Japanischer Fisch

Laubilaura

Mitglied
Japanischer Fisch

Die flirrende Mittagshitze ließ die Konturen des Flughafens Hamburg Fuhlsbüttel am Horizont verschwimmen. Selbst in der U-Bahnstation des Flughafens war es nicht so kühl wie sonst, als Ben mit eiligem Schritt der Rolltreppe zum Ankunftsbereich entgegeneilte.

Er war auf dem Weg zum Flugsteig, um seine Freundin Aya abzuholen. Schon am Morgen war er aufgewacht und hatte, trotz aller Vorfreude, ein ungutes Gefühl im Bauch. Als er plötzlich Aya auf sich zu stürmen sah, wurde er jedoch aus seinen Gedanken gerissen. Sie war von schlanker Statur mit langen schwarzen Haaren und einem Lächeln auf dem Gesicht. Genauso wie man sich eine 18-jährige Japanerin eben vorstellt. Ben hatte sie letztes Jahr bei einem Schüleraustausch kennengelernt und nach Hamburg eingeladen. Dort wollten sie drei Wochen bei seinen Eltern verbringen.

Auf der Fahrt zu seinem Elternhaus stellte sich bei Ben wieder das flaue Gefühl in der Magengegend ein. Er hatte seinen Eltern nichts von der Ankunft und dem geplanten Aufenthalt von Aya gesagt, da sie bestimmt etwas gegen den Aufenthalt einzuwenden gehabt hätten. Ben war gespannt auf die Reaktion seiner Eltern. Er konnte die Argumente seiner Mutter schon im Geiste hören: „… das kommt gar nicht in Frage du bist erst siebzehn. Mit einem fremden Mädchen das du gerade mal zwei Wochen kennst, drei Wochen in einem Zimmer gemeinsam übernachten. Was da alles passieren kann …“

Nach gut einer halben Stunde Fahrt erreichten sie Bens Elternhaus. Als er die Haustür öffnete kam seine Mutter schon aus dem Wohnzimmer gestürzt: „Wo in Gottes Namen wa…“ Der Redeschwall versiegte sofort, als sie Aya mit dem Koffer in der Hand hinter Ben das Haus betreten sah. Ihre Gesichtszüge verwandelten sich von Wut in Fassungslosigkeit. Im Moment herrschte eine unheimliche Stille, die von Aya unterbrochen wurde. „Hallo, ich bin Aya aus Tokio. Ich freue mich, Sie kennenzulernen und möchte mich bedanken, dass Sie mich in Ihr Haus eingeladen haben.“

Diese Worte befreiten Bens Mutter aus ihrer Schockstarre. „Ich weiß nichts davon, dass ich Sie eingeladen habe.“ Die Blicke beider Frauen wanderten zu Ben, dessen Gesicht bereits die Farbe einer roten Christbaumkugel angenommen hatte.

„Du hast mir doch gesagt, dass sich deine Eltern auf meinen Besuch freuen“, sagte Aya.

„Ich … ich habe ihnen nichts davon gesagt, weil sie es bestimmt verboten hätten.“

Bens Mutter schaute beide an. „Es tut mir leid, aber leider kann ich es nicht erlauben, dass Sie in Bens Zimmer übernachten. Ben ist erst siebzehn. Leider haben wir auch kein anderes Zimmer zur Verfügung. Außerdem sind wir nicht auf Besuch vorbereitet.“ Dann wandte sie sich ihrem Sohn zu. „Du hast diesen Besuch mit uns weder besprochen und um Erlaubnis gefragt.“

„Du kannst sie doch nicht auf die Strasse setzen. Sie ist extra von Tokio nach Deutschland gekommen. Wo soll sie denn hin?“

„Das ist mir egal. Du hast versucht uns mit diesem Trick zu hintergehen, dass kann und will ich nicht akzeptieren.“ Sie machte eine kurze Pause. „Es tut mir leid. Bitte verlassen Sie unser Haus.“

„Dann gehe ich auch“, sagte Ben und nahm Aya an der Hand und zog sie hinaus. Da standen sie nun auf der Straße. Aya ohne eine Unterkunft für die kommenden drei Wochen und Ben mit einem schlechten Gewissen. Für ihn kam eine Rückkehr in das elterliche Haus nur mit Aya in Frage. Außerdem stand die Aussprache mit Aya noch aus, da er sie ebenfalls angelogen hatte.

Aya schaut Ben lange an und gab ihm dann einen Kuss. Ben war völlig konsterniert. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. „Womit habe ich das verdient?“, stammelte er.

„Bestimmt nicht dafür, dass du deine Eltern und mich angelogen hast“, erwiderte Aya.

