Kameraden wir haben die Welt gesehen, Paris und das Heilige Land Chapter 2

Grundausbildung I – Ankunft und Eingewöhnung

Wenn ich zurückdenke, ist schon fast ein halbes Jahr vergangen. Am 2. Januar 1968 hatte, mit der Verabschiedung meiner Eltern und meiner kleinen Schwester am Düsseldorfer Hauptbahnhof, die Geschichte ihren Lauf genommen. In stundenlanger Fahrt, mit mehrfachem Umsteigen, erreichten wir am Abend endlich unser Ausbildungslager Glückstadt an der Elbe.
Am nächsten Tag wurden wir in herrgottfrüher Stunde auf dem Exerzierplatz eingeteilt, und zwar nach Größe. Es goss in Strömen und wir froren wie die Schneider. Mit meinen 173 cm Körperlänge wurde ich immer weiter nach links durchgereicht, was mich ein wenig frustrierte. Ich fragte mich, mussten denn wirklich fast alle größer sein als ich? Endlich tauchte neben mir einer auf, dem ich geradewegs in die Augen sehen konnte, ein wirklich sympathischer Mensch.
Unseren Haufen nannte man die 4. Kompanie. Gab es noch eine 5.te, ging es mir durch den Kopf? Ja, es gab sie, noch kleinere, der „Zwergenhaufen“ wurden sie genannt, damit setzte bei mir eine leichte Beruhigung ein. Nein, nicht das irgendeiner annehmen sollte, ich hätte da einen Komplex wegen meiner Größe, bei weitem nicht. Ich habe vielmehr ein Problem mit meinem Ego, denn das ist riesengroß.

Grundausbildung in Glückstadt hatte es geheißen. Das Ausbildungslager bestand aus einem riesigen Gelände mit zweistöckigen Backsteinbauten in Reihe gesetzt. Von ihm ging ein Charme aus wie von einem Persilkarton. Fünf lange Monate hatte ich hier durchlaufen und die waren nicht von Pappe. Ausgerechnet zum Zeitpunkt meiner Ausbildung mussten sich die Sowjets einfallen lassen in Prag einzumarschieren und schon waren bei uns alle aus dem Häuschen. Wache gehen von morgens bis abends war angesagt und um alles noch unfreundlicher zu machen, hatte die Elbe Hochwasser und 30 Zentimeter unterhalb der Deichkrone floss die braune, eiskalte Brühe an Glückstadt vorbei, das, wie unser Ausbildungslager auch, viel tiefer lag als der Pegel des Flusses. In der Nacht waren über 30 Zentimeter Schnee geschmolzen und ich musste den Fluss bewachen und rannte in warmen Klamot- ten mit dicken Stiefeln auf der Deichkrone entlang.

Tagsüber lernten wir das Exerzieren und schon morgens um 5:30 Uhr hieß es „Reise, Reise aufstehen“, und der Tanz begann. Wir lagen zu Acht auf einer Stube, und nach anfänglicher Eingewöhnung hatten wir uns schnell liebgewonnen. Probleme gab es nur mit den Unteroffizieren. Sie kamen morgens ins Zimmer gestürmt, benahmen sich wie Gutsherren und rissen, ohne sich wirklich zu vergewissern, die Decken von den frisch gemachten Betten. Es war ihnen die schiere Freude an diesem Ritual anzusehen, sie ergötzten sich an unseren erstaunten Gesichtern. Dabei ging alles sehr schnell und laut vonstatten.

Da ich meine Koje direkt neben der Eingangstüre hatte, wurde diese natürlich auch als erste verwüstet. Er trat ein, schaute in den Raum, seine rechte Hand faste dabei mechanisch meine obere Decke, und während Tommi laut „Achtung!“ rief und seine Mitteilung machte, flog mein Bettzeug auf den Boden und er hatte nicht einmal darauf geschaut.
Es war doch klar, sie hatten es schon tausend Mal so gemacht und kannten die Reaktionen der Neuankömmlinge und ihren Kleinmut genau. Da konnte nichts schiefgehen, das lief immer gleich ab.
Da wurde rumgeschnauzt und der Soldat, der seine Meldung machte, dass die Stube mit acht Mann besetzt, die Stube sauber und aufgeklart sei, wurde direkt zur Sau gemacht. Ohne mich zu beachten stand der Maat mitten im Raum, wischte geübt mit dem Finger über die Lampe und blies den imaginären Staub dem Meldung machenden Soldaten ins Gesicht.

Er schrie: „Können Sie mich noch erkennen Mann?“ Tommi zuckte zusammen und stammelt irgendetwas Unverständliches. „Ich will, dass die Bude blitzblank ist, wenn ich hier in 15 Minuten auftauche, und dann sind die Betten ordentlich gemacht, ist das klar?“ Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen, Jörg senkte seinen Blick, Waldenberg stand da mit offenem Mund. Der Maat drehte sich um, er und sein Begleiter wollten gerade den Raum verlassen. „Ich mache das Bett nicht noch einmal“, sagte ich im ruhigen Ton.

Ich beobachte ihn genau und bemerke, wie plötzlich die Choreografie, die doch wie einprogrammiert war, ein anderes Format erhielt. Der Unteroffizier, mitten im Raum stehend, mit dem Rücken zu mir, verharrte in seiner Bewegung und einen Moment lang schien er zu lauschen, er musste sich das Gesagte noch einmal ins Gedächtnis rufen. Da stimmte was nicht, das war so nicht abgesprochen, das konnte nicht sein.

Dann drehte er sich um, sah mich an, und man konnte förmlich sehen, wie er sein Selbstwertgefühl mit Dominanz auffüllte. Hier verbarg sich doch für ihn eine hervorragende Chance allen klar zu machen, dass es bei der Marine keine Widersprüche und keine Kleinrevoluzzer geben würde.
Er schrie mich an, dabei rückt er mir förmlich auf die Pelle, er hätte sich wohl verhört und ich solle mich in Acht nehmen, sonst würde er andere Saiten aufziehen. Dann kam natürlich das Unvermeidliche: „Ist das Klar?“ Ich schaute ihn an. Er wusste ja nicht, dass Anschreien bei mir nichts nützte, noch nie hatte ich deshalb einen erhöhten Puls. Was ich noch nicht ahnte, ich würde deshalb in meinem Leben noch eine Menge Ärger bekommen. Und so sagte ich im ruhigen Ton und genoss dabei jedes Wort: „Sie können machen was sie wollen, ich mache das Bett nicht noch einmal neu.“

Jetzt ist für ihn alles im Eimer, war doch von Anfang an alles gut gelaufen, er hatte den Chef raushängen lassen, wusste die Jungs mit ein paar verwegenen Sprüchen zu beeindrucken, und die ersten hatten sich schon in Bewegung gesetzt, um der Aufforderung nach blitzsauberer Bude nachzukommen, und dann das. Er schaut mich an und spricht jetzt ganz leise: „Hab ich mich verhört?“ „Soldat!“ „Ich gebe ihnen den Befehl ihre Koje neu zu belegen, wenn sie diesem Befehl nicht nachkommen, dann kriegen sie Ausgangssperre und außerdem eine Sonderaufgabe, haben sie mich verstanden?“ „Ich baue das Bett nicht noch einmal neu.“
So beginnt alles. Es war Anfang Januar und es würde noch bis zum 15. April dauern, bis ich zum ersten Mal nach Hause fahren durfte.
 

onivido

Mitglied
Was bin ich froh, dass ich mit solchen Dingen nie konfrontiert wurde. Die Story ist sehr interessant fuer mich.
Gruesse///Onivido
 



 
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