Kameraden wir haben die Welt gesehen, Paris und das Heilige Land Chapter 7

Das Leben an Bord

Die Grundausbildung war zu Ende gegangen. Wir hatten das große Los gezogen, stolz zeigte jeder auf welcher Einheit er Dienst tun würde. Einige verschlug es auf die Versorger Coburg und Meersburg, andere würden auf Tender Lahn fahren und zwei von unseren Jungs freuten sich auf das Schnellbootgeschwader um Marder und Iltis. Wir, der harte Kern, mit Willi, Jim, Tommy, Jörg, Waldenberg, Liliencron, Rainer, wir würden in der „Königsklasse“ unterwegs sein. Zerstörer Z1 stand da auf dem Formular und wir sollten in Wilhelmshaven eingeschifft werden.

Es gab noch einmal ein riesiges Besäufnis. Ich konnte dieses Bier, das ich als Rheinländer nur als Jauche bezeichnen konnte, nicht wirklich ab. „Eiche-Bier“, frei nach dem Motto: „Abends Eiche – morgens Leiche.“ Aber an diesem Abend mussten wir da durch und wir langten richtig zu und am nächsten Morgen bereute ich fürchterlich.

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Jetzt waren wir auf diesem „Dampfer“ unterwegs, und so langsam begriffenen wir, dass wir uns in einer anderen Welt befanden. Hier galt es Regeln zu beachten, die nirgendwo niedergeschrieben und doch eingemeißelt waren, wie die 10 Gebote. Wir erlebten mit, dass die Rituale, die sich wie ein unsichtbares Netz über das Schiff spannten, zu einem festen und wichtigen Bestandteil der Besatzung gehörten. Sie vermittelten ihnen damit den Gemeinsinn, ohne den die räumliche Enge und die Härte ihres Einsatzes nicht zu ertragen gewesen wären. Als sich kurz vor unserem Eintreffen auf dem Schiff ein Bootsmann in der Vorpiek erhängte, wurde von der Besatzung kaum über die Hintergründe gesprochen. Es hieß, er habe aus verschmähter Liebe gehandelt. Was aber alle gleichsam auf die Palme brachte war der Umstand, dass er für das Seil, das er gebrauchte, keinen Seemannsknoten benutzt hatte.

Ich lag in der Koje und las den „Don Juan.“ Bis zu meiner Wache war ja noch Zeit. Wenn ich gedacht hatte, der Schinken, immerhin mehr als 1000 Seiten stark, würde ein Lehrstück erotischer Literatur sein, sah ich mich wirklich getäuscht. Andererseits konnte ich nicht von ihm lassen, die Geschichten waren interessant und spiegelten eine Zeit der spanischen Hochkultur wider, die ich so nicht kannte. Geschichte hatte mich schon immer interessiert. Wenn sich Probleme mit einer schnellen Klinge und einem lockeren Spruch aus der Welt schaffen ließen, so wie bei den „Drei Musketieren“ von Alexandre Dumas oder „Cyrano de Bergerac“ von Rostand, dann konnte mich das begeistern. Der „Don Juan“ war zwar nicht ganz von dieser Gattung, aber trotzdem anziehend. Einige Zeit später sollte mich ein Buch mehr als alle anderen faszinieren, ich hielt das Buch von Cervantes in Händen, die Geschichte des Mannes aus der Mancha, „Don Quijote.“ Betrachte ich mich heute aus der zeitlichen Distanz, glaube ich, in vieler Hinsicht auch ein „Don Quijote“ gewesen zu sein, oft blind für die Realität und in meinen Tagträumen gefangen. Ein netter Kerl, ein Wolkenzähler, der zu seinem Wort stand, immer für die Schwächeren eintrat aber auch naiv und gutgläubig war.

