Kameraden, wir haben die Welt gesehen... Versorgung auf See Chapter 33

Der Zerstörer zieht eine weiße Schaumlinie hinter sich her. Die Ostsee ist grau, der Himmel ist grau, es ist kalt geworden, aber es schneit nicht. Wir fahren in den Nordatlantik, hier sollen wir auf hoher See von einem Versorger mit Öl bestückt werden. Es handelt sich um eine Übung, die man besser in südlichen Gewässern, bei angenehmen klimatischen Voraussetzungen hätte unternehmen müssen, meint Tommy.

Die dänische Südsee, ein Segelparadies erster Güte in den Sommermonaten, zeichnet sich jetzt als ein öde wirkender, in unterschiedlichen Grautönen dumpf dahinvegetierender Landstrich aus, der jeden suizidgefährdeten Menschen die Alternative hätte leichter fallen lassen können. Wer unter Deck bleiben kann, der tut das jetzt, ohne sich zu beschweren.

Ich liege mit meinen Kopfhörern unter der Schanz auf alten Tauen, döse vor mich hin und höre unter mir das dumpfe Grollen der Maschine.
Die Luft ist geschwängert von leicht öliger Luft, aber das macht mir nichts aus, ich sitze im Warmen.
Am nächsten Tag stehe ich auf der Brücke als Rudergänger und schaue in das Einheitsgrau. Die Sonne ist nur als kaltweißes Schemen zu sehen. Der 1-WO bekommt die Mitteilung aus dem Funkraum, dass sich der Versorger gemeldet hat, noch 12 Meilen bis zum Treffpunkt.

Die Information geht sofort an die Besatzung raus und jeder, der beim Übernehmen des Versorgungsgutes eine Aufgabe zugeteilt bekommen hat, beeilt sich jetzt, um die Gegenstände zu klarieren, die zum Manöver notwendig sind. Dann taucht er auf, der Versorger Frankenland, einer aus der Lüneburgklasse, gestartet in Wilhelmshaven und bereit uns mit seinen hohen Ladebäumen, an denen flexible Versorgungsrohre hängen, zu betanken.

Tief liegt er im Wasser, ganz im Gegenteil zu uns, die wir leer und so scheint es, mit dem letzten Tropfen Sprit unterwegs sind. Die Schiffe fahren jetzt parallel und gleichen langsam ihre Fahrtgeschwindigkeiten an. Mit der bekannten Bolakanone wird eine Kennzeichnungsleine vom Frachter auf unser Schiff geschossen.

Diese Leine hat in Abständen von wenigen Metern kleine Fähnchen angesteckt, die von der schwarzen Fahne, in der Mitte der Leine nach außen hin, zu beiden Seiten, in gleichen Abständen gleichfarbig sind. Damit ist für den Rudergänger klar zu erkennen, dass er immer den gleichen Abstand zum Versorger hält.
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Die Schiffe der Versorgerklasse waren erst vor ein oder zwei Jahren in Dienst gestellt worden und so ist es für jede Einheit, sei es ein Zerstörer, eine Fregatte oder eine Korvette, eine Art Premiere von diesen Frachtschiffen Waren, ob Feststoffe oder Flüssigstoffe oder Munition, übernehmen zu dürfen.

Ich halte den Zerstörer ohne Probleme auf Abstand und erlebe mit, wie aus purem Spaß, der Kapitän des Versorgers, in einer übergroßen Hose, an langen Ladebäumen befestigt, über Seil und Rolle hoch über der See gespannt, mit unserem Schiff verbunden, herüberrollt, wobei ihn unsere Leute unterstützend herüberziehen. Im Gegenzug, erhält die Versorgerbesatzung eine Kiste Whiskey auf gleichem Weg retour.

Das ist der Auftakt und dann wird es ernst, denn nun schwenken die Ladebäume, die über einen Art Klappmechanismus verfügen, die sich nach außen falten können, ihre Rohre über die See in unsere Richtung. Geschickt werden die Rohre angeflanscht und dann fließt das braune Öl in schwindelnder Höhe durch die, in Bögen hängende Rohre nach unten in den Rumpf unseres Schiffes.

So vergehen die Stunden und dem aufmerksamen Beobachter muss auffallen, dass sich mit der Zeit etwas in dem Szenario verändert, langsam zwar, aber unaufhaltsam. Der Versorger beginnt aus der See zu wachsen, während unser Zerstörer, der vom Grunde her schon viel flacher gebaut ist, anfängt, tiefer ins Wasser einzusinken.

Ich kann das alles gut von der Brücke aus beobachten, außerdem erkenne ich die lange Reihe der Seelords an der Backbordseite entlang der Reling stehen. Ihre Aufgabe ist es, den Tampen stramm zu halten, der mir die Abstandsmessung anhand der Fähnchen ermöglicht.
Kurz darauf müssen wir die Brücke räumen, unsere Wache ist zu Ende und die Nachfolgegruppe steht bereit. Wir haben uns, laut Schmadding, in die Reihe der „Seilhalter“ einzureihen und jeder von uns „Neuen“ sucht sich seine Position.

