Die Zwischenlandung in Istanbul habe ich verschlafen. Erst beim unruhigen Landeanflug auf Kabul bin ich wach geworden. Unter mir die Stadt im Talkessel. Es muss windig sein. Viel kann ich nicht sehen. Die Luft ist staubverhangen.
Eigentlich bin ich ganz dankbar für den kurzen Fußweg zum Terminal. Einen Augenblick lang habe ich mir doch im Flugzeug vorgestellt, wie Camil mich abholt. Draußen auf mich wartet, mich anlacht und schon aus weiter ferne winkt.
Mit beiden Armen, so als würde er das Flugzeug selbst dirigieren.
Ein kurzer Augenblick, bis mir wieder einfiel, dass er tot ist.
Danach habe ich an gar nichts mehr gedacht.
Es riecht nach Schweiß und einigen Gewürzen am Kofferband. Ich warte neben der afghanischen Familie aus Frankfurt, die zwei Reihen hinter mir gesessen hatte.
Die Frau lächelt mir zu und legt ihrem Mann die Hand auf den Arm. Er hebt mir meinen Koffer herunter. Ich bedanke mich auf Farsi und wir tauschen einige Höflichkeiten aus.
In der Schlange an der Passkontrolle bleibt mir noch etwas Zeit.
Um nachzudenken.
Sicher werde ich das Krankenhaus besuchen und meinen ehemaligen Teamleiter Dr. Rainier und all die vielen Freunde, die ich dort gewonnen habe und ich werde bei meiner Tante am Tisch sitzen. Teemilch löffeln und vielleicht werden wir ein wenig Schweigen und beide an Camil denken. Ich werde mir die Universität ansehen und mir mit Minou einige Stunden in Cafés vertreiben, mir ihre Geschichten anhören und sie wird lachen, wenn sie das Parfum auspackt, das ich ihr mitgebracht habe. Verstohlen wird sie sich einige Tropfen hinter die Ohren reiben, so als wäre es noch verboten, wie zu Zeiten der Taliban.
Und ich werde mit meinem Onkel im Garten sitzen unter dem knochigen Olivenbaum oder der alten Zeder, werde ihm von zu Hause erzählen, während er die Bücher überfliegt, die fast den halben Koffer eingenommen haben und ich werde in seinen Augen mich selbst sehen und auch Camil.
Sicher werde ich Talal treffen und seine Frau. Sie werden mich zu ihnen nach Hause einladen und ich werde schlecht ablehnen können, weil es unhöflich wäre.
Und ich werde während des Essens Talal ansehen und Konversation machen.
Weinen werde ich erst, wenn ich in dem kleinen Metallbett neben Minou liege und sie schläft und ich mir einen Zipfel der Bettdecke in den Mund stopfe. Vielleicht werde ich dann nicht schlafen können und morgens früh unten im Esszimmer stehen und mit meinem Onkel gemeinsam aus dem Fenster schauen in einen neuen Morgen in Kabul, wenn die Sonne hinter den Bergen aufgeht.
In der Eingangshalle warten nicht viele Menschen. Ich erkenne Talal in der kleinen Menge fast sofort. Er kommt auf mich zu mit hastigen Schritten, sieht mich kurz an und dann auf den Boden.
Er ist verlegen und tritt auf der Stelle.
Talal, sage ich nur. Als er mir wieder in die Augen sieht, weiß ich, dass er mich noch liebt.
Ich habe so viele Fragen, von denen es sich nicht lohnen würde, auch nur eine zu stellen.
Sag meinen Namen nicht so, bittet er mich.
Und ich weiß, was er meint. Es ist so, wie damals, als wir uns in seinem Zimmer am Krankenhaus geliebt haben.
Er nimmt mich in den Arm und hält dabei Abstand. Nur unsere Oberkörper berühren sich. Ich spüre seinen warmen Hals und eine seiner Hände auf meinem Rücken.
Ich lasse ihn zuerst los und trete einen Schritt zurück. So, wie man es im Film immer sieht. Mustere ihn. Talal ist schlanker geworden, seine Wangenknochen treten stärker hervor.
