Jean

Haarkranz

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Jean

Jansens saßen seit ewigen Zeiten auf ihrem Hof im Klevischen. Irgendwann in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, hatte ein Großknecht Jansen die junge Witwe seines Bauern geheiratet. Darüber hatte es genaue Aufzeichnungen, in einem Anhang der Familienbibel gegeben, die, während die Schlacht um Nimwegen 1944 tobte, zusammen mit der alten Kate verbrannte.
Franz Jansen, damals ein kleiner Junge, vergaß die vor Entsetzen eingekrümmte Gestalt der Mutter nie mehr, wie sie vor ihrem brennenden Haus in die Flammen starrte.
Der französische Fremdarbeiter Jean stand neben ihr, versuchte sie zu trösten, zeigte auf seine versengten Brauen und Haare, stammelte: rien, rien, nix, nix, rien.
Das war lange her.
Der Vater aus dem Krieg heimgekehrt, baute an Stelle der Kate, ein großes, bequemes Wohnhaus. Alles spielte sich wieder ein, ging bald seinen gewohnten Gang.
Dann geschah Unvergessliches:Franz jr.,sechzehn Jahre jung, ging noch zur Schule, war schon eine vollwertige Arbeitskraft auf dem Hof; stand eines Mittags auf seine Gabel gestützt beim Misthaufen,als ein Auto eine Staubfahne nachschleppend, in den Weg zum Hof einbog.
Das Auto hielt, ein Herr sprang heraus, lief mit den Armen rudernd, schreiend auf ihn zu: „Franz!“ schrie er, „Franz! Bist du Franz!? Perbleu, du musst Franz sein!“ Riss ihm die Mistgabel aus der Hand, fing an den um den Misthaufen herum verteilten Dung aufzuhäufeln.
Franz stand da mit offenem Mund, dann begriff er:
„Jean!“ schrie er, „Mama, Jean ist hier, Jean!“
Frau Jansen hatte durch das offene Küchenfenster, das Auto gehört,rannte sich die Hände an der Schürze abputzend auf den Hof und fiel Jean um den Hals.
„Jean, Jean,“ schluchzte sie,zog Jean zu der Bank um die Ecke, drückte ihn auf das Brett, fasste sich, schrie so laut sie konnte:
„Franz! Franz!schnell! Jean ist gekommen, Jean!“
Der Bauer, ein Franz wie sein Sohn und alle Erstgeborenen der Familie, melkte die Kuh ab, hing die Schürze an den Haken, nahm einen Lappen, wischte sich die Hände, erkannte mit vor Staunen offenem Mund Jean, seinen ehemaligen französischen Fremdarbeiter, zwischen Frau und Sohn. Jean, der sich im Krieg um Gerda, den kleinen Franz und den Hof gekümmert hatte. Der ihm in den seltenen Fronturlauben, zum Freund gewordenen war.
„Jean!“ Die beiden Männer umarmten sich, schlugen sich auf die Rücken, drehten sich bärenhaft ungeschickt, im Kreis.
„Oui Franz,“ sagte Jean und räusperte den Frosch weg, der seine Stimme feucht machte, „oui, Franz, bin ier.“
„Jean, das muss gefeiert werden! Gerda alles was gut ist auf den Tisch, vergiss den alten Mosel nicht, der schon so lange im Keller liegt.“
„Ein doppelt Grund zu feiern, Franz. Dass ich ier war, at mir Leben gerettet. Ich bin Jud. Wär ich nach Frankreich zurück, ich sicher deportiert!“ Dann, Jean hob die Rechte über den Kopf, zwirbelte mit Daumen, Zeige und Mittelfinger einen imaginären Strick, fuhr sich mit der Linken über die Kehle, sperrte den Mund auf und streckt die Zunge raus.
„Aufgehängt hätten sie dich, die Schweine, Jean, oder vergast,“ der Franz.
„Ja Franz, ich ier, in Löwenöhle sicher!“
 



 
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