Jetzt kann ich nicht mehr sagen, ich hätte nicht einmal im Traum daran gedacht.
Daran, einer anderen den Mann auszuspannen, nämlich. Hab ich tatsächlich noch nie versucht. Weder in Gedanken, Worten noch Taten. Aber diese Nacht habe ich immerhin davon geträumt. Allerdings nicht von einem real existierendem Mann, insofern hält sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen. Es war auch ein verdammt guter Traum!
Er steht bei der Bushaltestelle vor der Kirche, im Wintergrau und ich weiß, er wartet auf mich. Ich habe eine Freundin, sagt er. Sie heißt genauso wie du. Er sagt das, um Abstand herzustellen und das ist auch bitter nötig, es herrscht nämlich zwischen uns eine enorme Anziehungskraft. Sie heißt genauso wie du. Als wäre ich ihr deswegen verpflichtet. Als wäre ein Verrat dadurch doppelt verwerflich. Und dann rennen wir los. Ob von etwas weg oder zu etwas hin, keine Ahnung. Jedenfalls gemeinsam. (Dass er mir davon läuft, auf so eine Deutung kommt man auch nur im Wachzustand). Wir rennen durch ein Labyrinth, einen Friedhof, ein Haus mit verwinkelten Gängen. Irgendwann bleiben wir stehen und ich sage: Es muss ja gar nicht sein. Eine Berührung, eine Umarmung, ein Kuss. Gleich. Und es muss auch wirklich nicht. Aber es will! Ich weiß nicht, was jetzt sein soll und gerade, bevor ich mich entscheide, wache ich auch.
Weiß der Teufel, was mir mein Unterbewusstsein damit wieder sagen will. Vielleicht verdaut es da diese äußerst frustrierenden Überlegung, die ich kürzlich angestellt habe, die nämlich so geht, dass ich irgendwann in ein Alter kommen werde, in dem alle guten Männer – also die, die dazu überhaupt in der Lage sind – eine feste Beziehung haben werden. Ich habe den Gedanken dann lieber nicht weiter verfolgt, weil er mich irgendwann dorthin führen würde, wo ich einsehen müsste, dass ich womöglich keine von den guten Frauen bin, die überhaupt dazu in der Lage sind, eine feste Beziehung zu haben.
Vielleicht kommt es aber auch von der Geschichte, die mir meine Mutter kürzlich erzählt hat, über eine ihrer Kusinen. Es ging zuerst eigentlich gar nicht ums Männer Ausspannen, die Moral, die transportiert werden sollte, war, passend zur Feststagsvöllerei, eher die: Kinder, passt's auf mit den Süßigkeiten, Diabetes liegt bei uns in der Familie. Bewusste Kusine hatte nämlich Diabetes. Aber nicht von Anfang an. Was sie allerdings von Anfang an hatte, das war eine verhängnisvolle Leidenschaft für Torten, Kuchen, Pralinen und dergleichen. Noch heute hörte man die Faszination in der Stimme meiner Mutter, erzählt sie von den Mengen, die diese Kusine beim gemeinsamen Konditoreibesuch vertilgen konnte. Sie dürfte aber trotzdem durchaus attraktiv gewesen sein, die Kusine, denn sie hatte bereits seit der Tanzschule eine äußerst vorteilhafte Partie an der Angel, einen Jus-Studenten, aus einer der besten Familien der Kleinstadt, der würde später die Kanzlei übernehmen und alle alten Tanten tuschelten schon ganz aufgeregt, in welche Kreise die Kleine bald einheiraten würde. Und dann bekam sie Diabetes. Der Schwiegermuttertraum machte noch im Krankhaus Schluss mit ihr, mit den Worten, seine Mutter habe ihn ermahnt, er werde doch keine kranke Frau heiraten.
