Jacob & Sam - Wie alles begann...

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chaoticlia

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Gelangweilt beugte sie sich in ihrem Zimmer über ihre Hausaufgaben. Es war nicht so, dass sie eine Musterschülerin war, doch ihre Leistungen waren besser als der Durchschnitt, was ihrem Vater vorerst genügte. Die Miene des Kugelschreiber in ihrer Hand drückte sie gedankenverloren raus und wieder rein, wobei jedes Mal ein Klicken zu hören war, welches durch ihr Zimmer hallte. Ihr Bruder wurde vermutlich wieder in die Geheimnisse des Familienunternehmens eingeweiht, während ihre Mutter sich aus den Geschäften wie immer raus hier. Deshalb sollte auch Samantha nichts mit all dem zu tun haben. Als wüsste sie nicht schon längst, dass es sich bei diesem Familienunternehmen um einen Strang der Mafia handelte. Leute kamen und gingen, mehr als einmal hatte Sam Unterhaltungen aufgeschnappt, in welchen es um Geld oder Drogen oder Waffen oder Immobilien ging. Viel interessanter als eben diese Gespräche - stets auf Italienisch natürlich - fand sie, welche Menschen sie alles zu ihrer großen Familie zählte. Dabei ging es nicht immer um Blutsverwandtschaft, sondern um loyale Personen, ausschließlich Männer, welche ihren Vater in allem was er tat oder sagte unterstützten.
„Na, langweilt sich da jemand?“
Sam zuckte zusammen, weil sie weder Schritte gehört hatte, noch damit rechnete, dass sie jemand in ihrem Zimmer aufsuchen würde. Bei diesem jemand handelte es sich allerdings um keinen anderen als Jacob, einen jungen Mann, den Sam schon kannte, seit sie denken konnte. Geboren wurde sie in Sizilien, kurz darauf zog ihre Familie, also die große Familie und damit auch Jacob, nach Chicago. Außerdem hatte er ihr im Vertrauen schon die eine oder andere Information gesteckt, wofür sie ihm unendlich dankbar war. Wie immer, wenn sie ihn sah, formte sich ein Lächeln auf ihren Lippen, welches sie sich nur schwer verkneifen konnte. „Verdammt, Jacob. Hat dir denn keiner Beigebracht, dass man sich nicht an andere heranschleicht?“
„Habe ich gar nicht. Du warst du vollkommen in deinen Gedanken versunken. Kann ich doch nichts dafür wenn die Prinzessin des Hauses unaufmerksam ist.“, kam es von ihm, dabei lehnte er wie so oft lässig im Türrahmen. Wie es in diesem Haus vollkommen normal war, redeten auch die zwei Italienisch miteinander.
„Das halte ich für ein Gerücht.“ Natürlich war sie in Gedanken, dachte über ihr Leben nach, über ihr Sein, darüber, was einmal aus ihr werden würde. Eigentlich war ihr Leben vorbestimmt, denn entweder, sie würde einen der Läden übernehmen, die ihr Vater besaß oder sie würde eine brave Hausfrau werden wie ihre Mutter, die keine Fragen stellt und damit als perfekte Ehefrau fungiert.
Mit einer erhobenen Augenbraue sah Jacob sie an. „Dir ist klar, dass ich erkenne, wenn du mich anlügst, oder?“
Tief und vor allem genervt, atmete die vierzehnjährige Sam ein und aus. „Was willst du, Jacob? Offensichtlich bin ich mit meinen Hausaufgabe beschäftigt. Warum genau muss ich das hier nochmal machen?“
„Damit du einen guten Abschluss bekommst und irgendwann studieren kannst. Vielleicht ist das deine Chance!“ Er versuchte ihr Mut zu machen, zwinkerte sie mit diesem unwiderstehlichen Lächeln zu, welches ihr Herz immer wieder aufs Neue zum Schmelzen brachte, wohlwissend, dass es eine gemeinsame Zukunft niemals geben konnte.
„Achja, da war was. Habe ich fast vergessen.“
Leise lachte er auf, auch Sam musste breit grinsen. Jacob war einige Jahre älter als sie, genau genommen wurde er vor einigen Wochen volljährig, jedenfalls in den vereinigten Staaten. Die Hände hatte der junge Mann in seine Hosentaschen verstaut. Wie so gut wie immer trug er schicke Kleidung an seinem Körper. Verstohlen sah er von rechts nach links um zu schauen, ob in dem Flur hinter dem Eingang zu ihrem Zimmer jemand zu sehen war. Dann erst trat er ein und schloss die Türe hinter sich. Schlagartig klopfte ihr Herz ein wenig schneller. Ein Teil von ihr wusste, dass das vollkommen bescheuert war, doch ihr Körper tat manchmal Dinge, die gegen jede Logik waren… „Sag mal, was hältst du davon, wenn wir etwas unvernünftiges machen?“, wollte er wissen.
