Jung gereimt

Die meisten Deutschen sind gewiss,
Was ein Gedicht nun einmal is:
Als echtes ist es nur mit Reimen
Zeil für Zeile zu verleimen.
Somit stell ich Ihnen hier vor
Einen Senior, der als Tor
Übers Alter sich was dichtet.
Nach dem er sich im Leben richtet.

Mein Alter ist der Jugend gleicher
Nur bin ich halt erfahrungsreicher.
Wo liegt denn nun der Unterschied,
Der mich im Alter runterzieht?
Einst verhakten sich beim Kusse
Zahnspangen und zum Verdrusse
Gibt es, wie wir alle wissen
Heut Ärger mit den Kunstgebissen.

Auch Liebe kann noch zu uns finden
Für kleine und für große Sünden.
Doch klopft das Herz dann allzu sehr,
Kann es versagen und nicht mehr.
Vielfältig ist das Alter schon
Vor allem im Gesicht mein Sohn.
Und was Hormone dir noch geben,
Kann dein Rheuma nicht beheben.
Auch Anti-Aging-Crem macht kaum
Dich biegsam wie nen Gummibaum.
Was straff als Rundung einst begann,
Nimmt schlaff den Hängezustand an.
Das Hirn ist voll und doch vergesslich,
Die Folgen sind längst unermesslich.


Doch ungereimt klingt vieles schlimmer
Gereimt gehts dann grad noch immer.
Drum empfehle ich uns Alten,
Reimt! Es wird uns jünger halten.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
als junge jungs reimten wir selten, kaum, nie

Die meisten Deutschen sind gewiss,
Was ein Gedicht nun einmal is:
Als echtes ist es nur mit Reimen
Zeil für Zeile zu verleimen.
nein, glaub ich nicht. common sense bei den menschen meiner generation (die es übrigens peinlichst vermieden, sich "deutsche" zu nennen) ist, daß ein gedicht nicht gereimt sein darf, da es sonst als trivial oder gar als kitsch gilt.

vor fünf jahrzehnten, zu schülerzeiten, hab ichs genau so gelernt: der heilige celan, die heilige bachmann und der frische enzensberger kamen in die schulbuchausgaben des deutschunterrichts, unser lehrer war ein ehemaliger ruhrgebietskumpel, der hesse haßte und einen abgehangenen trockenen humor bot, unsentimental, cool.
deshalb schrieb ich in meinen jugendjahren reimlos, wie fast alle in den siebzigern, diese (sit venia verbo) betroffenheitsbesoffene flatterrandprosa...

jan wagner reimt - untrivial, mit feinen fehlfarben der fastreime. der beste, der meister.
und auch durs grünbein, der große.
and so do i, wenn auch lange nicht so gut wie diese beiden.
 
Hallo Mondnein,
bei vielen, die sich nicht mit moderner Lyrik auseinander setzten, sind Gedichte immer noch vorwiegend gereimte. Ich lese viel (eigene) Lyrik vor (und schreibe zumeist ungereimt). Manche glauben halt auch immer noch, dass ein richtiger Maler realistisch figürlich malen können müsse. Bei Dichtern gilt das fürs Reimen...
Ich bin übrigens selbstverständlich nicht der Meinung...
Zum Reim greife ich allenfalls, wenn ich eher humorvoll schreiben will. Im übrigen gibt es inzwischen auch schon wieder viele moderne Lyriker, die reimen...
Herzliche Grüße
Karl
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ja, d'accord.
das humoristische habe ich schon bei diesem lied hier gesehen, das war es ja, was mich "gestört" hat: die knittelei.
die analogie mit der gegenständlichen malerei ist zutreffend. die gleiche trivialität, oder die gefahr der trivialität, und andererseits: leipziger schule (neo rauch) und daniel richter;
die reimenden neuesten, die du mit "übrigens" angehängt hast, hatte ich ja schon mit namen genannt.

ja, alles klar.
 
Liebe Marie-Luise,
das ist mir auch klar.
Das Gedicht ist eines, das ich für eine Lesung mit älteren Zuhörern (zur Auflockerung) verwenden möchte. Somit kommt es auf die Metrik nur bedingt an...
Danke dennoch für Deinen Kommentar und herzlichen Gruß
Karl
 
Lieber Karl,
natürlich werden die alten Zuhörer nicht auf Metrik achten.
Es ist aber doch für einen selbst wichtig.

z. B. die letzte Strophe

Doch ungereimt klingt vieles schlimmer
Gereimt gehts dann g[blue]e[/blue]rad noch immer.
D[blue]a[/blue]rum empfehle ich uns Alten,
Reimt [blue]stets[/blue] ! Es wird uns jünger halten.


Nochmals Grüße von mir.
 
Die meisten Deutschen sind gewiss,
Was ein Gedicht nun einmal is:
Als echtes ist es nur mit Reimen
Zeil für Zeile zu verleimen.
Somit stell ich Ihnen hier vor
Einen Senior, der als Tor
Übers Alter sich was dichtet.
Nach dem er sich im Leben richtet.

Mein Alter ist der Jugend gleicher
Nur bin ich halt erfahrungsreicher.
Wo liegt denn nun der Unterschied,
Der mich im Alter runterzieht?
Einst verhakten sich beim Kusse
Zahnspangen und zum Verdrusse
Gibt es, wie wir alle wissen
Heut Ärger mit den Kunstgebissen.

Auch Liebe kann noch zu uns finden
Für kleine und für große Sünden.
Doch klopft das Herz dann allzu sehr,
Kann es versagen und nicht mehr.
Vielfältig ist das Alter schon
Vor allem im Gesicht mein Sohn.
Und was Hormone dir noch geben,
Kann dein Rheuma nicht beheben.
Auch Anti-Aging-Crem macht kaum
Dich biegsam wie nen Gummibaum.
Was straff als Rundung einst begann,
Nimmt schlaff den Hängezustand an.
Das Hirn ist voll und doch vergesslich,
Die Folgen sind längst unermesslich.


Doch ungereimt klingt vieles schlimmer
Gereimt gehts dann gerad noch immer.
Darum empfehle ich uns Alten,
Reimt stets! Es wird uns jünger halten.
 



 
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