Kämmen hatte sie sich aber heute doch schon können

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N. Valen

Mitglied
Sie trat in den Tag
mit halb sortierten Gedanken,
ein bisschen Licht im Ärmel,
und einer Stirn,
die nicht wusste,
ob sie runzeln oder lachen will.

Die Sätze klebten noch schräg
in den Wimpern,
und das Morgenprogramm
war ein loses Bündel
aus fast-vollendeten Plänen
und einem Kaffee
ohne Ziel.

Er sah sie,
lächelte schief
und sagte es so,
als wär das ein Kompliment,
eine Feststellung,
und ein halbes Liebeslied:

„Kämmen hatte sie sich aber heute doch schon können.“

Und sie?
Zog eine Strähne Ironie
hinter das Ohr
und ließ es dabei bewenden.

Denn Ordnung war nie ihr Ziel.
Nur:
Dass jemand guckt.
Und lächelt.
Trotz allem
 

Aniella

Mitglied
Hallo @N. Valen,

ich weiß nicht, ob ich es mit meiner marginalen Kenntnis in Sachen Lyrik wagen soll, aber ich trau mich trotzdem mal:
Diese kleine Szene ist perfekt beschrieben, ich hatte sie förmlich vor Augen und war mittendrin. Das Gedicht gefällt mir rundherum!

Worüber ich gefallen bin ist der Titel, der ja später im Text auch vorkommt.
„Kämmen hatte sie sich aber heute doch schon können.“
Warum steht da "hatte ... können"? Hat das einen tieferen Sinn, den ich nicht verstehe?
Ansonsten will ich nämlich immer "hätte" lesen und hänge dann an dem Satz fest.
Vielleicht kannst du mir da weiterhefen?

LG Aniella
 

N. Valen

Mitglied
Hallo Aniella,

danke dir für dein genaues Lesen und den schönen Kommentar!
Die Formulierung „hatte … können“ ist tatsächlich bewusst so gewählt – eben weil sie etwas stolpert.
Genau dieses kleine Hängenbleiben spiegelt den Ton der Szene: nicht alles sitzt gerade, manches ist verschoben, halb sortiert.
Ein glattes „hätte“ wäre sauberer, aber mir fehlte dann das Schiefe, das zum Gedicht gehört.

Dass du drüber gestolpert bist, zeigt mir: die Stelle macht, was sie soll.

Liebe Grüße
N. Valen
 

Ubertas

Mitglied
Liebe Nova,
Er sah sie,
lächelte schief
und sagte es so,
als wär das ein Kompliment,
eine Feststellung,
und ein halbes Liebeslied:

„Kämmen hatte sie sich aber heute doch schon können.“
Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen außer mindestens, mindestens fünf fünf Sterne.
Liebe Grüße ubertas
 

N. Valen

Mitglied
„Danke, Ubertas – deine Worte sind selbst ein kleines halbes Liebeslied. Mehr kann man sich für ein Gedicht gar nicht wünschen. Ich freu mich sehr über deine Sterne.“

Liebe Grüße
N. Valen
 

mondnein

Mitglied
„Kämmen hatte sie sich aber heute doch schon können.“
was mich ein wenig wundert, ist die dritte Person Singular des Satzes, als spräche ein Adliger des 18. Jahrhunderts mit einem Bauern.
oder es hat eine unhöfliche Distanz, grußlos jemanden anzukucken und dann eine Bemerkung über ihn zu machen, und wäre vor einigen Generationen geradezu unverschämt gewesen, wenn ein Mann sich gegenüber einer Frau so geäußert hätte.
aber jetztzeitlich-modern kann es kaum sein, da die freche Kürze fehlt, die hingeworfene Abschätzigkeiten aber heute doch schon ohne den Satz abundant verzögernde Adverbien haben können würden.

grusz, hansz
 

N. Valen

Mitglied
„Danke dir, Hansz, für deinen genauen Blick auf die Formulierung. Genau dieses leicht ‚schiefe‘ und altmodische Moment hat mich gereizt – es soll klingen, als käme es halb aus einer anderen Zeit, halb aus einer verschmitzten Bemerkung heraus. Das Distanziert-Fremde macht für mich den Ton aus. Dass du es so stark wahrgenommen hast, zeigt mir, dass der Effekt tatsächlich wirkt.“
 



 
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