Er dreht sich um, winkt einer Frau, die weiter hinten neben einer Säule gewartet hat.
Das ist meine Frau. Homeira.
Homeira ist schön. Afghaninnen sind schön. Die meisten, die ich bisher jedenfalls gesehen habe, sind es. Ihre Haut ist dunkler, als Talals. Kluge, braune Augen dominieren ihr Gesicht.
Fast wäre sie mir sympathisch.
Homeira nimmt meine Hände. Ihr Griff ist fest und bestimmt. Sie lächelt, zieht mich zu sich heran und haucht mir zwei Küsse auf jede Wange.
Ich frage mich, was sie von mir weiß.
Vielleicht ist es weniger, was Talal ihr erzählt hat und mehr, was sie jetzt in mir sieht.
Sie küsst Talal ebenfalls und schaut auf die Uhr. Sie muss an ihren Arbeitsplatz bei der Telefongesellschaft von Kabul zurück.
Talals Blick streift ihren Rücken beinahe gleichgültig.
Soll ich dich zu deiner Tante und deinem Onkel bringen? fragt er.
Ich schüttele den Kopf. Nein, ich will zum Friedhof. Zu Camil.
Der Staub des Windes setzt sich in der Kleidung fest, treibt mir Tränen in die Augen.
Ich weiß nicht, wie lange ich so am Grab stehe und auf die knorrigen Äste des Baumes über mir starre, der keinen Schatten spenden will.
Talal greift schließlich meinen Arm. Komm, sagt er einfach.
Ich wende mich ab und sehe ihn an. Was immer ich gesucht habe, es ist nicht hier.
Talal beugt sich zu mir. Ich glaube, er möchte mich küssen, tatsächlich berühren sich nur unsere Lippen.
Aber es hätte sein können? frage ich Talal.
Sein Lächeln ist das alte, das ich so gut kenne.
Mit jeder Falte um den Mund und den langen Wimpern, die auf den Wangen ruhen.
Es hätte sein können, sagt er.
Ich richte mich auf, mache mich groß.
Und gehe vor. Zu all dem, was ich tun will in Kabul.
Um all das zu erleben, was mir bestimmt ist.
Eigentlich bin ich ganz dankbar für den kurzen Fußweg zum Terminal. Einen Augenblick lang habe ich mir doch im Flugzeug vorgestellt, wie Camil mich abholt. Draußen auf mich wartet, mich anlacht und schon aus weiter ferne winkt.
Mit beiden Armen, so als würde er das Flugzeug selbst dirigieren.
Ein kurzer Augenblick, bis mir wieder einfiel, dass er tot ist.
Danach habe ich an gar nichts mehr gedacht.
Es riecht nach Schweiß und einigen Gewürzen am Kofferband. Ich warte neben der afghanischen Familie aus Frankfurt, die zwei Reihen hinter mir gesessen hatte.
Die Frau lächelt mir zu und legt ihrem Mann die Hand auf den Arm. Er hebt mir meinen Koffer herunter. Ich bedanke mich auf Farsi und wir tauschen einige Höflichkeiten aus.
In der Schlange an der Passkontrolle bleibt mir noch etwas Zeit.
Um nachzudenken.
Sicher werde ich das Krankenhaus besuchen und meinen ehemaligen Teamleiter Dr. Rainier und all die vielen Freunde, die ich dort gewonnen habe und ich werde bei meiner Tante am Tisch sitzen. Teemilch löffeln und vielleicht werden wir ein wenig Schweigen und beide an Camil denken. Ich werde mir die Universität ansehen und mir mit Minou einige Stunden in Cafés vertreiben, mir ihre Geschichten anhören und sie wird lachen, wenn sie das Parfum auspackt, das ich ihr mitgebracht habe. Verstohlen wird sie sich einige Tropfen hinter die Ohren reiben, so als wäre es noch verboten, wie zu Zeiten der Taliban.
Und ich werde mit meinem Onkel im Garten sitzen unter dem knochigen Olivenbaum oder der alten Zeder, werde ihm von zu Hause erzählen, während er die Bücher überfliegt, die fast den halben Koffer eingenommen haben und ich werde in seinen Augen mich selbst sehen und auch Camil.