Ohne darüber nachzudenken stand sie auf, ließ ihren Kugelschreiber auf dem Schreibtisch liegen, streifte ihren Kapuzenpulli über das weiße T-Shirt und kam auf Jacob zu. „Egal, was es ist, ich bin dabei!“
Wieder lachte er leise auf. „Na dann, das nenne ich mal Motivation!“ Jacob ging voran, nachdem er ihr die eigene Zimmertüre aufgehalten hatte, verwickelte sie in ein Gespräch über die Schule, erkundigte sich nach ihrem Freundeskreis und zeigte wie immer Interesse über ihre aktuelle Lebenssituation. Dabei schien er drauf bedacht zu sein, nicht zu tiefgründige Fragen zu stellen. Das Haus war riesig, das Anwesend darum selbstverständlich noch imposanter, dennoch konnten hinter jeder Ecke Augen oder Ohren lauern, welche nur zu bereitwillig den neusten Klatsch und Tratsch weitergaben.
Es dauerte einige Minuten, bis sie beiden einen der weniger einsehbaren Parkplätzen erreicht hatten. Wie es sich für einen Gentleman gehörte, öffnete er ihr die Beifahrertüre, hielt ihr sogar die Hand hin, damit sie sich besser setzten konnte. Während Jacob dann um den neu aussehenden Wagen ging, spürte sie noch immer ein angenehmes Kribbeln auf ihrer Handfläche.
„Hast du vor mich zu entführen? Wenn, dann ist das das Aufregendste, was mir seit langem passiert ist.“, wollte sie mit einem erwartungsvollen und neugierigem Gesichtsausdruck wissen.
Leise lachte er auf. „Sorry, Sam, aber ich befürchte, ein Entführer würde dich schon nach wenigen Stunden wieder zurück geben!“, kam es mit einem frechen Unterton von ihm, dabei startete er den Motor.
„HEY!“, protestierte sie, boxte ihn gegen den Oberarm und musste sich ein ‚Aua!‘ unterdrücken. Hatte er Muskeln aus Stahl, oder was stimmte nicht mit ihm?
„Ach komm schon, es ist was Wahres dran.“ Der Wagen hatte sich bereits in Bewegung gesetzt.
„Na gut, vielleicht hast du n bisschen recht!“, kam es nun auch mit einem sanften Lächeln von der Jugendlichen.
Das lockere Gespräch wurde einige Minuten weitergeführt, bis die Neugierde in Sam beinahe unerträglich wurde. Nicht nur ihre.
„Willst du mir jetzt eigentlich langsam mal erzählen, was dich von deinen Hausaufgaben abhält?“, riss er sie aus ihren Gedanken, nachdem eine kurze Gesprächspause entstanden war.
„Nö!“, kam es nur von ihr. Kurz sah sie sich um. „Sind wir schon da?“
„Noch nicht, aber gleich.“ Bezüglich ihres Gemütszustandes fragte er nicht weiter nach, denn das machte bei Sam aktuell keinen Sinn. Je mehr man sie unter Druck setzte, desto weniger öffnete sie sich. Als sie noch jünger war, war das anders, da erzählte sie ihm alles, auch wenn er nicht danach fragte, weshalb er hoffte, dass es nur eine Phase war… Er bog ein paar Mal ab, dann wurde das Auto langsamer und kam schließlich auf einem scheinbar leerstehenden Fabrikgelände zum Stehen.
„Was machen wir hier?“
Noch ohne sie einzuweihen stieg er aus, ging wieder um den Wagen, mit der Absicht, ihr beim Aussteigen zu helfen. Überschwänglich wie sie sein konnte, hatte sie die Beifahrertüre schon aufgerissen und ihre Füße auf dem Boden abgestellt, bevor er auch nur die Gelegenheit hatte, sie daran zu hindern. Schmunzelnd verdrehte er die Augen, während Sam sich neugierig umsah und sich einmal um die eigene Achse drehte. „Naja, ich weiß, dein Dad ist da anderer Meinung, aber ich finde, du solltest wissen, wie man mit einer Schusswaffe umgeht.“
Mit großen Augen sah sie ihn an. „Dein Ernst?“
„Ja.“, kam es ernst von ihm, dann fuhr er sich unter sein Jackett und zog eine echte Schusswaffe hervor. Bisher hatte Sam sie immer nur aus einer sicheren Entfernung gesehen, denn ihr Vater war dahingehend sehr altmodisch. Frauen mussten sich nicht verteidigen können, es reichte, wenn sie jemanden an ihrer Seite hatten, der Acht auf sie gab. Heimlich ging sie deshalb nach der Schule zweimal die Woche zu einem Selbstverteidigungskurs. Jedenfalls hatte sie das versucht. Schon in der ersten Woche flog sie auf, bekam eine Ohrfeige ab und musste versprechen, sich dem Oberhaupt nie wieder zu widersetzten.
