Kameraden, wir haben die Welt gesehen... Das Faltboot Chapter 37

Das Faltboot

Unser alter Liegeplatz in Kiel-Holtenau hat uns aufgenommen. Nach einigen Tagen beginnt sich die Routine durchzusetzen. Wir haben angefangen die Räume des Schulschiffes aufzuklaren, weite Gänge an denen sich endlos viele Räume aneinanderreihen. Sie alle sind leer und dienen irgendwann den Kadetten als Schlaf- und Schulungsräume.

In den Freizeiten finden wir uns in den Stammkneipen wieder, hier treffen wir immer die alten Kameraden anderer Einheiten, genau hier haben wir unsere Duftmarken hinterlassen.
Vom 1. Offizier haben wir erfahren, dass die 3 Trossen beim Anlegemanöver, zusammen um die 24.000 DM gekostet haben. Das käme dem Gegenwert von 3 VW-Käfern gleich, meinte er. Außer einem: „Das haben sie gut gemacht“, kommt keine weitere Anerkennung auf uns zu.

In den nächsten Wochen erleben wir, dass unser Schiff bei der Bevölkerung Interesse geweckt hat, zumindest bei der weiblichen und jungen, was uns insgesamt freut. Es kommt vor, dass ich nachts auf Wache bin und ohne die Ratten, die zwischen meinen Beinen hin und her laufen und an meinen Schnürsenkeln knabbern, vielleicht zu der Gattung der einsamen Individuen gezählt werden müsste, was in der Einordnung früherer Liegeplätze sicherlich seine Berechtigung gehabt hätte.

Jetzt aber, nur die Ratten sind mein Zeugen, beobachte ich, wie sich über der Kieler Förde, auf dem sich das Licht des Mondes durch die kurzen Wellen in bizarre Formen verwandelt, ein Paddelboot nähert. Da es sich um die einzige Bewegung handelt, die ich wahrnehmen kann, ist meine Aufmerksamkeit geweckt. Ich bin selber jahrelang Wildwasser gefahren und ich weiß die fließende Bewegung einzuschätzen. Das Boot kommt näher und ich erkenne am langen, wehenden Haar, dass es sich um ein Mädchen handeln muss. Kurze Zeit später wird das, durch die vom Mond beschienene Silhouette ihres schlanken Körpers, bestätigt.

Mit gekonnten, immer gleichen Armbewegungen nähert sich das Boot, die Förde liegt fast spiegelglatt. Sie hält auf unser Schiff zu, ich lehne an der Reling und ich frage mich, was das werden soll? Dann sind es nur noch wenige Meter bis zur Bordwand und ich kann als Kajakfahrer nur den Hut ziehen, denn dieses Mädchen versteht es, mit dem Boot umzugehen.

Weit beuge ich mich hinaus, denn jetzt liegt sie parallel zum Schiff, etwas links von mir, wie von Geisterhand, fliegt von oben, aus dem dunklen Nichts der im Schatten liegenden Gänge, eine Jakobsleiter über Bord. Ich bin erstaunt und denke mir noch, die Sache läuft zu glatt ab. Es kann nicht sein, dass dieser Entervorgang heute Abend seine Premiere hat. Nein, das ist ein eingespieltes Team, aber wie schön, das wird ja eine kurzweilige Wache, und ich lehne mich weiter über die Reling, um mir das Vorgehen der jungen Frau genauer anzusehen.

Eine Jakobsleiter zu besteigen, ist nicht jedermanns Sache. Die, zwischen zwei Seilen gespannten hölzernen Sprossen, müssen mit Verstand benutzt werden, denn alles schwankt an der Bordwand hin und her.
Aber das Mädchen befestigt das Faltboot an der unteren Sprosse der Leiter und was mich wirklich erstaunt, wie eine Schlange schält sie sich aus der Persenning ihres Kajaks, hält sich mit einer Hand am Süllrand ihres Bootes fest, um sich dann über das angewinkelte Bein nach oben zu drücken und die Leiter mit einer Hand zu umklammern.

Alles wirkt sehr überlegt, irgendwie einstudiert, ich bewundere die Kleine, die jetzt die ersten Sprossen der Leiter erklommen hat und sich im Dunkel, nur von einer Lampe, einem Notlicht an Bord des Schiffes, beschienen wird, behände nach oben bewegt. Helfende Hände umfassen ihre Schulter und ziehen sie an Bord. Den Burschen oben, kann man nur als Schattenriss im Gegenlicht der Bordlampe schemenhaft wahrnehmen, schon ist der Spuk vorbei. Sie verschwinden lautlos im Inneren des Schiffes und lassen einen (jetzt) einsamen Kameraden im einsetzenden Regen auf Wache zurück.

Der neue Tag fängt ja gut an denke ich mir, die Wolken hängen tief und in dem fast leeren Schiff, in dem unsere „People“ gerade einmal ein halbes Dutzend Räume belegen, scheint auch keiner wirklich bemüht zu sein den Tag mit Arbeit belegen zu wollen. Allen ist klar, dass die Tage gezählt sind und wenn die Katze fehlt, dann tanzen die Mäuse. Also ganz langsam aufgestanden und zur Cafeteria gewandert. Als ich beim Wachhabenden vorbeikomme, höre ich ihn toben. Die anderen vor mir ignorieren ihn.

Ich vernehme noch, wie er zu seinem Kollegen sagt: „Diese Schweine! Schau dir mein Handtuch an, da war wieder so ein „Gör“ an Bord, das die Tage hatte.“ Er schwenkt sein Handtuch in Nato-Olive seinem Kollegen vor der Nase hin und her und deutlich ist zu erkennen, dass es rot eingefärbt ist.
Ich trete einen Schritt seitlich aus der Reihe der Wartenden vor der Cafeteria, schaue über die Reling, das Faltboot ist verschwunden. Gutes Mädchen, denke ich.
 



 
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