Josef

Nils Würdig

Mitglied
Es war einmal, vor langer Zeit, in einer weit, weit entfernten Galaxis…



JOSEF

(ein Zitat aus der echten Bibel)​



…war am Handy, während er mit seinem Fiat Multipla durch Jerusalem fuhr. Hergefunden hatte er dank Google Maps ganz ohne Brotkrümel, nur die Einfahrt der Krankenhaus-Tiefgarage versteckte sich noch vor ihm. Eigentlich hatte er hier gar nicht hergewollt. Aber seiner Frau, der hochschwangeren Maria, war es plötzlich unfassbar wichtig gewesen, ihren Sohn nicht mithilfe der Provinz-Hebammen aus Nazareth zur Welt zu bringen, sondern die Geburt im modernsten Krankenhaus des Landes, dem „Grimm Brothers Hospital“ in Jerusalem durchzuführen. Vielleicht war ihr der Ruhm, der ihr dank ihrer unbefleckten Empfängnis über diverse Social Media Kanäle entgegengeschlagen war, doch etwas zu Kopf gestiegen.


Dank einem hölzernen Wegweiser, den jeder Wolf wegblasen hätte können, fanden sie schließlich doch einen Parkplatz und Josef brachte Maria zur Geburtenstation. Doch seitdem seine Mutter ihm erzählt hatte, dass seine Großmutter per Kaiserschnitt aus einem Wolf befreit worden war, fühlte er sich an Orten, an denen Kindern aus den Leibern ihrer Mütter entfernt wurden, höchst unwohl. Deshalb entschied er, da es Abend wurde, die berüchtigte Barszene Jerusalems zu erkunden. Den Protesten Marias entgegnete er, sie solle ihm doch einfach schreiben, wenn es so weit sei.



Die Stimmung war gut, die Getränke stark und im Rausch bekam Josef Lust auf das weibliche Geschlecht. Er wäre gern mal wieder mit einer anderen Frau im Bett, als mit der dick gewordenen, wehleidigen Maria. Also tat er das, was jeder moderne Mann in seiner Situation getan hätte: Er lud sich Tinder herunter.
Sofort fing Josef an, nach links und rechts zu swipen. Normalerweise hätte er sich geweigert, Frauen so zu objektisieren, doch im betrunkenen Zustand war in seinem Kopf ein Oktopushirn. Wohnt in einem Lebkuchenhaus? Nach links. Wunderschönes, langes, blondes Haar? Nach rechts. Bild von einem Frosch, der behauptet, er wäre ein Prinz? Sofort nach links.


Schnell wurde ihm fad. Als er das Handy wieder weglegte und sich umsah, entdeckte er am Boden einen verlorenen, einsamen, weißen Asics-Schuh. Er wollte ihn aufheben, da hörte er aus ein paar Metern Entfernung eine Frauenstimme mit leicht russischem Akzent sagen: „Entschuldigung, das ist mein Schuh, den Sie da gefunden haben, ich würd‘ ihn gern wieder tragen.“ Josef blickte auf und sah die schönste Frau der Welt auf ihn zukommen. Blau gefärbte, schulterlange Locken, türkise Augen, tiefer als die tiefsten Meere und ein Körper, malerischer als jedes Gemälde. So näherte sich die Frau ihm, so anmutig, dass sich jeder Mensch sofort verlieben müsste, würde er*sie diese Naturgewalt mit Josefs Augen sehen. Unendlich elegant kam sie ihm vor, obwohl sie zugegebenermaßen etwas unrund ging, sie trug nur einen Schuh.


Josef stammelte nur vor sich hin, doch das war kein Problem für die Unbekannte, welche das Gespräch sofort an sich Riss und sich vorstellte. Ihr Name sei Elena Aschenputt, doch ihre Freunde würden sie Aschenputt El nennen. Sie studiere gerade Lyrik an der Grimmologischen Uni Jerusalem. Dies beeindruckte Josef sehr, war er selbst doch nur ein dummer Zimmermann mit einer Vorliebe für moderne Gadgets. Doch war er sich seiner fehlenden Bildung bewusst und fasziniert von diesem Engel, der trotz der intellektuellen Schieflage zwischen den Zweien das Gespräch zu genießen schien.


Eins führte zum anderen[1] und ein paar Stunden später fand sich Josef in Elenas Bett wieder, Maria war fast vergessen, an die vergangenen Stunden würde er sich allerdings sein restliches Leben lang erinnern. Als sein Handy ein Geräusch von sich gab, fiel ihm die anstehende Geburt sofort wieder ein. Entsetzt schaute er aufs Display, da er aber schnell erkannte, dass es sich keineswegs um eine Whatsapp-Nachricht, sondern viel mehr um ein Update zu seinen Tinder-Matches handelte, entspannte er sich wieder.
„Sieben auf einen Streich!“, murmelte er machomäßig, obwohl die Frau seiner Träume neben ihm im Bett lag. Diese ignorierte er die folgenden Minuten, während er auf sämtlichen Social Media Kanälen überprüfte, dass keine Bilder seiner Nacht in der Öffentlichkeit gelandet waren.


