Kameraden, wir haben die Welt gesehen... Gib Gas! - Gib Gas! Chapter 40

Die nächsten Tage vergehen, ohne dass wir unsere Schönen wiedersehen können. Wir müssen Wache gehen und am nächsten freien Tag verpassen wir sie im Trubel der Kieler Woche. Nicht nur Segler aus aller Welt füllen mit ihren Schiffen die Förde, auch die Stadt mit ihrem Volksfestcharakter schwemmt wahre Massen von Menschen durch die Straßen und in die Kneipen.

Aber dann sehe ich Angelika wieder als ich in „Jans-Kneipe“ vorbeischaue. Sie muss wissen, dass ich hier zu finden bin und tatsächlich, da steht sie und unterhält sich mit einer Freundin oder Schulkollegin. Jim ist heute mit „Jane“ unterwegs, wir werden uns nicht sehen.

Angelika kommt direkt zu mir, was mir ein gutes Gefühl vermittelt. „Du, ich habe heute wieder den Pudel“, sagt sie und meint damit, ob ich mitgehen will. Natürlich will ich, und so laufen wir durch die überfüllten Straßen, laufen in Richtung Hafen, Hand in Hand und schnappen uns die Pudeldame und gehen mit ihr durch den Park.

Angelika ist so merkwürdig aufgekratzt, so kenne ich sie nicht. Sie erzählt mir von ihren Freundinnen und dass sie Modezeichnerin werden will. Sie lädt mich zu sich nach Hause ein, mir ist nicht ganz wohl dabei, hab´ keine Lust den Abend mit den Eltern zu verbringen.
Sie erklärt mir aber, dass sie ein eigenes Zimmer hätte und wir wären ungestört. Wir steigen in den zweiten Stock und betreten eine Allerweltswohnung.

Gemusterte Tapeten, einfache Möbel, alles ein wenig dunkel gehalten, ein leichter Geruch nach abgestandener Luft und schon sind wir durch die nächste Türe verschwunden. Ein rechteckiger, recht großer und dunkler Raum, mit Beistelltischen, an jeder Wand ein Schrank aus irgendeinem dunklen Holz und irgendwie deplatziert, in der Mitte des Raumes, eine Sofa Marke „Kieler-Biedermeier.“

Aber das Aller schärfste ist die in der Decke eingelassene Faltwand. Sie verläuft zickzackförmig durch das Zimmer und ist an einer Art Laufschiene im Boden befestigt. Sie ist dünn und ich höre im Nebenraum den Fernseher laufen.
„Sitzen deine Eltern da drüben vor dem Fernseher?“, frage ich sie. „Ja natürlich, mach´ dir keine Gedanken, sie kommen hier nie rein, wenn sie wissen, dass ich zu Hause bin.“

Das verblüfft mich und nimmt mir nicht wirklich die Bangigkeit, ist ja auch irgendwie merkwürdig, ich habe das Gefühl, ich befinde mich auf einer Bühne. Angelika legt sich auf das Sofa und zieht mich an sich, ich höre nebenan, dass die Sportschau läuft. Es scheint, dass der Angriff der Hamburger über links läuft, hört sich vielversprechend an.

Sie küsst mich, dann hört man plötzlich das Geschrei der Zuschauer, da muss was passiert, sein. Der Ball ist mit Sicherheit in den Strafraum geflankt worden, soviel ist klar. Hat es etwa ein Foul gegeben, geht es mir durch den Sinn? Gibt es möglicherweise einen Strafstoß?

Sie zieht mich an sich. Die Zuschauer pfeifen, wahrscheinlich einen Elfer verweigert, typisch Schiri, denke ich. Ihr Arm liegt jetzt fest um meinen Hals und verdeckt mir das rechte Ohr, Schit.
Ich küsse sie und meine Hand rutscht unter ihren Rock, sie windet sich und küsst mich intensiver. Mir ist plötzlich klar, dass sich jetzt auf keinen Fall die Faltwand öffnen darf, denn ihr Slip liegt auf dem Teppichboden. Ich positioniere mich und wieder habe ich das Gefühl nicht hier sein zu dürfen, die verdammte Faltwand.

Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. Mein Ohr ist plötzlich frei und ich höre den Torjubel. Klasse Jungs, denke ich.
Alles wird jetzt plötzlich sehr intensiv, Angie ist entzückt, sie keucht etwas, wenn die Wand doch nur aus Stein wäre, scheint Halbzeit zu sein, ich höre jemanden die Kühlschranktüre öffnen, holt sich wohl 'n Bier, denke ich.