Mamas Kusine nahm das persönlich. Sie fiel ins Zuckerkoma. (Das eben mitunter durch solche Schocks ausgelöst werden kann.) Als sie wieder erwachte, war sie ein anderer Mensch. Nicht, dass sie dann etwa den Torten abgeschworen hätte! Nein! Sie vertilgte die gleichen Mengen wie zuvor, "Dann spritz ich mir eben morgen die doppelte Dosis Insulin", sagte sie. Ja, und das war mehr als Dummheit, das war mehr als Gier – das war Todesverachtung. Meine Mutter wusste es genau: Sie hatte vor sich eine Frau, der nun alles egal war. Fressen ist unfairer Weise ja die unsexieste Form der Selbstzerstörung, die einzige, die sich nicht mit etwas guten Willen und viel Phantasie romantisieren lässt. Aber der Geist, der dahinter steckt ist derselbe wie beim Saufen, Hungern und Gefahr-Suchen: Todesverachtung eben. Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst. Aber die Kusine hatte inzwischen eine solche Scheiß-drauf-Mentalität entwickelt, da beschränkte sie die Rücksichtslosigkeit nicht mehr auf sich selbst und spannte der Nachbarin den Mann aus. Als die Nachbarin gerade schwanger war.
Nun gehört ja das Betrügen einer schwangeren Frau für meine Mutter zu den mit Abstand verwerflichsten Dingen, die ein Mann tun kann, ohne gleich ein Kapitalverbrechen zu begehen. Ich erinnere mich, einmal in einem Roman gelesen zu haben, wie sich der Erzähler gerade zu damit brüstet, seine Frau nur einmal betrogen zu haben und selbst das nur während ihrer Schwangerschaft, als wäre gerade das ein Milderungsgrund. Gerade das! Ich hatte beim Lesen natürlich sofort meine Mutter im Ohr, wie sie schwärzeste Verdammnis auf die Schuldigen eben dieses Vergehens herabrief, und fand den Spruch daher wunderbar ironisch, aber auch sehr unsympathisch. So unsympathisch, dass mir nicht einmal den alten Anfängerfehler verkneifen konnte, den Erzähler mit dem Autor zu verwechseln und die Antipathie gleich auf ihn ausdehnte. Am liebsten hätte ich ihm meine Mutter auf den Hals gehetzt. (Das macht aber nichts, weil ich mittlerweile ohnehin vergessen habe, wer das geschrieben hat, es wird also gerade kein unschuldiger Autor fälschlich von mir mit Verachtung gestraft.)
Symmetrischerweise gehört das Ausspannen des Mannes einer schwangeren Frau natürlich auch zu den verwerflichsten Dingen, die eine Frau tun kann, laut meiner Mutter zumindest. Ich sage dazu jetzt nichts, aber die Rechtfertigung, mit der die Familie der Kusine dann daherkam, die fand ich jedenfalls auch ziemlich lächerlich. "Tja, die hat sich halt nur mehr um das Kind gekümmert, kein Wunder, dass der vernachlässigte Mann sich woanders Trost sucht." Ja mei, der Arme. Für so was hat meine Mutter natürlich nur ein verächtliches Schnauben übrig. Das bestätigt auch wieder nur ihre Theorie von den Männern: "ja soooo sensibel, aber nur wenn’s um sie selber geht!". Für meine Mutter ist völlig klar, dass man sich um einen Mann nicht kümmern muss wie um ein Kind, ein Mann ist eine erwachsene Person und kann sich ja wohl um sich selbst kümmern, und überhaupt, wer kümmert sich um die Frau?
Ich persönlich glaube ja sowieso, Mamas Kusine hatte die Rechtfertigung gar nicht nötig. Ich glaube, die Kusine hat auf die Rechtfertigung geschissen, darauf geschissen, was die anderen dachten, weil sie eben beschlossen hatte, von nun an auf alles zu scheißen, auf ihr eigene, kleine, unpunkige, biedere, aber irgendwie konsequente Weise. Ich glaube es, ich kann es nicht wissen, ich kenne diese Frau ja gar nicht. Aber ich hoffe es. Wenn schon, denn schon. Zumindest das.