Je tiefer der Zerstörer gesunken ist, desto höher hat sich die, zwischen den Schiffen erzeugte Kreuzsee aufgebaut und klatscht nun dem tiefer liegenden Zerstörer seitlich gegen die Aufbauten.

Mir war das aufgefallen und ich machte mir meine Gedanken darüber, wie das hier in einer Stunde aussehen wird, wenn das so weitergeht. Da das Schiff nach hinten wie ein Keil abfällt und die ersten Seelords schon bis zu den Knien nass sind, entscheide ich mich für eine Position weiter in Richtung Bug, in die Nähe der Bootsdecktreppe.

Weiter nach vorne hätte man mich auch nicht gelassen, denn man beginnt sich darüber klar zu werden, was es bedeutet, weiter vorne, in erhöhter Position zu stehen. Immer häufiger kommen die Wellen, jetzt mit Wucht auf uns zu und sie finden keinen wirklichen Widerstand mehr. Das Resultat, ich bekomme, obwohl noch in relativ guter Position befindlich, eine hüfthohe Welle mit, die mich das Tau fahren lässt und ich greife instinktiv nach dem Treppengeländer rechts über mir. „Festhalten, festhalten“, schreit der Schmadding vom Bootsdeck aus.

Hinter mir, in Richtung Torpedorohr, sind die ersten ins Straucheln geraten, die armen Kerle finden keinen Halt mehr und sie greifen nach allem, was sich anbietet und lassen natürlich auch das Seil los. Ich bin bis zum Bauch nass. Das Wasser ist eiskalt und ich habe jetzt schon die Nase voll. Das Seil hätte auf der Back befestigt werden müssen und nicht mittschiffs, aber jetzt kann man das nicht mehr korrigieren, das ist schon klar.

Alle schauen jetzt auf die Kreuzsee, die sich immer wilder gebärdet und keinen echten Anhaltspunkt bietet, wann sie zuschlagen wird. Sie wird dann gefährlich, wenn sich zufälligerweise zwei Wellenberge mit ihren Energien verbinden und sofort zu einer Riesenwelle mutieren. Kommt im letzten Moment eine Gegenläufige in ihre Quere, kann die Sache noch glimpflich verlaufen und sie bricht vor unserem Schiff halb zusammen und bringt uns lediglich nasse Grüße.

So vergeht einige Zeit und wir werden den anrollenden Wellen gegenüber immer misstrauischer. Jeder von uns ist nass, die Hinteren von Kopf bis Fuß, die Vorderen bis zu den Hüften.

Auf einmal ist sie da. Ich habe sie erst sehr spät erkannt. Sie schien am Anfang noch unbedeutend, bekam aber auf halber Distanz zu uns plötzlich den Druck einer weitaus höheren Welle, die sie anschob und beide sind in gleicher Richtung unterwegs, aber mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die viel Höhere kommt wie ein D-Zug von hinten, verbindet sich mit ihrer Schwester die etwas niedriger ist und wenige Meter vor der Bordwand steht da plötzlich diese Wasserwand, und da ist kein Querläufer mehr der sie abfängt oder mildert.

Als sie über uns hereinbricht, lasse ich das Seil los, während die Welle mich voll erwischt und ich keine Luft mehr bekomme, weil sie höher ist als ich selber bin. Da habe ich mich mit einer Hand an dem Treppenlauf über mir festgeklammert, mir werden die Beine weggerissen, ich schlucke salzige Brühe, huste und wedele wie eine Fahne hin und her, schnappe endlich nach Luft, halte mich aber fest.

Hinter mir, als ich mich umdrehe, ist niemand mehr zu sehen, ich höre Flüche und Schreie. Das Wasser hinterlässt beim Ablaufen ein Bild der Verwüstung. Da liegen die armen Kerle verkeilt zwischen den Aufbauten und jammern, sie halten sich Arme und Beine fest und diejenigen, die unter die Torpedorohre gedrückt wurden, sind wirklich am Schlimmsten dran. Hier bewegt sich keiner mehr.

„Sani, Sani!“, das Geschrei übertönt alle anderen Geräusche. Das Seil muss gehalten werden, aber es hängt durch, weil nur noch die Hälfte der Mannschaft vorhanden ist. Der nächste Brecher, nicht ganz so heftig wie der vorherige, braust über uns hinweg. Die Verletzten werden von der Freiwache, die ebenfalls bis zur Hüfte nass geworden ist, unter wirklich schwierigen Umständen aus ihrer misslichen Lage halbwegs befreit, soweit es unter dem Druck der anrollenden Nachfolgewellen geht.

Die unter den Torpedorohren müssen geborgen werden und das ist nicht ganz einfach. Es stellt sich heraus, dass einige Verletzungen ernsthafter Natur sind. Prellungen, Kopfverletzungen und einige Brüche sind das Resultat, sie werden abgeholt und wie wir später erfahren, ins Krankenhaus nach Kopenhagen gebracht. Sechs Leute hat es getroffen, ein hoher Preis für die Übernahme von Heizöl, einem Kapitän und einer Kiste Whiskey.
 



 
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