(Oktober 2027)
Im Café "Griensteidl" sitzen der Florian und die Amanda (sprich: Ämända). Sie haben am Ende des letzten Sommersemesters für die Abschlussprüfung eines Kolloquiums gelernt. Florian hat bestanden, Amanda leider nicht. Den Sommer hat sie hauptsächlich bei den Eltern in Rochester, Minnesota, verbracht, während sich Florian mit einer gewissen Chantal auf Sardinien vergnügte. Vor zwei Wochen gab es ein Wiedersehen in einer Semestervorlesung. Amanda hatte sich auf ihn gestürzt wie eine Ertrinkende auf die Boje. Florian wusste noch nicht, was er mit dieser Anhänglichkeit anfangen sollte. Um Zeit zu gewinnen, lud er sie zu einer Sightseeing Tour durch die Innenstadt ein. Er selbst war ihr "Guide". Am Ende saßen sie erschöpft vor einem Salatteller (Amanda) und einem Schinken-Käse-Toast (Florian). Dazu gab es Mineralwasser und eine Melange (Amanda) und einen Großen Braunen (Florian).
"Puh!" macht Amanda und errötet vom Hals bis zu den Haarwurzeln. "Der Kaffee ist vielleicht stark!"
"Ja, wir lieben die Gifte pur," antwortet Florian großspurig. "Willst du von meinem kosten?"
"Jesus no! Der schaut schon so dick aus." Sie beugt die Nase über seine Tasse, um den Koffeingehalt zu erschnüffeln. "So ein Kaffee ist ganz ungesund. Trinkst du oft Kaffee?"
"Nur am Morgen und manchmal am Nachmittag. Früher hat man in Wien mehr Kaffee getrunken, viele verschiedene Sorten. Da gab's zum Beispiel den 'Kapuziner'. Das war ein Mocca, also ein ganz starker Kaffee, mit Schlagobers."
Amandas Augen weiten sich ungläubig: "Ist das whipped cream?"
"Ja, man gibt es auch auf Torten oder auf Kompott, aber nicht mehr so oft wie früher. Wie ist denn dein Salat?"
Sie betrachtet den bunten Haufen auf ihrem Teller und überlegt. "Ein bisschen viel, aber es schaut alles ganz frisch aus ... Salat muss frisch sein, findest du nicht?"
"Ja, sicher, am besten direkt vom Feld."
"Aber waschen muss man ihn vorher schon. Es ist wichtig, dass der Salat gründlich gewaschen ist. You never know ...".
"Ich glaube, da kannst du ganz beruhigt sein. Im neuen 'Griensteidl' gibt es sicher keine Nachlässigkeiten. Die haben erst vor kurzem aufgesperrt. Davor war hier die Filiale einer Lebensmittelhandelskette."
"Verstehe ... und was ist das für ein dunkles Öl? Soll man das über den Salat gießen? Das schaut gar nicht appetitlich aus."
Florian seufzt: "Das ist Kürbiskernöl, pumpkin seed oil, wahrscheinlich aus der Steiermark."
Amanda betrachtet die Flasche mit Abscheu. "Also ich glaube nicht, dass das gut ist. Hast du es schon einmal probiert?"
"Ja, es besteht aus gerösteten Kürbiskernen und hilft bei Prostatabeschwerden. Du kannst es ruhig kosten."
Sie lacht: "Lieber nicht! Ein bisschen Balsamico wird genügen. Ich bin sehr vorsichtig mit Fett. Man nimmt damit oft mehr zu sich als man braucht. Dein Toast zum Beispiel schaut sehr fett aus, wegen der Käsescheiben. Isst du gern Käse?"
Florian tut als hätte er die Frage nicht gehört und lässt den Blick schweifen. "Schönes Ambiente, findest du nicht?"
Sie folgt seinem Blick und nickt. "Ja, schöner als bei 'Starbucks' ... obwohl ich sagen muss, dass die Burritos dort recht lecker sind. Hast du sie schon probiert?
Florian nimmt den letzten Bissen Toast und trinkt seinen Kaffee aus. "Herr Ober! Zahlen bitte!"
Am Katzentisch beim Eingang zur Küche, dort, wo schon seit Tagen eine Glühbirne fehlt, sitzen Alfred Polar und Friedrich Torberg vor ihren 'Einspännern', die seit Jahrzehnten ausgetrunken sind.
"Also das wird nichts ...", meint Polgar und blickt dem Pärchen nach, das sich zum Ausgang bewegt.
"Was wundert's dich, wenn er nur zum Essen den Mund aufmacht? Eine Frau will unterhalten werden."
"Er hat sich eh bemüht, aber ich glaub, sie ist eine Ausländerin. Vom Akzent her hätte ich auf eine Amerikanerin getippt."
"Auch Amerikanerinnen muss man unterhalten," erwidert Torberg - und mit Nachdruck: "Gerade Amerikanerinnen!"
