Kameraden wir haben die Welt gesehen, Paris und das Heilige Land Chapter 3

Der Jäger 1

Ich schrecke aus den Gedanken hoch, der Wachoffizier hat eine neue Geschwindigkeit befohlen und Jim neben mir, eigentlich heißt er Wolfram und kommt wie ich aus Düsseldorf, muss den Maschinentelegrafen bedienen, was bedeutet, dass wir jetzt auf „Halbe Kraft“ fahren. Durch den Geschwindigkeitszuwachs lässt sich das Schiff sofort leichter auf Kurs halten, das ist angenehm. Vor zwei Wochen hatte sich Wölfi als Fahrlehrer verabschieden dürfen, man hatte wohl Vertrauen in meine Fahrkünste und das machte mich schon stolz. Heute fahren wir zu unserem Schießgebiet, wir haben alles vorbereitet und die Schlepper ziehen an langen Tauen ihre Holzflöße hinter sich her.

„Fährst du heute mit in die Stadt zu Jans Kneipe?“, fragt Jim. „Ja, ja natürlich, ich bin dabei, wer weiß, wann wir mit dem Feuerzauber hier fertig werden?“ Jim ist etwas kleiner als ich, schmal in den Schultern. Er besitzt eine Schlagfertigkeit, die einen überrascht, wenn man ihn nicht kennt. Auf sein Äußeres legt er mehr Wert als ich auf meines. Seine Haare kämmt er gekonnt nach hinten, was mir sofort aufgefallen ist und sie scheinen immer etwas Gelartiges zu beinhalten.
In seinem schmalen Gesicht blitzen saubere Zahnreihen und sein Lächeln scheint seine stärkste Waffe zu sein. Achtet man etwas genauer auf seine Aussprache, dann bemerkt man ab und zu ein leichtes Lispeln, das aber nicht wirklich stört. Was mir aufgefallen war, er ist eine angepasstere Persönlichkeit als ich es bin, ich glaube, er würde sich mit einem Vorgesetzten nicht so schnell anlegen. Er versteht sich in seiner Position und stellt nicht alles offen in Zweifel.

Er ist mein Freund und außerdem hat er ein Auto und das macht ihn unersetzlich für mich, denn er könnte mich irgendwann mit nach Hause nehmen. Außerdem kann ich von ihm einiges lernen, zumindest in Sachen Mädchen. Jim ist ein Jäger, seine spanische Freundin zu Hause weiß nicht was er hier treibt, muss sie ja auch nicht.

Beim letzten Mal ist die Sache in Jans Kneipe allerdings für mich nicht zum Besten gelaufen, erinnere ich mich. Wie immer, hatte ich Jim beim „Anbaggern“ der beiden Mädchen den Vortritt gelassen. Sie hießen Gerlinde und Marion und ich war erstaunt, wie gut alles lief. Sofort saßen wir am gemeinsamen Tisch und bestellten für die beiden Coca-Cola. Die Musikbox schmetterte irgendeinen italienischen Song und das Lachen und Gegröle von den Nachbartischen zwang uns förmlich dazu, uns näher an unsere „Beute“ heranzumachen.
Ich merkte sofort, wir lagen auf gutem Kurs, ein Widerstand war nicht auszumachen. Es erstaunte mich etwas, wie schnell Gerlinde eine Cola niedermachen konnte. Vielleicht war das auch der Grund für ihre Schweigsamkeit dachte ich mir, man kann halt nicht beides gleichzeitig tun.

Wie immer, wenn Jim als Jäger unterwegs war, musste ich beim „Verteilen“ der Mädchen mit der, sagen wir mal, „Zweiten Wahl“ vorliebnehmen. Im Fall
Gerlindes war ich gut weggekommen, blondes, schulterlanges Haar, ein rundliches Gesicht, und unter ihrer Bluse schien sich eine Wölbung abzuzeichnen, die jeden entdeckungsfreudigen Menschen zu Höchstleistungen anspornen konnte.

