Kameraden, wir haben..., Alicante - auf Reede Chapter 18

Jims Gedanken und auch die der gesamten Seelords fokussieren sich bereits auf Alicante. Neue Stadt, neue Abenteuer, ist doch klar. Jetzt will man es den Amerikanern zeigen. „Jetzt sind wir mal dran“, sagt der Smutje und wischt sich dabei über seinen Bart: „Sollen hier ja verdammt heiße Weiber haben, habe ich gehört“, weiß er zu berichten.

Als wir am nächsten Tag Alicante erreichen, müssen wir auf Reede festmachen. Bei den Seelords schürt das den Unmut, was dem Schmadding nicht verborgen bleibt. „Sind doch kein Vergnügungsdampfer, meine Herren“, meint er, ohne wirklich sauer zu sein. „Der Kahn wird erst einmal auf Vordermann gebracht, dann können wir weitersehen.“

In den nachfolgenden drei Tagen rennen die einen, bewaffnet mit Putzfeudel, Eimer, Schrubber und die anderen, wie man schon ahnen kann, mit Pinsel, Quast und jeder Menge Nato-Weiß über das Oberdeck und bringen das Schiff auf Hochglanz.

Ausgerechnet ich musste die Farbe aus der Farbenlast, tief unten im Vorschiff nach oben holen. An einem Tampen befestigt, steige ich die Leiter hinunter. Ich komme mir vor, als wäre ich Untertage. Weit über mir sehe ich die winzige Öffnung der Luke. Hier unten ist es stickig und heiß.
Zum ersten Mal begreife ich, was das Schiff tief unten in seinem Leib an Materiallasten mit sich führt. Konservendosen ohne Ende, Säcke mit Reis, Mehl und jede Menge Kartoffelsäcke, aber natürlich, ganz unten die Farbe. „He! Wirst du da unten noch mal fertig?“ Ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Die Jungs ziehen die Farbeimer an einem Seil mit Haken nach oben. Ich bin froh, als mir der warme Wind endlich wieder um die Nase weht

*

Die Sonne brennt, es ist sehr heiß geworden und damit ist die Aufgabe der dritten Gruppe auch schon fixiert und ich gehöre auch wieder dazu. Wir haben den Auftrag, die Sonnenpersenninge an Stangen zu befestigen und das Oberdeck in schattige Laubengänge zu verwandeln. Wir tragen dazu breite Sicherheitsgurte, die mit Karabinerhaken versehen sind.

Wer nach oben steigt, der muss sich einhaken, das ist Gesetz. Umso mehr erstaunt es mich, dass unser Freund aus Bayern sich über alles hinwegsetzt und wie ein Affe, mit Inbrunst der Überzeugung, er würde damit allen zeigen, was er für ein großartiger Kletterer sei, bis in die obersten Spitzen steigt, ohne sich abzusichern.

Wenn der hier abstürzt, dann gibt es hier Druck ohne Ende, geht es mir durch den Kopf und der Schmadding steht dabei und sagt nichts. Endlich ist es so weit, die Unruhe ist unter der Besatzung nicht geringer geworden. Es ist so, als würde man einem Löwen im Käfig die Beute vor seinen Augen, für ihn aber unerreichbar, vor das Gitter legen.

Da liegt seit drei Tagen Alicante in greifbarer Nähe vor uns und doch scheint die Stadt weiter entfernt als Madagaskar.

Doch am frühen Morgen verlegen wir das Schiff in den Hafen, ich bin nicht dabei und renne wieder mit meinem Kopfhörer in der Gegend rum. In der Kombüse herrscht Hochbetrieb, der Smutje, mit seiner Crew und mit Unterstützung von Willi, dem Metzger, haben sich mächtig ins Zeug gelegt. Die Honoratioren der Stadt sind vom Kapitän eingeladen worden. „Du solltest mal sehen, was die aufgetischt bekommen“, meint Willi. „Alles nur vom Edelsten.“

Die Wachmannschaft ist auf „fein“ getrimmt. Das Musikkorps steht bereit, mit Trommeln, Pfeifen und Fanfaren. Auf der Schanz steht die ganze Mannschaft, bis auf die Wachgänger, zu denen ich gehöre, geschniegelt und geschnürt, und dann tauchen sie auf. Die Wagen fahren vor und zu meiner Überraschung steigen die Damen aus, in langen Kleidern und Hüten, als ging es auf einen Ball. Die Herren in stilvollem Schwarz, mit eigentümlichen, roten Schärpen behangen.

Der Kapitän geht ihnen entgegen und gemeinsam, nach reichlichem Begrüßungszeremoniell, betreten sie über die Gangway das Schiff. Seite wird gepfiffen, die Mannschaft präsentiert sich und dann beginnt das Musikkorps mit einem Marsch, alles ist perfekt einstudiert.

Ich bin vielleicht am meisten verwundert, war das die gleiche Truppe, die vor gut einer Woche mit Durchfall kämpften und sich die Seele aus dem Leib gekotzt hatten?
War das die gleiche Mannschaft, die unter schwierigsten Bedingungen wochenlang im Manöver Dienst getan hatte und die, bei stärkstem Orkan, unter Deck im Gestank eingepfercht wurde wie Vieh? Jetzt jedenfalls war davon nichts mehr zu spüren, da stand eine Mannschaft an Deck, gekleidet in vorzeigbarem Weiß, unter einem blauen, makellosen Himmel, sauber und penibel, bereit sich den Exerzitien zu unterwerfen, wie es das Zeremoniell verlangte.

Vielleicht, so ging es mir durch den Kopf, konnte man von den Jungs alles verlangen, wenn sie nur von Zeit zu Zeit an Land konnten, um die „Sau raus zu lassen“, möglich wäre es ja. Ein wenig lief das doch auf die Sage vom „Fliegenden Holländer“ hinaus, denke ich mir.

Die Gäste an Bord halten es an diesem Abend lange aus. Es ist eine perfekte Sommernacht. Immer wieder flitzen die Bedienungen mit Speisen und später mit Flaschen voller Champagner hin und her. Die Stimmung ist ausgelassen. Über das ganze Schiff hat sich ein leichter Schleier spanischer Sommernachtromantik gelegt. Alles wird getragen durch die spanische Folklore und Flamencomusik, die aus den Lautsprechern zu hören ist, dazu die bunten Lampions, die das ganze Schiff wie einen Ausflugsdampfer aussehen lassen.

In den Pausen folgen Ansprachen der Stadträte und Bürgermeister. Mindestens die Hälfte der Mannschaft ist mittlerweile von Bord. Ich sehe tanzende Paare, höre lautes Lachen und manch einer, der den Kai entlang wandert, kann sich der Stimmung auf unserem Schiff nicht entziehen und sitzt noch bis weit nach Mitternacht auf den Pollern oder den blanken Steinen, um sich das Treiben anzusehen und sich von der Musik verzaubern zu lassen, darunter viele Kinder.
 



 
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