Jogginganzüge

hades

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Jogginganzüge

Man sagt von Jogginganzügen, sie seien bequem.
Das ist natürlich eine verschleiernde Charakterisierung des Gefahrenpotentials dieser Freizeituniformen.
Jogginganzüge sind persönlichkeitsverändernd, prinzipienvernichtend, weicheierhärtend und machoerweichend. Mit dem Überstreifen eines dieser Dinger wird jeder Keim von Eigeninitiative erstickt.
Das ist kein Blödsinn! Ich habe es an am eigenen Leibe erfahren.
Sie hätten mich früher sehen sollen. Ich war ein unternehmungslustiger, kreativer und dynamischer junger Mann. Neben meinem Studium hatte ich noch zwei Stellen als studentische Hilfskraft, und ich trug früh in den Morgenstunden die lokale Tageszeitung aus. Ich verpasste keine Übungsstunde und bestand jede Klausur. Trägheit und Dekadenz waren fremde Begriffe.
Dann schenkte mir meine Mutter eines Tages vor Abschluss des Studiums einen roten Jogginganzug mit weißen Seitenstreifen.
Ich schaute das Ding misstrauisch an, als ob ich das innewohnende Unheil erahnen würde. Doch Mutter zerstreute meine Gedanken mit der immer entwaffnenden Aussage:
„Der Papa hat auch einen und er fühlt sich wohl.“
Das war der Inbegriff alles Erstrebenswerten:
Der Papa hat einen und der Papa fühlt sich wohl. Widerstandslos nahm ich das Geschenk an.
In den nächsten Tagen und Wochen belauerten wir uns, doch einer Versuchung konnte ich widerstehen. Nicht zuletzt mein Tagesablauf ließ es nicht zu, vom Geschenk meiner Mutter Gebrauch zu machen.
Doch dann kam der Tag – schlecht gelaufen. Die Prüfung war wahrscheinlich versiebt – kaum Hoffnung. Jetzt war mir alles gleichgültig; ich wollte nur noch relaxen. Schon als ich den Raum mit dem unweggeräumten Jogginganzug betrat, glotzte mich das Ding frech und triumphierend an. Ich konnte diesem Ungeheuer nicht widerstehen; ich riss mir die Kleider vom Leib und stülpte mir das unselige Ding über.
Die Wirkung kam rasch, die Dosis war hoch.
‚Mann’, was wollen die denn! Hey Junge, das bist du, der Superjokki. Wir sind voll gut drauf.
Ich fühlte dieses Gift in meinen Körper strömen und sich darin ausbreiten. Meine Gedanken kreisten um die Angelpunkte: Kühlschrank, Sofa und Fernseher. Mein Aktivitätsradius wurde durch diese drei Dinge definiert.

Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem dicken Kopf. Mein Jogginganzug war mit Ketchup, Mayonnaise, Bier- und Rotweinflecken geschändet. Ich zog das verschmutzte Ding aus und sogleich durchfuhr mich das Verdrängte:
Welche Prüfungsaufgaben waren da gestern doch gleich?
Ich stürzte mich wieder in meine Karriere, hatte die Prüfung doch bestanden, brachte den Jogginganzug in die Reinigung und vergaß am nächsten Tag - leider nicht – ihn abzuholen.
Am Abend saß ich wieder in diesem roten Ungeheuer. Ich war alsbald ins Sofa geplumpst und döste vor mich hin. Die Wohnungstürklingel riss mich aus der momentanen Lethargie. Verschreckt schob ich mich samt Jogginganzug zur Tür und blickte wenige Sekunden später in zwei hellblaue Kristalle von Augen. In jenem abgeschabten Joggingteil, das ein früheres Violett vermuten ließ, steckte ein Frauenkörper, der das Blut in meinen Adern gefrieren ließ. Lächelnd registrierte sie die Wirkung meines Geschlechts an meinem linken Joggingbein und reichte mir ihre Zuckertasse.

Seit jenem Tage sollte ich mein Studium nicht wieder aufnehmen. Meine Jobs habe ich verloren, meinen Jogginganzug nie mehr völlig ausgezogen. Von Zeit zu Zeit verheddere ich mich in diese abgeschabte violette Falle. Mein Leben ist seitdem verkommen und dekadent. Zwischen Sexorgien befressen wir uns oder ziehen uns Talkshows rein, von der Sorte: „wenn ich dein Geschlechtsteil sehe, muss ich kotzen.“
Ja, dieser Jogginganzug ist ein Fluch, doch Mama hat teuer bezahlt – schließlich hatte sie mir dieses Ding geschenkt.
Mama ist jetzt tot.
Morgen schmeiße ich diese violette Schlampe raus und werfe den Jogginganzug in den Mülleimer. Ich beginne eine neue Karriere als Poetry-Slammer. Aber eins sage ich euch:
Garantiert ohne Jogginganzug!!!

© Erich Romberg, November 2000
 



 
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