eine mögliche Lesart ist: die erfundene Lichtgestalt betrügt
aber auch: die Lichtgestalt blendet absichtsvoll,
1.der(eigentliche) Sinn (die individuelle Erleuchtung, Erkenntnis
2. die Sinne
werden überstrahlt

allein das fleisch - es trug
bilder vom ewigen leben

wieder eine brillante Wortwahl
fleisch suggeriert die Realität/Erfordernisse des Körpers,der animalische Anteil eines Menschen, jenseits von Idealismus, Hoffnungen und Wünsche.
hier schimmert der Spagat zwischen physischem und ideellem Leben auf.
ist in dir nicht genug
um fremde zu verstehe
n
weder der animalische noch der spirituelle Teil ermöglichen um die Anderen, die Fremden zu verstehen.

im körper haust die frist
das was noch kommt
was dir gegeben ist
bestimmt ein ende
auch wenn es dir nicht frommt

unabhängig aller Bemühungen und Vorstellungen - die Uhr tickt und das Ende des Lebewesens ist Tatsache und unabwendbar, auch wenn das nicht gefällt und sich die Vorstellung von weiterem oder ewigem Leben, sich damit nicht auf festem Boden (erfahrbaren) befindet.

- ist fernab aller strände
strände, da klingt ankommen, aufbrechen und fester Boden mit

verläuft sich deine spur
in weiten kreisen
wird dir alles war
nur ein verreisen
in gedanken; schwärmereien
um eine heimat – ithaka



sofern das Individuum kein "Mogul" oder sonst ein "großer" ist, der Monumente errichtet oder durch Eroberungen in die Geschicke seiner Mitmenschen gewaltsam eingreift, wird die Erinnerung an ihn verblassen. Das heißt, die aufgezeichnete Erinnerung, die Geschichtsschreibung.
Allerdings, sofern Kinder vorhanden sind, pflanzt sich die Erinnerung an ihn, in der DNA fort, wie die Forschung beweist.
die weiten Kreise sind immerhin weit, zeigen aber dass da keine Richtung ist, zeigen eine Suche, die immer wieder zu den Ursprüngen, dem Ausgangspunkt zurückkehren, um zu einer neuen Suche aufzubrechen, an.
Jede neue Suche führt auch wieder zu bekanntem, zu dem was schon war.
Für die Suche nach dem Ort oder Zustand in dem man sich "zu Hause" fühlt, endlich angekommen ist - dafür steht Ithaka.
Ebenfalls eine brillante Wortwahl, beinhaltet sie doch Irrungen, Umwege und Widrigkeiten auf der langen Reise nach Hause.
Das Gedicht zeigt die Sehnsucht dessen, der über den vertrauten und behütenden Rand einer Weltsicht oder Glaubens gesehen hat und nicht mehr ungesehen, ungehört und ungedacht machen kann, was er erfahren hat.
Da gibt es keine äußeren Hilfsmittel mehr, keine Krücke von anderen Gedankengebäuden, auf die man sich stützen könnte um zu sich zu finden.
Das Dilemma aller, die das Exoskelett abgestreift haben und eigenes Rückgrat entwickeln müssen.

soweit meine Interpretation und
der Text gefällt mir ausgezeichnet, ich habe nichts zu meckern

herzlicher Gruß
Label
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo label,

ich freue mich über deine intensiven gedanken zu meinem stück.

vieles von dem was du sagst, sollte auf diese art in meinem gedicht eingeoben sein.

die zeilensprünge die unterschiedlichen lese und verständnismöglichkeiten, die hier und da widersprüchlich sind,
drücken auch die zerrissenheit des lyrischen ichs auch.

es gibt keine wahrheiten,(war-heiten -vielleicht).
es gibt nur wirklichkeit, und in ihr müssen wir uns für eine "haltung" entscheiden.

was bleibt? vielleicht der zweifel und sicher der tod

lg
ralf
 
O

orlando

Gast
Hallo Ralf,
dein Gedicht "knirscht zwischen den Zähnen", wie Ingeborg Bachman einmal so trefflich über die Lyrik nach 1956 gesagt hat.
Interessant daran ist, dass es knirscht, obwohl es sich der tradierten Reimform bedient. Also ebensoviel Mitdenken, Anstrengung und Weiterdenken erfordert wie ein experimenteller Text.
nur dilettanten schwärmen
um das licht um ihre leere
haben sie den gott gedacht
das es so leichter wäre
da ein wesen das bedacht
Hier geht es um Sinnfindung ./. Gottsuche oder alternativ umd Sinnfindung & Gottsuche, wie sie sich so deutlich in der allmählichen Entwicklung des Monotheismus zeigt, also die Vergeistigung der menschlichen Natur.
Du könntest überlegen, ob du in den einleitenden Versen nicht etwas Verrätselung herausnimmst, um den Zugang nicht unnötig zu erschweren

nur dilettanten schwärmen
um das licht um ihre leere
haben sie den gott gedacht
[blue]damit[/blue] es leichter wäre
[blue]weil[/blue] ein wesen [blue]dies[/blue] bedacht
den sinn hinter die lichter führt
allein das fleisch - es trug
bilder vom ewigen leben
ist in dir nicht genug
um fremde zu verstehen
Der Gedanke der Vergeistigung wird weitergeführt und sein natürlicher "Gegner", das "Fleisch" benannt (wem fiele hier nicht "Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach" ein?).

im körper haust die frist
das was noch kommt
was dir gegeben ist
bestimmt ein ende
auch wenn es dir nicht frommt
- ist fernab aller strände
Nun bringst du die Endlichkeit ins Spiel und mit ihr die Furcht. Bewundernswert präzise ausgedrückt

im körper haust die frist
verläuft sich deine spur
in weiten kreisen
wird dir alles war
nur ein verreisen
in gedanken; schwärmereien
um eine heimat – ithaka
Und die Vergeblichkeit einer Sinnsuche.
Du schließt den Kreis mit dem Beginn dieser Entwicklung (Vergeistigung), die Erinnerung an Ithaka, die paradiesische Heimat, die Zeit der Freiheit vor dem Sinn.

Ich finde das Gedicht sehr interessant in Gestaltung und Ausführung - und in seiner Sprödigkeit.

Liebe Grüße
orlando
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo heidrun,

herzlichen dank für diese beschreibung:

"Interessant daran ist, dass es knirscht, obwohl es sich der tradierten Reimform bedient. Also ebensoviel Mitdenken, Anstrengung und Weiterdenken erfordert wie ein experimenteller Text."

wie offensichtlich habe ich versucht durch zeilensprünge mehrdeutigkeiten hineinzuweben.

hier finde ich zerknirrschtheit einen sehr schönen weil passenden begriff.

lyrich ist selbst zerknirrscht. er hat keine erklärung zur welt. er hat nur eine haltung ihr gegenüber.

vielleicht das einzige das der mensch dem geliehenen entgegnzusetzen vermag.

lg
ralf
 



 
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