Angelika küsst mich auf die Nasenspitze, zieht mich noch einmal an sich und lächelt mich an, ein untrügliches Zeichen, dass bei uns gerade der Abpfiff erfolgt ist. Wir knutschen noch etwas herum, plaudern dabei und die Zeit geht dahin, spät verabschieden wir uns im Dunkel des Korridors mit einer innigen Umarmung und einem letzten Kuss, ich laufe die Treppen hinunter und atme die frische Luft des Juniabends. Pfeifend, beide Hände in den Hosentaschen, wende ich mich dem Hafen zu, ich habe eine Freundin, denke ich mir, was für ein entzückendes Mädchen, aber in zwei Wochen bin ich hier weg, dann werde ich sie wohl vergessen müssen.

*

Der nächste Tag wird mir unvergessen bleiben. Jim kommt ins Casino und setzt sich zu mir, er ist aufgeregt. Seine sonst so gepflegten, nach hinten gekämmten, und von mystischen Kräften gehaltenen Haare, fallen ihm in Strähnen ins Gesicht.

„Hast du was getrunken, frage ich ihn? „Und wie!“, antwortet er. „Ich habe vielleicht ein Erlebnis hinter mir, mein lieber Scholli.“ Er holt tief Luft. „Ich war doch gestern mit Anne unterwegs – ach, Anne hieß sie, denke ich – jedenfalls sind wir rumgefahren und wir hatten richtig Spaß kann ich dir sagen, dann habe ich sie nach Hause gebracht und wir haben noch rumgeknutscht.“ „Ja, verstehe, na und?“, sage ich.

„Da sagt sie plötzlich zu mir, gib Gas, gib Gas!“ Ich schaue sie an und frage, was denn los sei. „Gib Gas! Mein Vater kommt.“ Ich sage: „Na und, lass ihn doch.“ Da springt sie aus dem Wagen und rennt die Straße runter.
Ich denke noch, was ist denn mit der los, da klopft der „Alte“ ans Fenster, ich kurbele runter und er schnauzt mich an. „Ich zeige sie an!“ Ich denke der „Alte“ hat einen an der Klatsche und frage ihn was er denn von mir wolle.

„Meine Tochter ist minderjährig, fünfzehn Jahre alt und sie machen mit ihr rum, ich zeige sie an, wegen Verführung Minderjähriger.“ „Ich bin direkt aus dem Wagen raus, dann kam noch ihr Bruder dazu und das Palaver begann.“ „Ich habe ihm versucht klarzumachen, dass sie mir ihren Ausweis gezeigt hätte und auf dem war sie 19 Jahre alt, du erinnerst dich doch?“ „Ja, ja natürlich“, sage ich.

„Dann begann der Alte sich zu beruhigen und schickte den Sohn los, einen Kasten Bier zu kaufen.“ „Wir sind dann in die Wohnung und er war ziemlich fertig, na ja, und dann begann er zu erzählen.“

„Beide, deine Angelika und Anne sind aus dem Erziehungsheim ausgerissen, sie werden diesen Monat beide 16 Jahre alt.“
„Sie haben in dem Heim angerufen, mit verstellter Stimme und erklärt, dass sie, wegen eines Familienfestes, unbedingt ihre Tochter zu Hause erwarten.“ „Dann sind die beiden auf die Rolle gegangen und haben uns aufgegabelt.“

„Zuhause haben sie die Geschichte umgedreht, sie hätten ein paar Tage freibekommen.“ „Keinem ist was aufgefallen.“ „Tja Junge, ich habe den Kasten Bier mit den beiden, Vater und Sohn, niedergemacht.“ Jim sinkt im Stuhl zurück, ich weiß nicht was ich sagen soll, außer: „Tja, das war´s dann wohl.“

Verdammter Mist sage ich. Ich kann es gar nicht glauben. In Gedanken gehe ich noch einmal die letzten Tage durch und komme mir dabei wie ein Gauner vor, der seinen letzten Bruch noch einmal Revue passieren lässt, um festzustellen, ob er einen Fehler gemacht hat und vielleicht doch noch an Hand von Fingerabdrücken erwischt werden kann.

„Die beiden werden, jetzt, wo die Sache aufgeflogen ist, wohl wieder reumütig ins Heim zurückkehren, meint der Vater, so wie beim letzten Mal auch.“
“Wie beim letzten Mal auch“, räsoniere ich. Ich schüttle den Kopf, unfassbar. Ich denke noch einmal zurück an Angelika, an unsere Spaziergänge, an ihr Lächeln, ihre Verrücktheiten am Strand, der gestrige Abend.

Ich bin sehr enttäuscht, sie waren beide wirklich klasse Girls, wir hatten alle unseren Spaß. Langsam stehe ich auf und komme mir vor wie ein alter Mann. „Komm!“, sagt Jim, „lass uns das Zwischendeck aufklaren, iss ja eh unser letzter Akt hier.“
 



 
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