Kameraden, wir haben die Welt gesehen... Überfahrt nach Hamburg Chapter 30

Wir sind auf dem Weg zum Kattegatt also zur Nordspitze von Dänemark. Wir wollen nach Hamburg. Die Fahrt verläuft fast ereignislos, das Meer liegt spiegelglatt und wir machen das, was wir immer tun, wir klarieren das Schiff, klopfen Rost oder sind auf Wache.

In der Nordsee spuckt uns Poseidon noch einmal kräftig aufs Deck und die Arbeiten werden mit „Ganzkörperkondomen“ durchgeführt, was meint, dass wir gelbe Südwester und weite Gummihosen tragen müssen. Lustig aber sinnvoll ist auch die Kopfbedeckung, ebenfalls in Gelb, ein großes labbriges Ding, was verhindert, dass die Nordsee über den Kragen ins Innere der Bekleidung laufen kann.

Jim und ich arbeiten an Steuerbordseite. Unsere Aufgabe besteht darin, aufzuklaren und alles Liegengebliebene wie Fender, Seile und Blöcke in einen großen Container zu verstauen. Ich öffne einen der zentnerschweren Deckel und biege ihn gegen den Widerstand von Rost und Farbe nach oben, sodass er stehen bleibt.

Jim wuchtet den ersten Fender über die Kante und das Ding verschwindet in der Tiefe der Metallkiste, die ca. zwei Meter lang und eineinhalb Meter breit und tief ist. Der Seegang hat zugenommen und immer wieder trifft uns die Gischt der überkommenden Wellen. Wir halten uns mal an der Reling mit einem Arm fest oder an der offenen Kante des Containers. Seile und Blöcke landen im Inneren der Kiste.

Jim dreht sich zu mir um, während sein Arm zur Hälfte im Container verschwunden ist. In diesem Moment sehe ich, wie sich der schweren Deckel in Bewegung setzt und dann mit Wucht nach unten kracht. Meine Warnung kommt zu spät, Jims Arm steckt noch bis zum Ellenbogen in der Kiste. Jim schreit auf und ich weiß sofort, dass ich einen Fehler gemacht habe. Jims Arm ist gebrochen, ich renne mit ihm zum Sanitätsbereich und er wird sofort versorgt.

Ich mache mir Vorwürfe, ich hätte die Kiste mit dem Haken, auch gegen den Widerstand von Rost und Farbe, sichern müssen. Zwei Stunden später sehe ich Jim wieder, ein schneeweißer Gips ziert seinen linken Arm, er grinst mich an, ein Stein fällt mir vom Herzen, er ist zum Glück nicht nachtragend.

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Wochen später, wir haben Sonderurlaub. Jim und ich wollen uns Hamburg ansehen. Vor Monaten waren wir schon einmal hier gewesen. Das Erste, was wir damals machten, wir liefen durch die Herbertstraße und schauten uns die „Auslagen“ an.
Sonderangebote bekommt man hier nicht, aber die Damen, die sich anbieten, bezeichneten die Seelords als „erstklassige Qualität.“

Die „Frolleins“ sitzen, und wenn der Begriff jemals in seiner Bedeutung richtig getroffen wurde, dann hier, in ihren „Schaufenstern“ und stricken oder sie tun nichts oder sie posieren. Für uns von der Marine gibt es hier nichts zu holen, das wissen die Damen so genau wie wir und doch ist es ein Muss für die Jungs, hier Flagge zu zeigen und den Damen Anerkennung zu zollen.

In den engen Gassen und einschlägigen Kneipen von Sankt Pauli verloren sich die Spuren der Seelords, sie verteilten sich und vielleicht kam der eine oder andere von ihnen doch noch in den Genuss von ein paar Stunden seliger Gemeinsamkeit, wir wissen es nicht.

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Dieses Mal erleben wir Hamburg nach festgelegtem Muster, wir haben die Order bekommen, und die wäre in diesem Falle nicht notwendig gewesen, das Schulschiff Gorch Fock zu besuchen. Der „Weiße Schwan“ liegt an der Flaniermeile von Hamburg und ist so etwas wie der Megastar des Hamburger Hafens. Er wird von Menschen aller Herrenländer in Massen auf Zelluloid gebannt.

