Junicorn

Julia N.

Mitglied
Es war eine sternenklare Nacht. Der Mond strahlte. Kraxius bahnte sich seinen Weg durch das Dickicht. Die Last seines Jutebeutels, den er über der Schulter trug, spürte er bei jedem Schritt. Kühle Luft streifte seine Arme. Der harzige Duft von Tannennadeln stahl sich in seine Nase. Er kam an einer Lichtung vorbei. War hier der Treffpunkt? Mist, wie sollte er sich erinnern, wenn dieses Treffen nur einmal im Jahr stattfand? Immer am vierzehnten Februar. Heute. Hoffentlich hatte sie es nicht vergessen, dachte er.

Was raschelte da? Abrupt drehte er sich um. Seine rechte Hand schnellte an den Gürtelhalfter seines Schwertes, er ließ sie dort liegen und bewegte sich langsam auf das Geräusch zu. Unter seinen Schuhen knackte es. Er schreckte auf. Ein Ast. Noch ein Geräusch. Warme Luft streifte seinen Nacken. War das Atem? Die Haare auf seinen Armen richteten sich auf. Seine Kopfhaut prickelte.
„Wuuaaahh“, erklang eine helle Stimme nah an seinem Ohr.
Er zuckte zusammen, drehte sich um.

Dann erfassten seine Augen ein Einhorn.
„Scheiße, Junicorn!“, fluchte er lautstark und atmete geräuschvoll aus. Der Klang seiner Stimme hallte im Wald nach. Er ärgerte sich über sich selbst. Er war nicht irgendein Hexer, er war der Vorsteher seiner Gilde. Nun hatte er sich von einem Einhorn Angst einjagen lassen.
Einem Einhorn!
„Mach. Das. Nie. Wieder“, presste er hervor.
„Sonst muss ich dich verhexen. Wie siehst du überhaupt aus?“, fragte Kraxius.
Er kannte Junicorn schon lange und wusste, dass sie kein normales Einhorn, sondern ein Vampireinhorn war. Sie war das einzige Einhorn, das im Juni geboren wurde. Daher hatte sie sich unverzüglich nach ihrer Geburt in einen Vampir verwandelt, das hatte sie bei einem ihrer zahlreichen Treffen am Valentinstag erzählt.
Kraxius ließ seinen Blick über seine Freundin schweifen. Ihr sonst glänzendes, weißes Fell war heute matt und grau. In ihren Augen schimmerte ein Rotton, der ihn an Blut erinnerte. Das Horn, was sonst golden strahlte, leuchtete dunkelrot auf.
„Tut mir leid. Ich konnte nicht wiederstehen“, sagte Junicorn, hielt den Kopf gesenkt und blickte reumütig zu ihm hoch.



Kraxius erinnerte sich an den Valentinstag im letzten Jahr.
„Was belastet dich so?“, hatte er damals gefragt.
Ihr trauriger Blick nagte an ihm.
„Ich will kein Vampireinhorn mehr sein“, platzte es aus Junicorn heraus.
„Auf einmal? Was ist passiert?“, wollte Kraxius wissen
„Die letzten 117 Jahre habe ich vom Reh, Kaninchen und Wildschwein getrunken, weil ich sonst nicht überleben konnte. Es hat mir nichts ausgemacht. An meinem 118 Geburtstag, zu meiner Volljährigkeit änderte sich plötzlich etwas. Ich schlich mich leise an ein Reh, nahm die Witterung auf, wie immer. Dann wurde mein Verlangen unerträglich, das Wasser lief mir im Mund zusammen. Gierig rammte ich meine Hauer in seinen dünnen Hals. Endlich rann warmes Blut meine Kehle hinab. Ich trank wie im Rausch und hörte erst auf, als etwas Merkwürdiges passierte. Auf einmal kam mir der Geschmack von Blut ranzig vor. Irgendetwas war anders. Plötzlich war es mir zuwider, Blut zu trinken. Ich ekelte mich vor mir selbst. Das muss mit meiner Volljährigkeit zu tun haben“, erklärte Junicorn und bleckte die Zähne. Zum Vorschein kamen eine Reihe blutdurchtränkter, spitzer Hauer.
Kraxius zuckte bei diesem Anblick zusammen.
„Vielleicht bist du verflucht“, überlegte er.
Junicorns Augen weiteten sich. Was war das? Sie wirkten mit einem Mal bedrohlich.
„Erst in der nächsten magischen Valentinsnacht kann ich dir helfen, nur dann wirkt der Zauber“, erklärte Kraxius. Seine tiefe Stimme hallte durch den Wald.
„Dazu muss etwas im großen Buch der magischen Kräfte stehen“, überlegte er und kratzte sich am Kinn, das durch einen bauschigen, orangefarbenen Bart bedeckt war.
„Das ist noch ein verfluchtes, ganzes Jahr. Das schaffe ich nicht“, hatte Junicorn protestiert und einen heißen Luftschwall durch ihre Nüstern gestoßen.


