Jede Woche geht sie Blumen kaufen

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F. Schwarz

Mitglied
„Die Blumen sind welk.“

„Soll das ein Vorwurf sein?“

„Nein“, antwortet er.

Noch haben sie ihre Blüten nicht vollständig verloren. So lange lässt sie die Blumen normalerweise auf dem Fenstersims stehen. Dann hebt er sie auf und schmeißt sie weg. Jede Woche kauft sie Blumen und füllt die Vase immer mit zu wenig Wasser. Dann schaut sie den Blumen beim Verwelken zu.

Nach ein paar Tagen fallen die Blüten auf den Boden vor ihre kleine Heizung; er hebt sie auf und schmeißt sie weg. Dann kauft sie Neue. Einmal hat er Wasser nachgefüllt, da haben sie etwas länger gehalten.

„Würdest du mehr Wasser einfüllen, würden sie auch länger halten“, sagt er zu ihr.

„Ja“, antwortet sie nur.

Sie zieht sich an, während er Nudelwasser aufsetzt. Wahrscheinlich geht sie Blumen kaufen.
 
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Anders Tell

Mitglied
Sehr genau beobachtete Beziehungsmuster und Kettenreaktionen ritualisierten Verhaltens. Eine Aktion ruft immer dieselbe Reaktion hervor, die wieder dieselbe Aktion auslöst. Solange bis eine Verstörung eintritt oder die Situation eskaliert. Von außen sieht man es deutlicher als einer der Mitspieler.
 

F. Schwarz

Mitglied
Sehr genau beobachtete Beziehungsmuster und Kettenreaktionen ritualisierten Verhaltens. Eine Aktion ruft immer dieselbe Reaktion hervor, die wieder dieselbe Aktion auslöst. Solange bis eine Verstörung eintritt oder die Situation eskaliert. Von außen sieht man es deutlicher als einer der Mitspieler.
Lieber Anders Tell, danke für die äußerst interessante Beobachtung zu meinen kurzen Zeilen – es freut mich zu hören, dass der beinahe alltägliche, ritualisierte Unterton, der die Gewöhnlichkeit für den/die Involvierten in diesem außergewöhnlichen Muster unterstreichen soll, durchscheinen konnte.

Lieben Gruß und einen schönen Abend
 

Rachel

Mitglied
Mein Eindruck ist, es geht um mehr als Rituale und immer gleiche Reaktionen. Die sind Mittel und Zweck, das schon. Zuvorderst will sie dem Sterben, einem Sterbevorgang zusehen ... langsam, täglich und immer wieder. Ganz wichtig: Immer wieder. Langsam verstehen, was passiert da vor dem Fenster. Sie möchte Vergänglichkeit als Prozess durch Beobachtung festhalten. Er weiß das irgendwie auch und unterstützt es (eventuell noch unbewusst). Deshalb steht da klugerweise auch, dass er nur einmal das Wasser nachgefüllt hat. Er hat eine andere Art und lässt aber ihr ihre. Die Blüte, die (dabei) abfällt ist das Leben. Oder weniger pathetisch, das Eheleben.

Und eine kleine Geschichte, die mir echt gefällt! Besonders das mit der kleinen Heizung. :)

Text hat die passende Länge. Ich hätte ihn nur ein wenig anders formatiert, siehe unten.

LG Rachel

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„Die Blumen sind welk.“

„Soll das ein Vorwurf sein?“

„Nein“, antwortet er.

Noch haben sie ihre Blüten nicht vollständig verloren. So lange lässt sie die Blumen normalerweise auf dem Fenstersims stehen. Dann hebt er sie auf und schmeißt sie weg. Jede Woche kauft sie Blumen und füllt die Vase immer mit zu wenig Wasser. Dann schaut sie den Blumen beim Verwelken zu.

Nach ein paar Tagen fallen die Blüten auf den Boden vor ihre kleine Heizung; er hebt sie auf und schmeißt sie weg. Dann kauft sie Neue. Einmal hat er Wasser nachgefüllt, da haben sie etwas länger gehalten.

„Würdest du mehr Wasser einfüllen, würden sie auch länger halten“, sagt er zu ihr.

„Ja“, antwortet sie nur.

Sie zieht sich an, während er Nudelwasser aufsetzt. Wahrscheinlich geht sie Blumen kaufen.
 
Es ist eines der ritualisierten Minidramen, wie sie bei alten Paaren vorkommen. Ihre tiefere Bedeutung kann nur schwer erschlossen werden, vielleicht ist sie nicht einmal den Akteuren voll bewusst. In ihrem Gehalt scheint sich etwas von Langzeiterleben wie -problematik kristallisiert zu haben. Sie wirken gerade durch ihre Rätselhaftigkeit oft faszinierend. Ohne Vertrautheit mit den Figuren würde ich mich nicht an eine Interpretation wagen.

Bei meinen Eltern, alt geworden, lief es in der Wohnküche so ab: Er liegt auf dem Sofa, leidend. Sie setzt einen Topf zum Erhitzen auf die elektische Herdplatte und achtet allmählich nicht mehr auf den Vorgang, ist anderweitig beschäftigt. Er überwacht mit äußerstem Misstrauen. Dann der große Moment: Topf kocht über, er richtet sich auf, macht Palaver. Sie rennt zum Herd, abwiegelnd. - Wie oft habe ich das bei meinen Besuchen dort genau so und nie anders miterlebt.

Schöne Abendgrüße an den Verfasser
Arno
 

F. Schwarz

Mitglied
Liebe Rachel – vielen lieben Dank für Deine Worte und die positive Bewertung meines kurzen Textes. Spannend sind hier in der Tat die völlig unterschiedlichen Sichtweisen auf das Leben, oder eben auch das Eheleben (eine sehr interessante Bemerkung, wie ich finde). Ganz besonders gefällt mir Deine Interpretation der hinabfallenden Blüten und der Beobachtung des Verfallsprozesses, der eine "Vanitas-Note" anhaftet, sofern ich Deine Gedanken richtig interpretiert habe!

Bezüglich der Formatierung: Besten Dank für den Vorschlag, diese Formatierung gefällt mir deutlich besser als die vorherige – ich werde den Text noch ein wenig umstellen, denke ich. ☺

Beste Grüße
 

F. Schwarz

Mitglied
Vielen Dank, lieber Arno, für Deine detaillierte und äußerst interessante Mitteilung sowie Deine Bewertung!
Es ist wirklich spannend: Lässt sich hier von einer Form von Resignation sprechen, die darüber hinaus mit Kommunikationsschwierigkeiten verknüpft zu sein scheint?

Ihre tiefere Bedeutung kann nur schwer erschlossen werden, vielleicht ist sie nicht einmal den Akteuren voll bewusst.
Auf diesen Punkt deutet vieles hin; ich gehe ebenfalls davon aus, dass solche Momente ritualisierten Verhaltens (ob schädigend oder eher harmlos) den Akteuren meist wenig bis gar nicht bewusst sind. Hier würde sich natürlich wunderbar mit der Frage anknüpfen lassen, ob und inwiefern ein solches Verhalten jegliche Form von Beziehungen (mit-)konstituiert oder vielleicht sogar zerstörerisch wirken mag.

Ich wollte hier lediglich ein abstraktes Bild zeichnen und freue mich, dass es Anklang gefunden zu haben scheint! :)

Abendliche Grüße
F. Schwarz
 



 
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