JANE in der Glashalle

Wittelsbach

Mitglied
Einleitung:
In den heißen Sommertagen 2022 habe ich meinen Keller aufgeräumt. Fertig bin ich nicht geworden, viel habe ich nicht geschafft, eigentlich habe ich nur die Kiste mit meinen alten Tagebüchern geöffnet.
Der Inhalt ist längst verjährt, also denke ich, die eine oder andere Episode kann ich hier in der Leselupe zu Gehör bringen.
Schauplätze sind der Campingplatz in der Lüneburger Heide, die Stadt Hannover, das Herschel-Gymnasium, die Wohnung mit fünf Schwestern im Katalonienweg. Der Schreiber ist 16 Jahre alt, wir befinden uns in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, politisch ist nichts korrekt.
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November, den 23.11.1973 – JANE in der Glashalle
Heute wollte ich mich bei Melanie für die viele Opernbesuche mit ihren Eltern revanchieren. Mein Geschenk war ein Konzert in der Glashalle. Mit der Band Jane.
Wir starteten vom Katalonienweg, wo ich mit größter Sorgfalt unseren Proviant zusammengestellt hatte.
Vier Lindener Spezial, das war selbstverständlich. Aber zusätzlich buk ich extrafeine Pfannekuchen, nur für uns.
250 Gramm, je zur Hälfte weißes Mehl und Dinkelmehl, vier Eier, getrennt, halber Liter Vollmilch, 40 Gramm geschmolzene Butter, Salz, Zucker und etwas Kaiser Natron. Das Eiweiß hatte ich gesondert aufgeschlagen und ganz zuletzt unter den Teig gehoben.
In der gusseisernen Pfanne goldgelb ausgebacken. Intergalaktisch lecker!
So bewaffnet zogen wir los, mit Bus und Straßenbahn. Ich hatte mich auch besonders fein gemacht. Flauschiger Herren-Fuchs-Pelzmantel bis zu den Knöchel, mein weißes Jesushemd mit schwarzem Halsseidentuch, schwerer Ledergürtel in der Jeans mit breiter Kupferschnalle und hochhackige Stiefel. Und drei Tropfen Patschouli hinterm Ohr! Selbstverständlich krönte mich der Dreispitz von Klaas Störtebeker!
Ich machte schwer was her. Bestimmt würde ich Autogramme geben müssen!
An Eintrittskarten hatte ich weniger gedacht, vor Ort bekommt man immer verbilligte Karten von verzweifelten Verkäufern, wie man mir in der Schule verraten hatte.
Gut, – die verzweifelten Verkäufer wollten wesentlich mehr haben als die Abendkasse. So nicht!
Nach einem kleinen Rundgang sah ich auch schon den Eingang für Individualisten. Beim Männerklo standen die Oberlichter offen.
Als Gentleman ließ ich Melanie den Vortritt, ich half ihr mit einer kleinen Räuberleiter hinauf.
Dann schob ich die US-Umhängetasche mit den Fressalien in den Fensterrahmen. Mit einem kleinen Anlauf – knallte ich wirkungslos gegen die Mauer. Mit einem etwas größeren Anlauf schwang ich mich zu dem Fenster hinauf, wie bei einem seitlichen Bockspringen rutschte ich der Länge nach durch die schmale Öffnung, blieb mit den hochhackigen Stiefeln hängen und krachte hinab in die Pinkelrinne. Besonders schmerzhaft waren die gelben Pinkelsteine, die sich in Schulter, Hüfte und Wade bohrten. Trotzdem hatte sich der dicke Pelzmantel aus der Altkleidersammlung schon bezahlt gemacht.
Es war schön, als der allgemeine Schmerz nachließ und ich mich nach einiger Zeit wieder bewegen konnte. Melanie und irgend so ein Trollo halfen mir hoch, besonders schwer war es, mich wieder auf die hochhackigen Stiefel zu stellen. Gehen ging aber gar nicht mehr. Ich ließ die Stiefel direkt im Männer-Pissoir stehen. Sie waren mir sowieso von Anfang an zu eng gewesen.
Die Picknicktasche hatte kaum gelitten, wenn man von einer geplatzten Bierflasche absah.
Als wir endlich in die Halle humpelten, spielte Jane gerade einen Song über ein Schwulentreffen. Gaytime war der Titel. Ein Song, der auch musikalisch gesehen, beziehungsweise gehört, völlig runterzieht. So wie alle Songs dieser Band. Das war also mein erstes richtiges Konzert gewesen. Ich bin jetzt noch taub auf den Ohren. Warum musste das so laut sein? Hatte man den Musikern erzählt, sie hätten einen Auftritt im Altersheim? Und warum so viel grelles Licht? Dachten die, wir wären nicht nur taub, sondern auch blind?!
Übrigens hatte sich Melanie, drei, vier Lieder weiter, schon wieder auf Rufweite anbei genähert. Wobei man Rufweite auf einem freien Feld bei Windstille definieren muss. Gut, – die Melange aus Patchouli-Öl, Lindener Spezial, Schweiß, altem Pelzmantel, Urin und Urinal-Duftsteinen war nicht auf Anhieb jedermanns Geschmack.
Ein klein wenig gewöhnungsbedürftig war auch der Anblick unserer Pfannekuchen. Das Bier quoll bei jedem Bissen hervor und tropfte zu Boden. Geschmacklich allerdings waren sie nicht zu toppen. Das sah man auch an den vielen neidischen Blicken rundherum.
 



 
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