Hallo Willibald
Vielen Dank für deinen zweiten Kommentar. Du hast wohl recht, dass der “mythosferne” Leser mit dem Gedicht unter Umständen wenig anfangen kann. Das sehe ich allerdings nicht als Manko, die Idee des Gedichts beruht nun mal auf der 'Ummontage' wie du es nennst.
Ich sehe jetzt aber ein, dass die erste Strophe in der Tat den Einstieg erschwert. Der Hintergrund 'moderne Arbeitswelt' ist mir wichtig für das Verständnis des Textes und diesen klarer zu benennen, bringt den Leser vielleicht schneller und besser zur gedanklichen Auseinandersetzung mit dem “Wesentlichen”, der Grundidee.
Was diese betrifft, geht es im Gedicht nicht zuletzt um 'echte Liebe', oder besser: um das sich zu einem anderen Menschen “unwiderstehlich hingezogen fühlen”. Die Arbeitswelt ist reich an solchen Szenen und führt zum schicksalhaften Zusammentreffen der Menschen ohne sich zu suchen, ohne absichtliches Planen von Seitensprüngen, hier wirkt der Zufallsgenerator (siehe Götter). Für mich der ideale Hintergrund für das Thema.
In der beschriebenen Situation ist der Mensch seinen Gefühlen mehr oder weniger ausgesetzt, man sieht den anderen halt tagtäglich, was wiederum nicht bedeutet, dass diese vom anderen auch erwidert werden. Daraus erklärt sich der ständige Kampf mit sich selbst; schließlich kann man sein Handeln zwar bewusst steuern, aber die Gefühle nun mal nicht ohne weiteres abstellen. Lyri 'kann nicht anders', muss sich dem Objekt seiner Anbetung immer wieder annähern (harmlose Plauderei ist ja zunächst keine Form ehelicher Untreue), auch wenn er merkt, dass er nicht 'landet'. Opfer seiner selbst, versucht er es dennoch immer wieder, kämpft mit Anfällen von Reue, um schon am nächsten Tag alle guten Vorsätze über Bord zu werfen.
Diesen emotionalen Konflikt wollte ich hier erarbeiten, nicht ohne auf Ironie und tragikomische Elemente zu verzichten.
Das trifft einen weiteren Punkt: In 'meiner Version' soll Odysseus in Form des Lyri's etwas realistischer in seiner menschlichen Fehlbarkeit dargestellt werden. Wie in vielen anderen meiner Gedichte, erscheint der Mann stets als das emotional schwächere Element: er singt, fleht, weint, träumt usw. in der Hoffnung von der Gnädigsten erhört zu werden. Auch deshalb muss es für mich bei der Verdrehung der homerischen Fassung bleiben: dort wird Odysseus umworben, bleibt als 'der Gute' aber erfolgreich standhaft (gleich sieben Jahre bei Kalypso, was natürlich glaubwürdig ist
). Es sei nebenbei vermerkt, dass bei Odysseus die Frau das 'böse' Element ist, nicht grundsätzlich böse, aber eben als Verführerin, wie das schwarze Yin (weich, aber auch dunkel). In moderner Hinsicht eher eine sexisitische Sichtweise.
Nichtsdestotrotz denke ich, kommt der 'mythografisch interessierte' Leser auf seine Kosten, gerade weil das antike Werk kennt, sollte ihm der dargestellte Vergleich durchaus Freude bereiten. Genau so wie du es herausgearbeitest hast
In diesem Sinne,
LG
Tula