Wir gehören schließlich zum gleichen Verein und bekommen, auf dem Weg zum Schiff, ein wenig vom Glanz des Seglers ab und werden, in Unkenntnis der Lage, von vielen Flanierenden als Bordmitglieder missverstanden. Uns macht das nichts aus, im Gegenteil, es macht Spaß von dem einen oder anderen fotografiert zu werden, wenn auch alles auf einer Missdeutung basiert.

Die Kadetten zeigen uns nicht ohne Stolz ihr Schiff. Wir erleben mit, wie sie mit einer Geschicklichkeit, die wir nicht vermutet hätten, die Wanten hinaufklettern und sich mit großer Gewandtheit auf der Rah bewegen.

Wir sind erstaunt darüber, wie man unter Deck mit so wenig Platz auskommen kann, wo doch auch unser Schiff nicht gerade wie ein Großraumbüro aussieht. Nach der Verabschiedung von unseren Kameraden schlendern wir durch Sankt Pauli. An einer der Kneipen mit Außenbestuhlung machen wir Halt und trinken ein kühles Bier.

Jim hat am Nebentisch eine Brünette gesichtet. Ein paarmal Blickkontakt reichen aus und schon sitzen wir an ihrem Tisch. Auch sie will sich Hamburg ansehen, sie hat ein paar Tage Urlaub. Jim erklärt ihr, dass sie nur mit uns Hamburg richtig erleben kann, und schon haben wir sie untergehakt und sie, die mit ihrem so untypischen Lachen für eine, die direktemang von der Küste stammt, außergewöhnlich ausgestattet ist, durch Sankt Pauli geschleppt.

Sie gehört nicht unbedingt zu der Gattung der schönen Frauen. Ihr schmales Gesicht, eingerahmt von dunkelbraunen Haaren, die schulterlang waren, scheinen etwas dünn zu sein. Ihre Brille, mit den breiten, braunen Rändern, gehört nicht unbedingt zu den Neuheiten der Saison, aber ihre Schlagfertigkeit und ihr vertrauensvolles Wesen, die Art, wie sie auf unsere, zum Teil derben Späße reagiert, ist anziehend.

So verbringen wir mit ihr einen Abend, bei der Lotte, so heißt das Mädchen, von uns „Geleitschutz“ erhellt. Durch Hamburgs erotische Gassen schlendernd, in der die bunte Glitzerwelt der aufleuchtenden Neonlampen, die bizarren Bilder halbnackter Frauen und das auffordernde Werben, der in Komparsenkleidung dastehenden Anmacher uns eine Scheinwelt vorgaukelt, die sich nur hier in Sankt Pauli finden lässt, da kann sie sich in unserer Mitte sicher fühlen und diese Halbwelt in sich aufnehmen. Spät bringen wir sie zu ihrem Hotel und sie verspricht uns, sich zu revanchieren. Schon eine Woche später ruft sie uns an und lädt uns nach Husum ein und wir fahren zu ihr nach Hause.

Ein kleines reetgedecktes Haus, dass sie mit ihrer Mutter teilt, die wir aber nur kurz zu Gesicht bekommen, eine alte Frau, ganz in Schwarz gekleidet, sogar ihr Haar ist mit einer Art Stola bedeckt, die auf einem Stock gestützt und, ohne dass wir verstehen, was sie zu Lotte sagt, ins Nebenzimmer verschwindet. Lotte erzählt von ihrer Arbeit in Husums Fischfabrik, während wir mit ihr am Hafen entlanglaufen.

Der Regen hat uns in Kulanis gezwungen und auch Lotte trägt eine feste Jacke mit Kapuze, denn der Regen fällt nicht vom grauen Himmel, sondern er segelt uns geradlinig ins Gesicht.
Deshalb dauert unser Aufenthalt an der so „gesunden Luft“ nicht mehr als eine Stunde, um dann gleich wieder am kleinen Haus anzulanden.

Und dann serviert sie uns Nordseekrabben auf selbstgebackenem Brot, auf dem sich salzige Butter fingerdick befindet, dazu geschlagene, in der Pfanne erhitzte Eier. Was für ein Essen? Friesischer Tee mit irgendwas Brennendem, dass einem den Atem verschlägt und das Gefühl vermittelt, hier länger bleiben zu können.

Aber dann am Abend drängen wir zur Abreise, hier länger zu bleiben wäre, allein wegen des Teegenusses, vielleicht gefährlich geworden. Lotte, da sind wir uns einig, ist eine tolle Frau, und alles ohne erotische Hintergedanken.
 



 
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