Kameraden, wir haben die Welt gesehen... Abschied Chapter 41

Ich bekomme meine Obergefreiten-Beförderung und eine Liste in die Hand gedrückt, mit den Kleidungen, die ich ersetzen muss, weil ich sie verschlampt habe.
„Verdammt lang, deine Liste“, meint Willi. Ich fluche und gehe durch die Decks, auf der Suche nach liegen gebliebenen Klamotten. Wenn ich nichts finden sollte, dann wird das eine teure Rechnung, soviel ist klar.

Ich finde tatsächlich, nachdem jeder seine Kleidung zusammengesucht hat, meine Seestiefel unter einer fremden Koje. Ich habe sie seit Wochen vermisst, jetzt fällt es mir wieder ein, was passiert war, ich hatte mich im trunkenen Zustand in die falsche Koje gelegt und wurde vom Besitzer nach dessen Wachende rausgeschmissen, meine Stiefel hatte ich natürlich in meinem angetüdelten Zustand vergessen.

Auch nicht schlecht, denke ich, Seestiefel sind teuer und ich streiche sie von der Liste. Nach und nach tauchen Restbestände in irgendwelchen Spinden auf und ich fülle die Teile, egal welche Größe sie haben, mit meinen Fehlbeständen auf.

Dann kommt der Tag der Entlassung, ein bezeichnender Tag, man sehnt sich danach, endlich nach Hause zu kommen. Und doch weiß man, dass man wie mit einem magischen Band am Schiff festgebunden zu sein scheint.

Nach und nach verlassen die Seelords das Schiff und sammeln sich auf dem angrenzenden Parkplatz. Ich schaue, mit meinem Koffer in der Hand, hinüber zum Schiff.

Die Dame „Schulschiff Deutschland“ war nie unser Schiff, zu ihr hatten wir nie eine emotionale Beziehung aufgebaut. Der Fletcher war da von anderem Kaliber, er war vorübergehend unsere Heimat, unser Zuhause. Ich sehe an mir runter, da stehe ich in meinen Zivilklamotten, ich gehöre ja schon nicht mehr dazu.

Über Anne und Angelika haben Jim und ich nie wieder gesprochen, auch sie sind Geschichte, alles war schon längst Geschichte, sogar Liliencron, sein stets sanftmütiges Lächeln verblasste langsam im Auf und Ab der Ereignisse.

Wenn ich über die vergangenen eineinhalb Jahre nachdachte, war doch so viel geschehen, dass mir die Ereignisse wie eine kompakte Masse vorkamen, aus der man nichts herausschneiden konnte.
Antonio und Nordoe, der kleine Guido, die Texas-Bar und Alicante und der alte Kaptein, war das alles wirklich passiert? Der Schmadding, das alte Schlitzohr und Maat Marin, der immer da war, wenn man ihn brauchte, alles Vergangenheit.

Jörn hatte ich immer falsch eingeschätzt, er verkneift sich nicht wirklich gut seine Tränen, als er mich umarmt. Waldenberg ist ein ganz anderer Mensch, er schmiedet schon Pläne für die nächsten Tage und lachte dabei über das ganze Gesicht.

Willi, würde ich wiedersehen, das war klar. Der Metzger, der Junge aus Biedenkopf, der Filigrantechniker beim Filetieren von toten Tieren, der Bursche, der verstand, wann es einem dreckig ging und der ein Stück Brot bereithielt, dessen Rechte mir noch jetzt, in guter Erinnerung, auf der Wange brannte, den würde ich wiedersehen, das war klar. Außerdem hatte ich ja Jim, meinen alten Freund.

Einige hatten sich, zu unserer Überraschung, freiwillig weiter verpflichtet. Zwei Jungs für zwei Jahre und zwei andere gleich für vier Jahre.

Sie fühlen sich unsicher bei der Verabschiedung, wissen nicht, ob sie uns unter die Augen treten können, hatten sie doch wie wir alle immer rumgemosert und uns ihr Zentimetermaß unter die Nase gehalten. Aber was soll's muss ja jeder selber wissen.

Mit unseren Gepäckstücken in den Händen wandern wir über den immer leerer werdenden Parkplatz. Wohin man auch schaut, überall verabschieden sich die alten „Seilschaften“.

Ich stelle mein Gepäck ab und schaue noch einmal über den Platz zu den Schiffen hinüber und meine Gedanken schweifen ab. Vor dem inneren Auge laufen die Bilder längst vergangener Tage noch einmal an mir vorbei. Ich weiß, wir werden das alles hier vermissen, irgendwann werden wir an unsere Zeit hier zurückdenken.

Ich frage mich, was werden wir vermissen, was wird sich in unserer Erinnerung festsetzen? Die Geräusche – vielleicht vom Schiff, das Knarren und Knarzen, wenn es sich durch die Wellen quälte?

Das dumpfe Rumoren der Maschine, die lauten Befehle, die fremden Häfen, die Schreie der Möwen, das laute Lachen beim Kartenspiel?
Die Gerüche – ja natürlich, die Gerüche, den Mief unter Deck, den Dieselgestank, Labskaus in der Kombüse, das Brackwasser in den fremden Häfen?
Das Meer – auf jeden Fall das Meer, das werden wir vermissen. Das Meer hat uns demütig werden lassen, allein wegen seiner Kraft und seiner Grenzenlosigkeit.

Und dann der Wind – Ja, der Wind, wenn er heulend durch die Stagen jagte und uns auf Luv die Gesichtszüge verformte und die Wellen. Die Wellen, mit ihrer Gewalt und in ihrer ruhelosen Gleichförmigkeit, und dann der unendliche Horizont, den werden wir bestimmt nie vergessen. Wasser, Wind und Wellen, der Horizont, sie alle zusammen, sind sie vielleicht der letzte Zufluchtsort der Seele?

Ja vielleicht sind sie das, aber vielleicht wird ja auch alles ganz anders sein, wer weiß das schon. Ich hebe den Blick und frage mich, was war das doch für eine merkwürdige, fremde Welt, aus der wir uns jetzt verabschieden.

*​

Ob U-Boot-Fahrer, Minensucher, Peoples von den Fregatten und Schnellbooten, sie schütteln sich die Hände, fallen noch einmal in eine Umarmung.

Unsere Seelords stehen jetzt auf dem freien Platz und schauen zu uns herüber, ich winke ihnen ein letztes Mal zu. Jim wird ungeduldig, „wir müssen jetzt los!“

Hallo ihr „Fletcherpeopels“, ihr „Seelords“, macht`s gut, macht`s alle gut und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel. Langsam gehen wir über den Parkplatz, hinter uns hören wir sie singen:









„Kameraden wir haben die Welt gesehen,

Paris und das Heilige Land,

wir haben unsere Seelen in das Meer gekotzt,

vor Australien, da schwimmen sie an Land.

Kameraden, die Welt ist so wunderschön,

was gibt es für uns noch zu sehen,

als Hamburg an der Elbe, gleich hinter dem Ozean,

ein Mädchen von Sankt Pauli,

eine Hure von der Reeperbahn…“












Ende
 
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