Zuerst verspottete Elena Josef ledglich:
„ Iphone X Pro Ultra Max +, wieso hast du so ein gutes Mikrofon?
Damit ich die besser hören kann!

Aber Iphone X Pro Ultra Max +, wieso hast du so viele Kameras?
Damit ich dich besser sehen kann!

Aber Iphone X Pro Ultra Max +, wieso hast du so komplexe Algorithmen?
Damit ich dich besser packen kann!

Aber Iphone X Pro Ultra Max +, wieso hast du so toxische soziale Medien?
Damit ich dich besser fressen kann!“


Doch nach einiger Zeit fasste sie einen Entschluss und nahm im mit einer blitzartigen Bewegung sein Smartphone weg. Bevor er protestieren konnte, rief sie: „Vorher knutschen wir, dann schlafen wir, dann hol ich mir des verlorenen Mannes sein Handy!“[2]
Josef wäre gerne fürchterlich wütend geworden, doch an Wut war für ihn bei dem unvergleichbaren Anblick Elenas märchenhaft schönen Gesichts nicht zu denken. In einem Zustand von Fassungslosigkeit über die Ausstrahlung dieses auf ihn unendlich schlau und schön wirkenden Menschen schwebend, gab er sich mit der Situation zufrieden und kuschelte sich an Elena, die sein Iphone inzwischen auf dem Nachttisch abgelegt hatte.



Er wurde von einer Whatsapp-Nachricht auf seinem Handy geweckt. Während er versuchte, es sich wieder zu nehmen, ohne die in seinen Armen schlafende Elena aufzuwecken, wurde ihm klar, von wem die Nachricht stammen musste. „Es pingt, es pingt, das himmlische Kind!“, keuchte Josef voller Schuldgefühle.
In wenigen Sekunden hatte er seine sieben Sachen beisammen und auch nur ohne ein Wort der Erklärung zurückzulassen, verließ er die Wohnung. „Innenkamera, Innenkamera in meiner Hand, wer ist der schönste im ganzen Land?“, murmelte er noch, während er am Weg zum Krankenhaus den Schaden an seiner Frisur zu begrenzen versuchte.


Als er bei Maria ankam, traf er sowohl auf seinen Sohn, als auch auf drei Männer, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Diese stritten gerade darüber, wie das Kind heißen sollte. „Das entscheidet doch selbstverständlich der Vater!“, reklamierte Josef empört. Casper, Rin und Bacardy52, die drei Heiligen Könige[3], erwiderten mit überraschendem Selbstbewusstsein: „Eben!“
Langsam fügten sich in Josefs Kopf ein Puzzle zusammen. Er hatte sich schon darüber gewundert, dass Maria ohne ihn zu ficken schwanger geworden war, dass Gott ihr ein Kind implantiert haben sollte.[4]



Die ganze Welt bricht über Josefs Kopf zusammen. Das Einzige, das ihm jetzt noch bleibt, die einzige Frau, die ihm jetzt noch bleibt, hat er schlafend zurückgelassen. Wie er so vergessen, verwirrt, verloren durch Jerusalem streift, wirkt ihre Wohnung von den Bars und Häusern wie verschluckt. Wie er sich wünscht, er hätte seinen Weg mit Brotkrümeln ausgelegt, oder besser noch, ihre Wohnung auf Google Maps markiert. Doch verliert er sich nicht in ihren endlos schönen Augen, sondern in unendlicher Traurigkeit zwischen den Gebäuden und Gassen Jerusalems.


Und wenn er nicht in einem Funkloch ist, dann tindert er noch heute auf der vergeblichen Suche nach der Frau mit den weißen Asics.


[1] Schmutzige Details sind in der Bibel, der Heiligen Schrift, aus welcher hier zitiert wird, höchst selten zu finden
[2] Vielleicht grammatikalisch nicht perfekt, allerdings sollte der*die Lesende berücksichtigen, was ein Glück er*sie überhaupt hat, dass diese in Jerusalem studierende Russin überhaupt Deutsch spricht
[3] Die hier getätigten Aussagen geben nicht unbedingt die Meinung des Autors wieder, es handelt sich um ein direktes Zitat aus der Bibel
[4] Der Autor findet diese Wortwahl höchst unpassend, allerdings sind ihm bei einem direkten Zitat aus der Bibel, welches eindeutig notwendig ist um die Heilige Schrift nicht durch Interpretationen oder Parodien zu beschmutzen, leider die Hände gebunden.
 



 
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