Kameraden, wir haben die ... Alicante - Sonnenblumenkerne Chapter 19

Der nächste Tag erstrahlt wieder im vollen Sonnenglanz. Nach dem üblichen Morgenappell und der Verteilung der Aufgaben, beginnt ab Mittag wieder diese Unruhe, die mir schon in Lissabon aufgefallen war. Dieses Mal ist Alicante die erotischste Stadt der Welt, in der Altstadt soll es von bereitwilligen jungen Frauen nur so wimmeln, die Spannung steigt und am Nachmittag sind auch unsere Jungs und ich auf dem Weg in die Stadt.
Wir durchstreifen in Touristenmanier zuerst die Hafenanlagen mit ihren Lagerhallen und Kränen. Am Übergang zu den breiten Einkaufstraßen erkennen wir an den Häuserwänden, das eine oder andere Mal, Hakenkreuzsymbole mit spanischen Parolen versehen. „Die sind eindeutig uns gewidmet“, sage ich zu Jim. „Das sollten wir nicht ernst nehmen, was haben wir schon damit zu tun?“, meint Jörg. „Hätte ich, nach dem Fest von gestern, nicht gedacht“, entgegnet Willi.

Je länger die Schatten werden, desto mehr zieht es uns in die Barrios. Hier sind die Gassen eng, der Himmel schmal und die Stimmen, in den offenen Türen und Fenstern, sind geräuschvoll. Barrios, die Altstadt, die Keimzelle Alicantes, ist mit Unmengen an Bars, Restaurants und Discotheken gesegnet.

Jetzt am Abend wird überall das Essen zubereitet, der Geruch ist fremdartig aber sehr angenehm. Wie immer in diesen Fällen, beginnen bei mir die Synopsen mit den Magensäften eine enge Kommunikation und ich weiß, wie das endet. Irgendwann kommt dieses Signal, ich muss essen. Die Jungs erkennen sofort, mit dem ist jetzt nicht mehr viel anzufangen und deshalb beteiligen sich alle an der Suche nach einem noch offenen Laden.

Aber wohin wir auch schauen, überall vor den Läden wird mit Besen und Kehrschaufel das Trottoir gereinigt und niemand ist wirklich interessiert daran, noch einmal hinter den Tresen zu treten, um mich zu bedienen. Als ich es fast aufgegeben habe, finden wir eine Metzgerei. Der Besitzer gehört auch zu der „Besenschwingenden Zunft“, aber nachdem ich ihm fast flehentlich klarmache, dass ich Hunger habe, zeigt er achselzuckend auf seinen fast leeren Tresen.

Da entdecke ich auf einem Silbertablett den Kopf eines Schafes. Der Kopf ist gekocht worden, jetzt natürlich kalt, was aber alle als anstößig empfinden ist die Tatsache, dass uns große blaue Augen anschauen und dem Tier eine Seele verleihen, dass es eigentlich nicht mehr hat. Die Jungs sehen mich zweifelnd an, sie fragen sich, wird er das tatsächlich durchziehen? Ich kann nicht anders, ich kenne mich ja, ich muss jetzt essen, egal ob blaue Augen, egal ob kaltes, fettiges Schafsfleisch.

Mit den Seelords im Schlepptau, sie halten tatsächlich zwei, drei Meter Abstand, schlendere ich durch die engen Gassen des Barrios. Ich nage an dem kalten, klebrigen Fleisch.
Die Leute, denen ich begegne, schauen interessiert, aber keiner ist da, so scheint es, der mir durch seine Mimik anzeigt, dass ich etwas Unanständiges tue. Die Frage nach dem Geschmack stellt sich mir nicht wirklich, ich muss den Magen füllen. Nach einiger Zeit allerdings, beginnt sich das Hungergefühl langsam zu egalisieren und mit dem Grad der Sättigung wird mir das Tier, das mich die ganze Zeit zu beobachten scheint, unheimlicher, ja, unangenehmer.

Ich entsorge es endlich in einem der Abfallkörbe. Die Jungs schließen wieder auf und mein Vorschlag, jetzt unbedingt eine Kneipe aufzusuchen, wird von niemand infrage gestellt. Ich brauche einen Schnaps.

Die Kneipe stellt sich als langer Schlauch dar. Es kommt mir so vor, als hätte jemand drei Garagen hintereinander gereiht. Die lange Theke ist wohl die längste, die wir seit langem gesehen haben. Das Ende liegt im Dunkel, aber hier vorne an der Türe, beleuchtet vom schummerigen Licht der Straßenlaternen, das durch die Fensterfront hineinscheint, sitzen sie wie die Hühner auf der Stange, „Die Damen vom Ballett.“ Sie sind jung, das ist gut, sie stricken – alle, das ist uns egal. Aber sie sind alle schwanger, was uns etwas verstimmt.

Ihre dicken Bäuche, unter dem Strickzeug und unter dem Überhang der Theke verborgen, werden erst richtig sichtbar, als sie sich mit lachenden Gesichtern, uns freundlich ansprechend, zuwenden. „Sag mal, was ist das hier für ein Salon?“, meint Willi. „Die sind hier ja alle verdammt gut gelaunt“, sagt Tommy. Als wären wir alte, bekannte Gäste, rücken die Frauen zusammen, schaffen damit Platz für weitere Barhocker und verlangen mit lachenden Mienen, dass wir unsere Hände auf ihren Bauch legen sollen.

Sie sind Profis, sie haben sofort begriffen, dass wir „Grüne Jungs“ sind. Da sitzen wir Deppen mit der „Strickenden Zunft“ in einer Spelunke irgendwo im Nimmerland zusammen und um die Sache noch toller werden zu lassen, beginnen sie uns mit Sonnenblumenkernen zu füttern, als wären wir ihre älteren Kinder.

Hier wird uns in ganz infantiler Weise gezeigt, dass wir keine harten Jungs sind, sondern einfache Burschen, denen man schnell den Wind aus den Segeln nehmen kann.
Wir bleiben viel zu lange in der Kneipe. Die Frauen trinken ihren Rosé. Ihr Palaver, das wir natürlich nicht verstehen, animiert uns ebenfalls, mit Gesprächen von zu Hause zu beginnen. Wir trinken viel und wir lachen viel. Vielleicht ist es die Anspannung der letzten Wochen, die von uns geht und bevor man sich versieht, ist der Abend dahin.

Aber eines haben wir dann trotz unserer Sprachbarriere verstanden, die Amis lagen bis vor einigen Tagen im Hafen. „Das kann doch nicht wahr sein, diese scheiß Amis“, Jim ist echt sauer. Er ist auch der einzige, der es irgendwann auf den Punkt bringt und eindeutig nachfragt, ob es denn machbar sei, mit einer der Damen nach oben zu verschwinden.

Bis auf eine, die aber wirklich nicht in Betracht kommt, wird es von den Damen abgelehnt. Aber da hat Jim auch schon begriffen, dass er mit seiner Idee auf „Legerwall“ liegt und er dreht bei. In der Nachbetrachtung war es eigentlich ein schöner Abend. Ob die jungen Frauen überhaupt begriffen haben, in welcher Situation sie sich befanden? Schwanger, von irgendeinem daher gelaufenen Ami, oder Franzosen oder Deutschen? Wie werden sie ihre Kinder großziehen, frage ich mich?
 



 
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