Nun standen sie sich gegenüber. Der weiche Waldboden kitzelte unter Kraxius` nackten Füßen. Er hörte das Geräusch einer Eule von weitem, Nebelschwaden hingen in der Luft. Er holte seinen grauen Jutesack hervor. Junicorns Augen wurden bei dem Anblick größer, als sie ohnehin schon waren. Ihr Horn leuchtete immer noch rot.
„Hast du…alles bekommen?“, fragte sie zögerlich.
„Mal sehen.“ Er holte ein dickes, schwarzes Buch hervor.
„Hier steht ,des Opfers Körper mit dem Schwerte geteilt´“, erklärte er andächtig.
Er nahm den toten Körper eines Kaninchens aus dem Sack, zog sein Schwert aus dem Halfter und durchtrennte mit einem glatten Schnitt den Lauf des Kaninchens vom Rest des Kadavers, der mit einem lauten Knall zu Boden fiel. Stolz machte sich auf seinem Gesicht breit.
Junicorns Miene veränderte sich schlagartig.
„Warum quälst du mich so?“, fragte sie und wendete den Blick ab.
„Warte ab“, sagte er und zog die weiteren Requisiten hervor.
„,Thymian und Rosmarin darüber gestreut´“, las er laut vor, griff in den Sack und warf die Zutaten auf den Waldboden.
„,Knoblauch und das Öle der Oliven´.“ Auch das legte er auf den Stapel, der nun beachtlich anwuchs. „,Den Feuergott herbeigesehnt´“, rief er in die Stille und wartete andächtig.

Nichts passierte.

Nanu, was war daran falsch, überlegte er, holte das Buch hervor und las Wort für Wort ab.
„,Herbeigesehnt sei der Gott des Feuers´“, rief er aus und richtete seine Handflächen gen Boden.
Plötzlich flackerte ein kleines Licht auf.
„Du kannst das wirklich“, brachte Junicorn erstaunt hervor. Ehrfurcht klang in ihrer Stimme mit.
„Ich bin der Hexenmeister“, kam es Kraxius selbstbewusst über die Lippen.
Hitze stieg auf, er nahm den rußigen Geruch von Feuer war. Es knisterte, Flammen loderten auf.
Es hatte geklappt.
„Jetzt atme einmal tief ein und nimm den Geruch intensiv in dich auf“, bat Kraxius.
Junicorns Nüstern blähten sich auf, Kraxius murmelte:
„,Vom Fluche befreit sei das Fabelwesen, das nach Blut dürstete´.“
Auf einmal veränderte sich Junicorns Gesichtsausdruck. Das Rot wich aus ihrem Horn und machte Platz für ein strahlendes Gold.
Sie blickte ihn ungläubig an.
„Es ist weg“, wunderte sie sich und schüttelte sachte den Kopf.
„Das Verlangen ist weg. Du hast es geschafft“, rief sie erleichtert aus, beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf seine schrumpelige Wange.
„Jetzt kann ich endlich wieder frei leben“, flötete sie und bewegte sich im Kreis.
Kraxius lachte und freute sich mit seiner langjährigen Freundin.
„Nun, wo das erledigt ist, kommen wir zum angenehmen Teil“, sagte er und griff nach der Keule.
„Ich hab einen Bärenhunger. Heute gibt es Kaninchen mit Thymian und Rosmarin.“
 



 
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