Ich war guter Dinge und im Laufe des Abends wurde uns beiden klar, dass die Mädels nicht zur Gattung „Fass mich bitte nicht an“ gehörten. Also gingen wir auf Erkundungstour, was aber in der Enge der Kneipe zwangsläufig an ein Limit stößt, das sich nicht wirklich überwinden lässt. Wir alberten noch eine Zeitlang rum, wobei sich nur Marion wirklich an der Unterhaltung beteiligte. So verging der Abend und die wenigen, noch verblieben Gäste zeigten uns an,
dass wir aufbrechen mussten.

Ich zahlte die fünf Cola von Gerlinde und mit dem Auto fuhren wir die beiden nach Hause, nicht ohne uns zu vergewissern, zu welcher Gattung Mensch sie wirklich gehörten. Gerlinde sagte nichts, jetzt, hier im Halbdunkel des Autos, ohne Koordinationsprobleme mit ihrem Getränk, hätte sie doch gut das Eine oder andere sagen können, tat sie aber nicht. Macht nichts, dachte ich mir, wir sind ja auch kein Debattierclub.

So wenig wie sie sagte, so widerstandslos war sie auch, aber sie trug auch rein gar nichts zu ihrer Eroberung bei, einfach teilnahmslos saß sie neben mir und ließ alles geschehen. Dumm nur, es war schon so spät, wir hatten keine Wahl, wir mussten los, es war kurz vor Zapfenstreich, also die Girls ausgeladen, eine gute Nacht gewünscht und das Versprechen abgenommen, übermorgen bei „Jan“ aufzutauchen.

Am nächsten Tag saßen wir in unserer Mittagspause lange in der Pantry rum. Ich rauchte meine Pfeife und Jim erzählte vom gestrigen Abenteuer in Jans Kneipe. Wie zufällig fielen auch die Namen der Mädchen. Der Smutje, ein feister, dicker Obergefreiter, mit fettem Gesicht und einem Watschelgang, Marke „Zehn vor zwei“, grinste, als er an unseren Tisch kam, spendierte uns übrig gebliebenen Schokoladenpudding und warf sich gekonnt sein schmuddeliges Geschirrtuch über die Schulter. „Gereiche?“, fragte er. „Nein, Gerlinde“, warf ich schnell ein. „Ja, ja ich weiß, an den Baum hat schon jeder gepisst, ich hatte sie letzten Donnerstag.“

Er drehte sich um und watschelte in seine Kombüse. Dabei wischte er seine dicken Wurstfinger an der Schürze ab, auf der Fettflecken und Essensreste in farbiger Manier so aufeinandertrafen, dass man sie auch als ein surrealistisches Bild von Breton hätte halten können. Mir stockte der Atem, das konnte nicht wahr sein, dieser widerliche Kerl hatte was mit meiner Gerlinde?

Meiner Gerlinde, ging es mir durch den Kopf, bist du bescheuert? Du kennst sie ja kaum, keine drei Worte hat sie gesagt. Du hast sie abgefüllt mit Coca-Cola und ein bisschen, na sagen wir mal, rumgefummelt und dann ein wenig Spaß gehabt. Das nennt man Spieltrieb, nicht mehr als reinen Spieltrieb.
Nein, nein, rede dir doch nichts ein, es ist genau genommen deine eigene Blödheit. Du hast doch schon viel früher begriffen, dass diese Braut, außer ihrer Figur, zugegeben, ihre Möpse waren nicht zu verachten und errangen in deiner, nach oben offenen Richterskala leicht sieben von zehn Punkten, Probleme mit ihrem Intellekt hatte. Dass sie dabei gerade einmal den Grad einer Wanderheuschrecke erreichte, war dir doch egal. Dabei würde es jetzt bleiben, so viel war mir klar und ich schob Gerlinde, nicht ohne Verdruss, in Gedanken, in meinem Bücherregal ganz nach rechts in den Ordner „Erledigt!“
 



 
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