Sicher werde ich Talal treffen und seine Frau. Sie werden mich zu ihnen nach Hause einladen und ich werde schlecht ablehnen können, weil es unhöflich wäre.
Und ich werde während des Essens Talal ansehen und Konversation machen.
Weinen werde ich erst, wenn ich in dem kleinen Metallbett neben Minou liege und sie schläft und ich mir einen Zipfel der Bettdecke in den Mund stopfe. Vielleicht werde ich dann nicht schlafen können und morgens früh unten im Esszimmer stehen und mit meinem Onkel gemeinsam aus dem Fenster schauen in einen neuen Morgen in Kabul, wenn die Sonne hinter den Bergen aufgeht.
In der Eingangshalle warten nicht viele Menschen. Ich erkenne Talal in der kleinen Menge fast sofort. Er kommt auf mich zu mit hastigen Schritten, sieht mich kurz an und dann auf den Boden.
Er ist verlegen und tritt auf der Stelle.
Talal, sage ich nur. Als er mir wieder in die Augen sieht, weiß ich, dass er mich noch liebt.
Ich habe so viele Fragen, von denen es sich nicht lohnen würde, auch nur eine zu stellen.
Sag meinen Namen nicht so, bittet er mich.
Und ich weiß, was er meint. Es ist so, wie damals, als wir uns in seinem Zimmer am Krankenhaus geliebt haben.
Er nimmt mich in den Arm und hält dabei Abstand. Nur unsere Oberkörper berühren sich. Ich spüre seinen warmen Hals und eine seiner Hände auf meinem Rücken.
Ich lasse ihn zuerst los und trete einen Schritt zurück. So, wie man es im Film immer sieht. Mustere ihn. Talal ist schlanker geworden, seine Wangenknochen treten stärker hervor.
Er dreht sich um, winkt einer Frau, die weiter hinten neben einer Säule gewartet hat.
Das ist meine Frau. Homeira.
Homeira ist schön. Afghaninnen sind schön. Die meisten, die ich bisher jedenfalls gesehen habe, sind es. Ihre Haut ist dunkler, als Talals. Kluge, braune Augen dominieren ihr Gesicht.
Fast wäre sie mir sympathisch.
Homeira nimmt meine Hände. Ihr Griff ist fest und bestimmt. Sie lächelt, zieht mich zu sich heran und haucht mir zwei Küsse auf jede Wange.
Ich frage mich, was sie von mir weiß.
Vielleicht ist es weniger, was Talal ihr erzählt hat und mehr, was sie jetzt in mir sieht.
Sie küsst Talal ebenfalls und schaut auf die Uhr. Sie muss an ihren Arbeitsplatz bei der Telefongesellschaft von Kabul zurück.
Talals Blick streift ihren Rücken beinahe gleichgültig.
Soll ich dich zu deiner Tante und deinem Onkel bringen? fragt er.
Ich schüttele den Kopf. Nein, ich will zum Friedhof. Zu Camil.
Der Staub des Windes setzt sich in der Kleidung fest, treibt mir Tränen in die Augen.
Ich weiß nicht, wie lange ich so am Grab stehe und auf die knorrigen Äste des Baumes über mir starre, der keinen Schatten spenden will.
Talal greift schließlich meinen Arm. Komm, sagt er einfach.
Ich wende mich ab und sehe ihn an. Was immer ich gesucht habe, es ist nicht hier.
Talal beugt sich zu mir. Ich glaube, er möchte mich küssen, tatsächlich berühren sich nur unsere Lippen.
Aber es hätte sein können? frage ich Talal.
Sein Lächeln ist das alte, das ich so gut kenne.
Mit jeder Falte um den Mund und den langen Wimpern, die auf den Wangen ruhen.
Es hätte sein können, sagt er.
Ich richte mich auf, mache mich groß.
Und gehe vor. Zu all dem, was ich tun will in Kabul.
Um all das zu erleben, was mir bestimmt ist.