"Ist aber nicht so leicht, wenn man nicht verliebt ist," gibt Polgar zu bedenken. "Wenn man sehr verliebt ist, ist es schwer, aber genauso, wenn man nicht verliebt ist. Die schönsten Gespräche gibt es zwischen Halbverliebten."
"Und was verstehst du unter einem schönen Gespräch?" will Torberg wissen.
Polgar zündet sich eine Zigarette an und überlegt. Nach mehreren Anläufen resigniert er. "Ich probier's mit einer Definition ex negativo. Ein schönes Gespräch ist nicht mit einem guten Gespräch gleichzusetzen, weil es keinen unmittelbaren Nutzen abwirft. Belehrung, Einsicht und Erkenntnis spielen eine nachgeordnete Rolle."
"Ein sokratischer Dialog wäre aus deiner Sicht also kein schönes Gespräch?"
"Richtig! Die Mäeutik mag ja eine Kunst sein, aber das schöne Gespräch setzt eine Kongenialität der Geister voraus."
"So wären also die Gespräche zwischen Settembrini und Naphta schöne Gespräche?" Torberg grinst ein bisschen boshaft und zieht an seiner
Zigarette.
"Nein, nein, nein, selbst wenn wir hier eine Gleichrangigkeit der Geister annähmen, was ich nicht tue, liegt hier doch typischerweise ein Streitgespräch vor. Auch Gespräche, in denen Fallen und Schlingen ausgelegt werden - ich denke jetzt an Raskolnikov und Porfiri Petrowitsch - sind keine schönen Gespräche, auch wenn man sie gern liest. Es geht um mehr. Die Gesprächspartner müssen sich auch für den selben Gegenstand begeistern können, hier und jetzt."
"Und dürfen einander nicht übelnehmen, dass der eine soviel darüber weiß wie der andere," ergänzt Torberg.
"Illud dixisti! Kleine Hinweise und Ergänzungen sind natürlich erlaubt, aber nur, um das Feuer weiter anzufachen."
"Und am Ende hört sich das an, wie der 'Bolero' von Ravel!"
"Nicht übertreiben, Torberg. In Wien heißt das 'Zwei Herzen im Dreivierteltakt'. Aber es können natürlich auch drei oder vier oder eine ganze Tischrunde sein."
"Manchmal haben wir das erlebt ... früher ...", seufzt Torberg.
"Ja, aber nicht hier, sondern im 'Herrenhof' ... waren viele schöne Gespräche darunter," antwortet Polgar und schaut dem Ober zu, wie er Tisch für Tisch die Lichter löscht.
Im Café "Griensteidl" sitzen der Florian und die Amanda (sprich: Ämända). Sie haben am Ende des letzten Sommersemesters für die Abschlussprüfung eines Kolloquiums gelernt. Florian hat bestanden, Amanda leider nicht. Den Sommer hat sie hauptsächlich bei den Eltern in Rochester, Minnesota, verbracht, während sich Florian mit einer gewissen Chantal auf Sardinien vergnügte. Vor zwei Wochen gab es ein Wiedersehen in einer Semestervorlesung. Amanda hatte sich auf ihn gestürzt wie eine Ertrinkende auf die Boje. Florian wusste noch nicht, was er mit dieser Anhänglichkeit anfangen sollte. Um Zeit zu gewinnen, lud er sie zu einer Sightseeing Tour durch die Innenstadt ein. Er selbst war ihr "Guide". Am Ende saßen sie erschöpft vor einem Salatteller (Amanda) und einem Schinken-Käse-Toast (Florian). Dazu gab es Mineralwasser und eine Melange (Amanda) und einen Großen Braunen (Florian).
"Puh!" macht Amanda und errötet vom Hals bis zu den Haarwurzeln. "Der Kaffee ist vielleicht stark!"
"Ja, wir lieben die Gifte pur," antwortet Florian großspurig. "Willst du von meinem kosten?"
"Jesus no! Der schaut schon so dick aus." Sie beugt die Nase über seine Tasse, um den Koffeingehalt zu erschnüffeln. "So ein Kaffee ist ganz ungesund. Trinkst du oft Kaffee?"
"Nur am Morgen und manchmal am Nachmittag. Früher hat man in Wien mehr Kaffee getrunken, viele verschiedene Sorten. Da gab's zum Beispiel den 'Kapuziner'. Das war ein Mocca, also ein ganz starker Kaffee, mit Schlagobers."
Amandas Augen weiten sich ungläubig: "Ist das whipped cream?"
"Ja, man gibt es auch auf Torten oder auf Kompott, aber nicht mehr so oft wie früher. Wie ist denn dein Salat?"
Sie betrachtet den bunten Haufen auf ihrem Teller und überlegt. "Ein bisschen viel, aber es schaut alles ganz frisch aus ... Salat muss frisch sein, findest du nicht?"
"Ja, sicher, am besten direkt vom Feld."
"Aber waschen muss man ihn vorher schon. Es ist wichtig, dass der Salat gründlich gewaschen ist. You never know ...".