So vergingen die Tage und es vergingen die Wochen mit Küstenfahrten in den Baltischen Meerbusen. Das bedeutete, Reinigungsarbeiten und Wache gehen von morgens bis morgens. Denn wir waren die SE Elfer, sogenannte „Seeziegen“, was so viel hieß, wir hatten eine seemännische Ausbildung, also eine Ausbildung wie sie auf den alten Seglern tausendfach zu finden waren.
Knoten und Spleißen gehörte dazu, An- und Ablegemanöver, Aufklaren des Schiffes, wir konnten morsen, das hatten wir in Flensburg-Mürwik gelernt, waren also auch Signalgasten. Das Schießen mit der 40 mm Bofors wurde in Kappeln an der Schlei trainiert. Wir mussten das Schiff in kurzer Zeit in einen See- oder auch Gefechtsverschlusszustand versetzen, wir waren die Brückenbesatzung, die das Schiff steuerten oder den Maschinentelegrafen bedienten und wir besetzten die Ausguckposten in der Backbord- und Steuerbordnock. Wir waren eigentlich „Mädchen für alles.“

Aber eines stand in der Rangliste ganz oben, das sogenannte „Rost klopfen.“ Willi, ebenfalls ein Freund von mir und Jim, gehörten dazu. Liliencron, ein freundlicher Junge aus Gelsenkirchen, Jörn, Tommy, Dieter Waldenberg, der dicke Rainer und eine Handvoll anderer Burschen, die wie wir alle, nach Feierabend, im unteren Deck hausten, wie Maulwürfe, und ihre Habe in 40x40x40er Backskisten unter den untersten Metallklappbetten aufbewahrten.
Drei Metallklappbetten übereinander, insgesamt ca. 75 Mann in einem Raum, unter Deck. Da stellte sich doch die Frage, welche Koje nimmt man da, wenn man die Wahl hat? Wer unten liegt, ist fein raus hatte ich mir gedacht, aber wie so oft in der Nacht, musste einer an seine Backskiste und hängte mich mit einem Haken auf 45°, damit er den Deckel aufbekam. Beim Weggehen wurde ich häufig vergessen und blieb in der misslichen Lage, mit dem Körper gegen die Bordwand gedrückt, liegen. Fluchen half da wenig, der Nächste der vorbeikam, half einem aus der kläglichen Lage heraus, aber an geruhsamen Schlummer war nicht zu denken.

Dann war man natürlich wach, aber an unruhigen Schlaf musste man sich an Bord gewöhnen, denn laufend kamen und gingen die Wachmannschaften und wandelten durch das Deck. Damit war eines klar, wir waren müde, wir waren eigentlich immer müde und so wurde jede Chance genutzt, irgendwo ein Nickerchen zu machen.

Einer der „Ölfüße“, so wurden die Heizer genannt und alle die unter Deck arbeiteten, hatte sich das auch gedacht und sich in der Backbordvorpiek auf die locker aufgereihte Ankerkette gelegt. Er war eingepennt, wohl wissend, dass die Kettenkästen beim Anlegen jeden Monat gewechselt wurden, um gleichmäßigen Verschleiß zu gewährleisten.
Januar Backbord-Piek, Februar Steuerbord-Piek, März wieder Backbord usw. Aber dummerweise hatte sich der Eins-O (Erster Offizier) beim Ankern anders besonnen und die Reihenfolge an diesem Tag außer Kraft gesetzt. Die „falsche Kette“ lief an diesem Tag mit dem tonnenschweren Anker über die Ankerklüse nach außen. Sie fanden von dem Burschen einen Turnschuh mit Inhalt.

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In weiter Entfernung zogen die weißen Kreidefelsen von Kap Arkona vorüber, das ja zum Feindesland gehörte. Wenn ein Schiff der DDR unseren Weg kreuzte, durften wir in unseren Arbeiten nicht innehalten. Es war verboten dem vorbeiziehenden Schiff zu salutieren. Während die Jungs auf der anderen Seite sich in Reihe aufstellten und unser Schiff mit Flaggengruß und Seite pfeifen begrüßten, klopften wir Rost als wäre es das Wichtigste der Welt. Aber im Ausbildungslager, damals in Glückstadt, hatte man uns in dieser Hinsicht vergattert. Schade eigentlich, ging es mir durch den Kopf, waren doch „Seelords“ wie wir auch und die würden gleich auch wieder Rost klopfen müssen, wenn der Zauber vorbei ist.
 



 
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