„Wofür dann?“

„Dafür, dass du zu mir gehalten hast und mich nicht alleine gelassen hast. Ich möchte aber klarstellen, dass ich die Art und Weise wie du vorgegangen bist, äußerst mies und hinterhältig finde. Dafür habe ich keinerlei Verständnis. So, und nun lass uns überlegen, wie wir weiter vorgehen.“

Als Ben sich gefangen hatte grinste er. Aya schaute ihn fragend an. „Was führst du Schild?“

„Ich habe einen Plan. Komm mit.“ Ben schnappte sich Aya’s Koffer und trottete Richtung Bushaltestelle los. Sie bestiegen den nächsten Bus in Richtung Hauptbahnhof. Zwei Haltestellen später schob Ben Aya aus dem Bus und marschierte in Richtung einer Reihenhaussiedlung los. An einem mit Efeu berankten Reihenhaus blieb Ben stehen und drückte auf den Klingelknopf. Überrascht las Aya den Namen auf dem Klingelschild. Dieser kam ihr bekannt vor. Sie konnte nicht glauben wer hier wohnte.

Als die Tür aufgerissen wurde entfuhr Aya ein Freudenschrei. In der Tür stand eine kleine japanisch aussehende ältere Frau. Als sie den Besuch erkannte fiel ihr die Brille aus der Hand. Sie stürmte auf Aya zu, umarmte und begrüßte sie herzlich. Ben konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. Er hatte richtig vermutet, dass Aya bei seiner Japanisch-Lehrerin Frau Yokohama herzlich willkommen war. Aya und sie kannten sich vom Schüleraustausch. Aya’s Eltern hatten bei der Organisation des Schüleraustauschs Frau Yokohama tatkräftig unterstützt und somit zum Gelingen beigetragen.

„Kinder kommt rein. Ich mache uns einen Tee“, sagte Frau Yokohama sichtlich aufgewühlt und erfreut. Nachdem der Tee auf dem Tisch stand und Frau Yokohama eingeschenkt hatte sagte sie: „So nun erzählt mal, wie Aya hierherkommt.“ Mit Blick auf den Koffer fügte sie hinzu: „... und wie ich helfen kann?“ Ben wusste genau, dass jetzt der Zeitpunkt für die Beichte gekommen war. Frau Yokohama lehnt sich zurück und schaute Ben lange an.

„Nun“, begann sie. „Wie du dich verhalten hast, um deinen Plan durchzusetzen, verurteile ich auf das Schärfste.“ Nach einer Pause fuhr sie fort: „Ich werde mit Aya unter vier Augen besprechen, wie wir weiter vorgehen. Du kannst dir in der Zwischenzeit überlegen, was du mit deinem Verhalten angerichtet hast.“ Sie stand auf, nahm Aya bei der Hand und ging mit ihr in den Garten. Als sie außer Hörweite von Ben waren sagte sie mit einem Lächeln: „Den lassen wir jetzt ein bisschen schmoren.“ Sie wies auf die Gartenstühle und sagte zu Aya: „Setz dich schon einmal. Ich informiere schnell Ben‘s Eltern, dass ihr hier seid.“

Nach einer Weile kehrte sie in den Garten zurück. „Wenn du möchtest kannst du die drei Wochen bei mir im Gästezimmer wohnen. Ben allerdings wohnt zuhause. Seine Eltern sind damit einverstanden, dass ihr euch täglich seht und eure Ferien miteinander verbringt.“

Aya sprang auf und umarmte sie: „Vielen, vielen Dank, dass wird Ben auch sehr freuen.“

„Ob das Ben sehr freut werden wir erst noch sehen“, entgegnete sich mit einem Lächeln. „Komm lass uns zu ihm gehen.“

Im Wohnzimmer saß Ben immer noch in seinem Sessel und fingerte nervös an der Armlehne herum. Als beide das Zimmer betraten sprang er aufgeregt auf und schaute beide fragend an. Frau Yokohama setzte sich bedächtig hin. “Ich habe aber mit deiner Mutter gesprochen …“. Bens Gesicht verlor sämtliche Farbe. „Sie ist bereit, wenn Aya bei mir wohnt, dir zu erlauben deine Ferien mit ihr zu verbringen. Allerdings unter einer Bedingung!“

Ben wurde noch nervöser: „Und die wäre?“

„Du hilfst in den Ferien morgens deinem Onkel auf dem Fischmarkt beim Aufbau und Reinigung seines Standes“, entgegnete sie, ohne die Miene zu verziehen. Ben’s Augen wurden groß und er ließ sich mit einem Stöhnen in den Sessel fallen. „Die Arbeitszeit wäre von 04:00 Uhr bis 10:30 Uhr. Du könntest dann danach Aya von deinem Gehalt zum Frühstück einladen. Sie holt dich sicherlich gerne vom Fischmarkt ab, wenn sie ausgeschlafen hat.“
 
Zuletzt bearbeitet:



 
Oben Unten