"Ich glaube, da kannst du ganz beruhigt sein. Im neuen 'Griensteidl' gibt es sicher keine Nachlässigkeiten. Die haben erst vor kurzem aufgesperrt. Davor war hier die Filiale einer Lebensmittelhandelskette."
"Verstehe ... und was ist das für ein dunkles Öl? Soll man das über den Salat gießen? Das schaut gar nicht appetitlich aus."
Florian seufzt: "Das ist Kürbiskernöl, pumpkin seed oil, wahrscheinlich aus der Steiermark."
Amanda betrachtet die Flasche mit Abscheu. "Also ich glaube nicht, dass das gut ist. Hast du es schon einmal probiert?"
"Ja, es besteht aus gerösteten Kürbiskernen und hilft bei Prostatabeschwerden. Du kannst es ruhig kosten."
Sie lacht: "Lieber nicht! Ein bisschen Balsamico wird genügen. Ich bin sehr vorsichtig mit Fett. Man nimmt damit oft mehr zu sich als man braucht. Dein Toast zum Beispiel schaut sehr fett aus, wegen der Käsescheiben. Isst du gern Käse?"
Florian tut als hätte er die Frage nicht gehört und lässt den Blick schweifen. "Schönes Ambiente, findest du nicht?"
Sie folgt seinem Blick und nickt. "Ja, schöner als bei 'Starbucks' ... obwohl ich sagen muss, dass die Burritos dort recht lecker sind. Hast du sie schon probiert?
Florian nimmt den letzten Bissen Toast und trinkt seinen Kaffee aus. "Herr Ober! Zahlen bitte!"
Am Katzentisch beim Eingang zur Küche, dort, wo schon seit Tagen eine Glühbirne fehlt, sitzen Alfred Polar und Friedrich Torberg vor ihren 'Einspännern', die seit Jahrzehnten ausgetrunken sind.
"Also das wird nichts ...", meint Polgar und blickt dem Pärchen nach, das sich zum Ausgang bewegt.
"Was wundert's dich, wenn er nur zum Essen den Mund aufmacht? Eine Frau will unterhalten werden."
"Er hat sich eh bemüht, aber ich glaub, sie ist eine Ausländerin. Vom Akzent her hätte ich auf eine Amerikanerin getippt."
"Auch Amerikanerinnen muss man unterhalten," erwidert Torberg - und mit Nachdruck: "Gerade Amerikanerinnen!"
"Ist aber nicht so leicht, wenn man nicht verliebt ist," gibt Polgar zu bedenken. "Wenn man sehr verliebt ist, ist es schwer, aber genauso, wenn man nicht verliebt ist. Die schönsten Gespräche gibt es zwischen Halbverliebten."
"Und was verstehst du unter einem schönen Gespräch?" will Torberg wissen.
Polgar zündet sich eine Zigarette an und überlegt. Nach mehreren Anläufen resigniert er. "Ich probier's mit einer Definition ex negativo. Ein schönes Gespräch ist nicht mit einem guten Gespräch gleichzusetzen, weil es keinen unmittelbaren Nutzen abwirft. Belehrung, Einsicht und Erkenntnis spielen eine nachgeordnete Rolle."
"Ein sokratischer Dialog wäre aus deiner Sicht also kein schönes Gespräch?"
"Richtig! Die Mäeutik mag ja eine Kunst sein, aber das schöne Gespräch setzt eine Kongenialität der Geister voraus."
"So wären also die Gespräche zwischen Settembrini und Naphta schöne Gespräche?" Torberg grinst ein bisschen boshaft und zieht an seiner
Zigarette.
"Nein, nein, nein, selbst wenn wir hier eine Gleichrangigkeit der Geister annähmen, was ich nicht tue, liegt hier doch typischerweise ein Streitgespräch vor. Auch Gespräche, in denen Fallen und Schlingen ausgelegt werden - ich denke jetzt an Raskolnikov und Porfiri Petrowitsch - sind keine schönen Gespräche, auch wenn man sie gern liest. Es geht um mehr. Die Gesprächspartner müssen sich auch für den selben Gegenstand begeistern können, hier und jetzt."
"Und dürfen einander nicht übelnehmen, dass der eine soviel darüber weiß wie der andere," ergänzt Torberg.
"Illud dixisti! Kleine Hinweise und Ergänzungen sind natürlich erlaubt, aber nur, um das Feuer weiter anzufachen."
"Und am Ende hört sich das an, wie der 'Bolero' von Ravel!"
"Nicht übertreiben, Torberg. In Wien heißt das 'Zwei Herzen im Dreivierteltakt'. Aber es können natürlich auch drei oder vier oder eine ganze Tischrunde sein."
"Manchmal haben wir das erlebt ... früher ...", seufzt Torberg.
"Ja, aber nicht hier, sondern im 'Herrenhof' ... waren viele schöne Gespräche darunter," antwortet Polgar und schaut dem Ober zu, wie er Tisch für Tisch die Lichter löscht.
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