Jesidenschicksal - Sonett

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Walther

Mitglied
Jesidenschicksal


Es spricht ein Retter Hoffnungsworte, die
Am Ende niemand wirklich hören will.
Im Raum ist es nur dunkel, kalt und still.
Sie wollten nicht gerettet werden, sie

Erhofften sich Erlösung durch den Tod.
Man hatte sie geschunden und geschändet,
Sie waren da, wo alle Hoffnung endet.
Es gibt den einen Schmerz, der jede Not

Verdeckt, der alles unter sich begräbt,
Was man sonst eine gute Zukunft nennt.
Es ist ein Stechen, das nie mehr verebbt,

Weil man die Ehre raubte und das Ich.
Dem Täter wünschte man, dass er sie kennt:
Die Scham, die stranguliert, elendiglich.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein Gedicht, das einen nicht kalt lässt.
Das Enjambment führt zu einer prosaischen Sprache, die in Verse geteilt ist. Das verstärkt hier die Wirkung.

Viele Grüße von Bernd
 

Walther

Mitglied
Hallo Bernd,

danke fürs kurze "retten". demnächst wäre es im orkus der grünen lupendichterwiese verschwunden. politisch lied ist garstig lied. wer so etwas schreibt, muß das akzeptieren.

in der tat ist das prosaische dieses texts einer seiner kunstgriffe. die tiefste not, das schlimmste elend, beides muß man zurückhaltend beschreiben. in solchen fällen ist leise laut. das ruhige aufgreifen des unsäglichen ist um vieles nachhaltiger als der lauteste schrei.

es ist unfaßlich und unfaßbar, was den mädchen und frauen aus der religionsgruppe der Jesiden zugefügt worden ist (und weiter wird; die frauen und mädchen im norden Nigerias erleider ja das gleiche schicksal; aber für sie gibt es eine öffentlichkeit). wir können uns das gar nicht vorstellen.

dieses gedicht will das auch gar nicht leisten, weil es nicht möglich ist. auch mitleiden hat eine grenze. man kann, was dort in den menschen und auch bei ihren familien, den männern, töchtern, söhnen, verwandten angerichtet wurde (und wird), nicht wirklich nachempfinden, weil es schlimmer ist als das schlimmeste, was wir je erlebt haben.

ich wollte, daß dieser text nahe geht. mehr kann ich leider nicht tun, obschon die situation dazu drängt.

lg w.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein Problem dieses Gedichtes ist es, dass man es erst versteht, wenn man sich mit den Jesiden befasst hat.
Dann sieht man aber zugleich auch die universellere Bedeutung, wie bei "Though art the Man" von Poe. (Nach 2 Samuel 12:7 http://bibeltext.com/2_samuel/12-7.htm )

Jeder ist beteiligt. Jeder ist ein wenig Täter. Und sei es durch Nichtwissen.

Aber was tun?
Der erste Schritt ist: Bekanntmachen.
Dazu trägt Dein Gedicht bei.


Viele Grüße von Bernd
 

Walther

Mitglied
Hi Bernd,

so ist es. man muß etwas tun, um zu verstehen. aber das ist ja der sinn solcher dichtung: anstöße geben. wer sich dafür zu fein ist, der ist hier der "falsche" leser.

allerdings ist die überschrift dann wiederum doch austauschbar, weil ein globales phänomen angesprochen wird: die entziehung und vergewaltigung von frauen in kriegen aller art. daher könnte man das gedicht auch "Frauenschicksal" nennen. das zu erkennen aber war schon eine der geistigen leistungen, zu denen der text aufgefordert hat.

lf w.
 

Label

Mitglied
Lieber Walther

ein eindringlicher Text, der in dieser Verkürzung

Es spricht ein Retter Hoffnungsworte, die
Am Ende niemand wirklich hören will.
Die Scham, die stranguliert, elendiglich.

Grundsätzliches aufzeigt.
Dein Gedicht hat mich angesprochen und zu weiteren Gedanken wie Sozialverhalten und Identifikationsmuster angeregt.
Keine sorglosen Gedanken, aber notwendige. Danke dafür.

Lieber Gruß
Label
 

Walther

Mitglied
Moin Label,

danke für die rückkopplung. das war ungefähr das, was ich mir erhofft hatte. nachdenken ist schon einmal gut. vielleicht gelingt es uns ja, etwas ein ganz klein wenig zu ändern ...

lg w.
 



 
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