Jenseits des Lustprinzips

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Seit einigen Tagen träume ich nicht mehr. Es gibt eine bezaubernde Villa in Bad Gastein in der Sigmund Freud vor etwa hundert Jahren seine Ferien verbrachte, schreibend. Er erzählt von einem kleinen Kind, das er beobachtete. Es warf seine Spielsachen in eine Ecke unter das Bett – und rief: „ooooo“ – was so viel wie „fort“ bedeutete. Das Kind weinte nie, wenn seine Mama den Raum verließ. Es konnte ihm aber nicht gleichgültig sein, so Freud. Für ihn war das wegwerfen der Spielsachen ein Nachahmen eines Verschwindens.

Eines Tages bekam das Kind eine Holzspule mit einem langen Faden umwickelt. Es warf die Spule weg, hielt aber die Schnur in der Hand. Also konnte es die Spule wieder aus der Dunkelheit der Zimmerecke ins Dasein ziehen. „Da!!“ rief es lachend. Dieses Lusterlebnis und dieses Nachahmen des Gehens und Wiederkehrens waren für Freud ein Spiel des Erlebten. Ein Jahr nach diesen Beobachtungen, starb die Mutter des Kindes. Ich weiß nicht, was das Kind nun für ein Spiel erfand. Freud hat es mir nicht verraten. Auch meine Mutter ist tot. Aber ich bin kein Kind mehr und habe andere Spiele. Als wir unser Zimmer betraten lachte mein Lebensmensch, ein Philosoph: „Wir können uns nun gegenseitig therapieren.“ Im Zimmer stand eine alte Couch, die so sehr an Freud erinnerte, dass wir noch am Abend amüsiert am Balkon saßen und schweigend unser Unterbewusstsein unter dem klarem Sternenhimmel Wein trinkend in der Unendlichkeit ausbreiteten.
„Schau, eine Sternschnuppe!“ Ich freute mich, so selten hatte ich dieses Glück.
„Schau!“ rief ich wieder und wieder.

Christof der junge Hotelier begrüßte uns beim Frühstück. „Was kann ich Ihnen Gutes tun?“ Er lächelte. Alles war gut. Christof sieht aus wie ein Italiener, stammt aber aus Tirol. Mozart beim Kaffee. Musik aus den 30-er Jahren zum Abendessen. Ein breiter Wasserfall mitten durch das alte, verträumte, aristokratische Bad Gastein, der unwirklich tosend zwischen Felsen, in weiß schäumender Gischt herabstürzt und uns in der Hitze des Sommers mit seinem feinsten, heraufwehenden Wasserschleier bedeckt.
„Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.“ So hat es Freud ausgedrückt. Sokrates hat dies schon hübscher formuliert. Wir wissen es. Und je mehr wir es wissen, je inniger gewinnt jeder Augenblick angesichts der Endlichkeit an wert.
„Schau, hast Du gesehen?“ Schon wieder eine Sternschnuppe. Ich weiß nicht, ob es Zufall war oder ob im August auf 1000 Meter über der Adria die Sterne besonders lebendig sind. Ich denke, es war einfach Glück. Aber unser Glück.
 

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Seit einigen Tagen träume ich nicht mehr. Es gibt eine bezaubernde Villa in Bad Gastein in der Sigmund Freud vor etwa hundert Jahren seine Ferien verbrachte, schreibend. Er erzählt von einem kleinen Kind, das er beobachtete. Es warf seine Spielsachen in eine Ecke unter das Bett – und rief: „ooooo“ – was so viel wie „fort“ bedeutete. Das Kind weinte nie, wenn seine Mama den Raum verließ. Es konnte ihm aber nicht gleichgültig sein, so Freud. Für ihn war das wegwerfen der Spielsachen ein Nachahmen eines Verschwindens.

Eines Tages bekam das Kind eine Holzspule mit einem langen Faden umwickelt. Es warf die Spule weg, hielt aber die Schnur in der Hand. Also konnte es die Spule wieder aus der Dunkelheit der Zimmerecke ins Dasein ziehen. „Da!!“ rief es lachend. Dieses Lusterlebnis und dieses Nachahmen des Gehens und Wiederkehrens waren für Freud ein Spiel des Erlebten. Ein Jahr nach diesen Beobachtungen, starb die Mutter des Kindes. Ich weiß nicht, was das Kind nun für ein Spiel erfand. Freud hat es mir nicht verraten. Auch meine Mutter ist tot. Aber ich bin kein Kind mehr und habe andere Spiele. Als wir unser Zimmer betraten lachte mein Lebensmensch, ein Philosoph: „Wir können uns nun gegenseitig therapieren.“ Im Zimmer stand eine alte Couch, die so sehr an Freud erinnerte, dass wir noch am Abend amüsiert am Balkon saßen und schweigend unser Unterbewusstsein unter dem klaren Sternenhimmel in der Unendlichkeit ausbreiteten.
„Schau, eine Sternschnuppe!“ Ich freute mich, so selten hatte ich dieses Glück.
„Schau!“ rief ich wieder und wieder.

Christof der junge Hotelier begrüßte uns beim Frühstück. „Was kann ich Ihnen Gutes tun?“ Er lächelte. Alles war gut. Christof sieht aus wie ein Italiener, stammt aber aus Tirol. Mozart beim Kaffee. Musik aus den 30-er Jahren zum Abendessen. Ein breiter Wasserfall mitten durch das alte, verträumte, aristokratische Bad Gastein, der unwirklich tosend zwischen Felsen, in weiß schäumender Gischt herabstürzt und uns in der Hitze des Sommers mit seinem feinsten, heraufwehenden Wasserschleier bedeckt.
„Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.“ So hat es Freud ausgedrückt. Sokrates hat dies schon hübscher formuliert. Wir wissen es. Und je mehr wir es wissen, je inniger gewinnt jeder Augenblick angesichts der Endlichkeit an wert.
„Schau, hast Du gesehen?“ Schon wieder eine Sternschnuppe. Ich weiß nicht, ob es Zufall war oder ob im August auf 1000 Meter über der Adria die Sterne besonders lebendig sind. Ich denke, es war einfach Glück. Aber unser Glück.
 



 
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