Vielleicht wird das irgendwann auch das Einzige sein, das mir bleibt.
Daran, einer anderen den Mann auszuspannen, nämlich. Hab ich tatsächlich noch nie versucht. Weder in Gedanken, Worten noch Taten. Aber diese Nacht habe ich immerhin davon geträumt. Allerdings nicht von einem real existierendem Mann, insofern hält sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen. Es war auch ein verdammt guter Traum!
Er steht bei der Bushaltestelle vor der Kirche, im Wintergrau und ich weiß, er wartet auf mich. Ich habe eine Freundin, sagt er. Sie heißt genauso wie du. Er sagt das, um Abstand herzustellen und das ist auch bitter nötig, es herrscht nämlich zwischen uns eine enorme Anziehungskraft. Sie heißt genauso wie du. Als wäre ich ihr deswegen verpflichtet. Als wäre ein Verrat dadurch doppelt verwerflich. Und dann rennen wir los. Ob von etwas weg oder zu etwas hin, keine Ahnung. Jedenfalls gemeinsam. (Dass er mir davon läuft, auf so eine Deutung kommt man auch nur im Wachzustand). Wir rennen durch ein Labyrinth, einen Friedhof, ein Haus mit verwinkelten Gängen. Irgendwann bleiben wir stehen und ich sage: Es muss ja gar nicht sein. Eine Berührung, eine Umarmung, ein Kuss. Gleich. Und es muss auch wirklich nicht. Aber es will! Ich weiß nicht, was jetzt sein soll und gerade, bevor ich mich entscheide, wache ich auch.
Weiß der Teufel, was mir mein Unterbewusstsein damit wieder sagen will. Vielleicht verdaut es da diese äußerst frustrierenden Überlegung, die ich kürzlich angestellt habe, die nämlich so geht, dass ich irgendwann in ein Alter kommen werde, in dem alle guten Männer – also die, die dazu überhaupt in der Lage sind – eine feste Beziehung haben werden. Ich habe den Gedanken dann lieber nicht weiter verfolgt, weil er mich irgendwann dorthin führen würde, wo ich einsehen müsste, dass ich womöglich keine von den guten Frauen bin, die überhaupt dazu in der Lage sind, eine feste Beziehung zu haben.
Vielleicht kommt es aber auch von der Geschichte, die mir meine Mutter kürzlich erzählt hat, über eine ihrer Kusinen. Es ging zuerst eigentlich gar nicht ums Männer Ausspannen, die Moral, die transportiert werden sollte, war, passend zur Feststagsvöllerei, eher die: Kinder, passt's auf mit den Süßigkeiten, Diabetes liegt bei uns in der Familie. Bewusste Kusine hatte nämlich Diabetes. Aber nicht von Anfang an. Was sie allerdings von Anfang an hatte, das war eine verhängnisvolle Leidenschaft für Torten, Kuchen, Pralinen und dergleichen. Noch heute hörte man die Faszination in der Stimme meiner Mutter, erzählt sie von den Mengen, die diese Kusine beim gemeinsamen Konditoreibesuch vertilgen konnte. Sie dürfte aber trotzdem durchaus attraktiv gewesen sein, die Kusine, denn sie hatte bereits seit der Tanzschule eine äußerst vorteilhafte Partie an der Angel, einen Jus-Studenten, aus einer der besten Familien der Kleinstadt, der würde später die Kanzlei übernehmen und alle alten Tanten tuschelten schon ganz aufgeregt, in welche Kreise die Kleine bald einheiraten würde. Und dann bekam sie Diabetes. Der Schwiegermuttertraum machte noch im Krankhaus Schluss mit ihr, mit den Worten, seine Mutter habe ihn ermahnt, er werde doch keine kranke Frau heiraten.
