Joe Fliederstein hält sich eine Tür offen

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G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Lieber Gott, warum – ich wüsst es gern –
Hast du mich in diese Welt geschickt?
Jagst mich runter von dem Glitzerstern,
Hast mich aus dem Hort der Seligen gekickt.

Treibst mich durch die Jahre, machst mich alt,
Schweigst, wenn ich nach Hauptgewinnen frage,
Lässt mich, wie ich bin, auch zugeknallt
Branntweinmäßig. Lieber Gott, ich schlage

Vor: Ich geh dir künftig aus dem Blick.
Dein Gelauer oben runter stört mich sehr.
Hockst mir, alles besser wissend, im Genick,
Lässt mir keine Luft zur Gegenwehr.

Du, ich werde mich von nun an wehren
Gegen dich und deine Vormundschaft,
Meine Pläne reifen noch im Ungefähren,
Aber bald erlebst du sie als dauerhaft.

Losgelassen streif ich dann durchs Leben
(insofern hat sich der Kick dann doch gelohnt),
Bald benehm ich mich aus eigner Kraft daneben,
Denn der Himmel ist für mich jetzt unbewohnt.

Lieber Gott, was hältst du von der Sache?
Sagst du’s meiner Frau, wenn sie mich sucht?
Bleibst du mir gewogen, wenn ich’s mache?
Bleib ich auf Verdacht bei dir gebucht?
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Ja, das Leben hält eine Menge Enttäuschungen bereit, wer wüsste das nicht. Man wendet sich ab von dem Idol. Was soll man sonst tun? Der Lack ist ab.
Und doch, so ganz ist der Bruch nicht vollendet, der Autor hält seinem Abtrünnigen immer noch ein Hintertürchen offen: "Bleibst du mir gewogen, wenn ich's mache?" Das ist ein Hilfeschrei, und wenn der liebe Gott mit dem armen Sünder Mitleid hat, huscht der sofort wieder unter die Soutane. Aber auch das ist menschlich. Man sollte das nicht allzu streng beurteilen, zumal das vom Glauben abfallende Subjekt nicht eigentlich mit sich ringen muss, der Abfall geschieht beinahe mit derselben Leichtigkeit, als trete es aus dem Kaninchenzüchterverein aus. Auch das ist menschlich. Und Gott verzeiht alles, sofern der Sünder nur bereut und Buße tut. Das hätte ich mir am Schluss des Gedichts vorstellen können. Steht aber nicht da. Und so scheint es mit dem ganzen Glauben auch nicht weither gewesen zu sein, des Autors Subjekt ist sozusagen aus der Kirche aus- und in die SPD eingetreten, wo Halb und Halb noch lange nicht ein Ganzes ist.

Das Gedicht ist sauber im Kreuzreim geschrieben. Rein technisch ist alles in Ordnung.

Gruß, blackout
 



 
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