„Aber, dir ist schon klar, dass du echt Ärger bekommst, wenn das raus kommt?“
„Deshalb ist es auch wie so vieles unser kleines Geheimnis!“ Erneut zwinkerte er Sam an. Das tat er immer wieder mal, weil es einfach seine Art war. Erneut kribbelte es in ihrem Bauch wie verrückt. Sie wusste, dass diese Schwärmerei aus mehrere Gründen keinen Sinn machte: Als Partner hatte er nicht die richtige Stellung, denn ihr Vater war einige Ebenen über ihm. Damit war auch sie einige Ebenen über Jacob. Er wäre so gesehen ein Downgrade und kein Upgrade… Generell wurden ihr zu innige Beziehungen mit Mitgliedern der großen Familie untersagt, eine Regel, die ihr Vater ausgesprochen hatte und dessen Wort war bekanntlich Gesetz. Außerdem war Jacob zu alt für sie. Sie war förmlich noch ein Kind, während er definitiv erwachsen war, jedenfalls auf dem Papier. Offensichtlich hatte er noch immer Flausen um Kopf wie ein kleiner Junge. Immer wieder versuchte sie ihn sich aus dem Kopf zu schlagen, doch kaum eine Nacht verging, in welchem er ihr nicht in ihnen Träumen begegnete.
„Ich kann schweigen, wie ein Grab!“, versprach sie, rieb sich mit den Händen über die Hose und kam dabei etwas auf ihn zu. „Was soll ich tun?“
„Nana, nicht so schnell, junges Fräulein. Erst suchen wir uns den richtigen Ort dafür. Komm mit.“, kam es von ihm, er nahm ihre Hand, sah sich ein letztes Mal um und führte sie in eins der Fabrikgebäude. Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass er sich auch während der Fahrt immer wieder aufmerksam umgesehen hatte. „Dieses Gelände wird hin und wieder für Schießübungen, Treffen oder zum Training genutzt. Er wissen wohl außerhalb der Familie nicht viele davon. Ich habe auf jeden Fall bisher niemanden hier getroffen, der hier nicht sein sollte.“
Gespannt lauschte sie seinen Worten, bis die beiden in einer Art Lagerhalle standen. Auf dem Boden entdeckte Sam Markierungen, auf der genüberlegenden Wand wurden Holzplatten befestig.
Dann erklärter Jacob ihr, wie eine Schusswaffe funktioniert, wie das mit dem Schaft war, wie man das Magazin wechselte und vor allem, wie man die Waffe entsicherte. Daraufhin schob er Sam etwas näher an die Wand mit der hölzernen Verkleidung. Er stellte sich hinter sie, legte ihr die Waffe in die rechte Hand und platziere dabei jeden Finger so, wie er sein sollte. Kleinlich erklärte er, wieso es wichtig war, die Finger genau so auf dem schweren Metall abzulegen. Anstatt sich aber voll und ganz auf das kalte und tödliche Gegenstand in ihrer Hand zu konzentrieren, nahm sie seinen Duft wahr, das Aftershave, welches an ihm haftete, das Parfum. Für Sam gab es keinen angenehmeren Geruch als diesen, da war sie sich sicher. „Und um das ganze zu stabilisieren, nutzt du deine zweite Hand.“ Auch diese platzierte er so, wie er sie haben wollte. Ein bisschen fühlte es sich für Sam wie eine Umarmung an, weil sie seine Arme an ihren eigenen Körper spüren konnte, wie er sich leicht über sie beugte. Außerdem sah sie nicht immer auf die Wand, die scheinbar ihr Ziel darstellte, denn sie konnte es nicht lassen, ihren Blick immer wieder in seine Richtung zu wenden.
„Okay. Ich muss zugeben, ich fühle mich jetzt ja schon ein bisschen gefährlich!“, kam es von Sam, nachdem sie schwer schlucken musste.
Schallend lachte Jacob auf. Auch Samantha musste erst leise, dann immer lauter lachen. Die beiden beruhigten sich, er kontrollierte sie, bevor er das Wort ergriff. „Bist du bereit?“
Selbstsicher nickte Sam. „Bereit.“
So ließ er sie los, wodurch Sam spürte, wie schwer eine Waffe sein konnte. Nicht nur die Hände hatte er von ihr gelöst, generell baute er wieder Abstand auf und stellte sich mit verschenkten Armen neben sie. „Entsichern.“
Sie kam der Aufforderung nach.
„Zielen.“
Auch hierbei versuchte sie zu tun, was Jacob von ihr erwartete.
„Einatmen.“
Gesagt, getan.
„Ausatmen.“
Auch das tat Sam, dabei bemerkte sie, dass ihre Arme langsam anfingen schwer zu werden.
„Luft anhalten und schießen.“
Ein lauter Knall ertöte, welcher sie zusammenzucken ließ. Außerdem ging ein Ruck durch ihre Arme und ihren gesamten Körper. Vollkommen aufgedreht sah sie Jacob an. „Und, wie war ich?“
„Also die Haltung war bis auf ein paar Kleinigkeiten ganz gut. Was das Ergebnis angeht, müssen wir erst schauen.“ Er hielt ihr die Hand entgegen, in welche sie ohne zu zögern die Schusswaffe legte, dabei hätte sie seine Hand viel Leiber gegriffen. Dann folge sie ihm zu der Wand. Kurz darauf deutete er auf eine Einschussstelle. „Hast du da hin gezielt?“
Sam hatte keine Ahnung. „Bestimmt.“ Der Selbstzweifel war ihr deutlich anzuhören. Jacob konnte nicht anders, als leicht zu schmunzeln. „Darf ich nochmal?“
 



 
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