Mamas Kusine nahm das persönlich. Sie fiel ins Zuckerkoma. (Das eben mitunter durch solche Schocks ausgelöst werden kann.) Als sie wieder erwachte, war sie ein anderer Mensch. Nicht, dass sie dann etwa den Torten abgeschworen hätte! Nein! Sie vertilgte die gleichen Mengen wie zuvor, "Dann spritz ich mir eben morgen die doppelte Dosis Insulin", sagte sie. Ja, und das war mehr als Dummheit, das war mehr als Gier – das war Todesverachtung. Meine Mutter wusste es genau: Sie hatte vor sich eine Frau, der nun alles egal war. Fressen ist unfairer Weise ja die unsexieste Form der Selbstzerstörung, die einzige, die sich nicht mit etwas guten Willen und viel Phantasie romantisieren lässt. Aber der Geist, der dahinter steckt ist derselbe wie beim Saufen, Hungern und Gefahr-Suchen: Todesverachtung eben. Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst. Aber die Kusine hatte inzwischen eine solche Scheiß-drauf-Mentalität entwickelt, da beschränkte sie die Rücksichtslosigkeit nicht mehr auf sich selbst und spannte der Nachbarin den Mann aus. Als die Nachbarin gerade schwanger war.
Nun gehört ja das Betrügen einer schwangeren Frau für meine Mutter zu den mit Abstand verwerflichsten Dingen, die ein Mann tun kann, ohne gleich ein Kapitalverbrechen zu begehen. Ich erinnere mich, einmal in einem Roman gelesen zu haben, wie sich der Erzähler gerade zu damit brüstet, seine Frau nur einmal betrogen zu haben und selbst das nur während ihrer Schwangerschaft, als wäre gerade das ein Milderungsgrund. Gerade das! Ich hatte beim Lesen natürlich sofort meine Mutter im Ohr, wie sie schwärzeste Verdammnis auf die Schuldigen eben dieses Vergehens herabrief, und fand den Spruch daher wunderbar ironisch, aber auch sehr unsympathisch. So unsympathisch, dass mir nicht einmal den alten Anfängerfehler verkneifen konnte, den Erzähler mit dem Autor zu verwechseln und die Antipathie gleich auf ihn ausdehnte. Am liebsten hätte ich ihm meine Mutter auf den Hals gehetzt. (Das macht aber nichts, weil ich mittlerweile ohnehin vergessen habe, wer das geschrieben hat, es wird also gerade kein unschuldiger Autor fälschlich von mir mit Verachtung gestraft.)
Symmetrischerweise gehört das Ausspannen des Mannes einer schwangeren Frau natürlich auch zu den verwerflichsten Dingen, die eine Frau tun kann, laut meiner Mutter zumindest. Ich sage dazu jetzt nichts, aber die Rechtfertigung, mit der die Familie der Kusine dann daherkam, die fand ich jedenfalls auch ziemlich lächerlich. "Tja, die hat sich halt nur mehr um das Kind gekümmert, kein Wunder, dass der vernachlässigte Mann sich woanders Trost sucht." Ja mei, der Arme. Für so was hat meine Mutter natürlich nur ein verächtliches Schnauben übrig. Das bestätigt auch wieder nur ihre Theorie von den Männern: "ja soooo sensibel, aber nur wenn’s um sie selber geht!". Für meine Mutter ist völlig klar, dass man sich um einen Mann nicht kümmern muss wie um ein Kind, ein Mann ist eine erwachsene Person und kann sich ja wohl um sich selbst kümmern, und überhaupt, wer kümmert sich um die Frau?
Ich persönlich glaube ja sowieso, Mamas Kusine hatte die Rechtfertigung gar nicht nötig. Ich glaube, die Kusine hat auf die Rechtfertigung geschissen, darauf geschissen, was die anderen dachten, weil sie eben beschlossen hatte, von nun an auf alles zu scheißen, auf ihr eigene, kleine, unpunkige, biedere, aber irgendwie konsequente Weise. Ich glaube es, ich kann es nicht wissen, ich kenne diese Frau ja gar nicht. Aber ich hoffe es. Wenn schon, denn schon. Zumindest das.
Vielleicht wird das irgendwann auch das Einzige sein, das mir bleibt.