Kameraden, wir haben die Welt... Heimfahrt und Trockendock Chapter 22

Schon seit Stunden pflügten wir durch die Biskaya und sie machte ihrem Namen als wildes, ungezähmtes Meer alle Ehre. Es herrschte böiger Wind, aber wirklich kalt war es nicht. Ich hatte Freiwache und wir saßen in der Pantry. Ich genehmigte mir eine Pfeife und ging zum Tisch, an dem gerade die Karten ausgegeben wurden.

Wir spielten, wie so oft, Skat. Draußen dämmerte es bereits, das Essen wurde heute von vielen Seeleuten abgelehnt. Labskaus ist nicht jedermanns Sache, bei den Schlingerbewegungen des Zerstörers.

Wir durften an diesem Abend eine Stunde länger spielen, der Schmadding hatte es erlaubt. Dieses Mal ging das Skatspiel auch nicht ganz so blutig zu Ende. Der Ärmelkanal nahm uns gnädig auf und die Nordsee empfing uns mit starken Windstößen.

Das einzig angenehme, es war mal wieder „Seemannssonntag“, an denen wurden die Zollschaps geöffnet, da wurde die Möglichkeiten genutzt, hier, außerhalb der Dreimeilenzone, sich mit Schnaps, Zigaretten oder, wie in meinem Fall, mit teurem Pfeifentabak zu versorgen, der nur noch ein Bruchteil von dem kostete, was man in einem Tabakladen hätte bezahlen müssen.

Der „Seemannssonntag“, der an jedem Donnerstag für eine knappe Stunde bestand, wurde vom Smutje mit Gebäck und Tee abgerundet.

Aber der Einkauf war natürlich das Wichtigste für uns, in drei Tagen werden wir wieder zu Hause sein, also ist das die jetzt letzte Chance, noch einmal preiswert einzukaufen.

Doch noch am selben Abend wurde uns mitgeteilt, dass alle gekauften Waren ordnungsgemäß zu verzollen seien, wenn wir in Wilhelmshaven oder Kiel einlaufen werden, denn der Zoll würde an Bord kommen.

Sofort entstand Unruhe unter der Besatzung, keiner war bereit, Zoll zu zahlen. Es gab nur eine Möglichkeit sich vor der Zuzahlung zu schützen, das „Zeug“ musste versteckt werden. Alle wuselten herum, jeder wusste irgendeine Ecke, wo man seine erworbenen Sachen gut verstauen konnte.

„Wo hast Du Deine Sachen versteckt, fragte ich Jim.“ „In der Kleiderkammer, mittschiffs im Unterdeck, in meinen alten Seestiefeln, und Du?“ Ich dachte nach, ich hatte kein gutes Versteck gefunden, alles schien mir zu durchsichtig zu sein, ich verwarf jede meiner Ideen.

Unter Deck, tief unten im Maschinenraum wäre es kein Problem gewesen, aber das war nicht mein Revier, die Ölfüße hätten mich rausgeschmissen, wenn ich dort aufgetaucht wäre. Also sann ich nach einer Lösung und fand sie dann vermeintlich an Oberdeck. Geschützturm Alpha schien mir der richtige Ort zu sein, hier in der Geschützrohrverkleidung aus dicker Persenning war so viel Platz, dass ich meine Tabakdosen sicher verbergen konnte.

Dumm nur, beim Abstieg rutschte ich aus und landete zwischen dem Absperrdraht und der Geschützummantelung, es war starker Seegang und der Seeverschlusszustand war noch nicht aufgehoben worden. Der Draht drückte heftig auf Magen und Brust. Die überholende See tat ihr übriges, bei jedem Abfallen des Schiffes, quetschte mir der Draht die Brust zusammen, sodass ich keine Luft bekam.

Ich zappelte und versuchte mich aus der misslichen Lage herauszuwinden, was mir aber nicht gelang. Wieder und wieder ging die See über Back, mittlerweile war das alles kein Spaß mehr und ich begriff, dass ich unbedingt etwas tun musste, sonst würde ich hier ersticken oder zumindest ohnmächtig werden.

Schreien würde nicht helfen, bei diesem Mistwetter war doch keiner so bescheuert und rannte draußen bei Turm Alpha rum. Ich wandte mich wie ein Aal, ich stemmte mich mit aller Kraft gegen den Draht, mein Gesicht war puterrot, ich hatte die Zähne zusammengebissen und mit ohnmächtiger Wut drückte ich und schob mich milli- meterweise seitlich zwischen den Aufbauten und dem Draht nach unten.

Ganz langsam verschaffte ich mir etwas mehr Luft, und dann, mit einem Mal, als ich mich zu Boden gleiten ließ und der Draht haarscharf an meinem seitlich abgewandten Gesicht vorbeirutschte, da hatte ich es geschafft. Erschöpft blieb ich auf dem Boden liegen, den Wasserschwall ignorierend, der mich durchnässte. Unter der Dusche sah ich mir meine wundgescheuerte Brust an. Was für einen Preis hatte ich bezahlt für ein paar Dosen Tabak?

Wir sind wieder zu Hause, das spürt man alleine an der würzigen Luft des Nordatlantiks. Am nächsten Tag laufen wir mit gedrosselter Maschine in den Nord-Ostsee-Kanal ein. In Rendsburg muss die Maschine überholt werden, es gibt einige Probleme, wie wir gehört haben.

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Im Trockendock zu liegen macht keinem wirklichen Spaß. Der Wachdienst hat mit seiner Routine den Tagesrhythmus übernommen. Die einzige Abwechselung ergibt sich bei der Kartoffelschlachten, die wir uns mit einem Minensucher liefern, der ebenfalls im Dock liegt, aber etwas höher positioniert ist als wir.

Die Einschläge der rohen Kartoffeln liegen bei uns verdammt gut, wir gehen hinter Beibooten und Torpedorohren in Deckung. Unsere „Geschosse“ müssen wir, in einer Art Parabel, über die Aufbauten des Schiffes blind werfen. Mögliche Treffer wären purer Zufall, da wir unseren „Feind“ nicht sehen können. Tage später fuhr ich zu meinen Eltern, sie nahmen mich mit in den Urlaub nach Österreich.

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Ich hatte wunderbare Tage in den Alpen mit meiner Familie erlebt. Der Vater hat seine über lange Zeit gesammelten Briefmarkenalben, wie ich erst viel später erfuhr, verkauft, um mir etwas Geld zustecken zu können.

Was soll man von solchen Eltern halten? Kann man es ihnen jemals wieder gut machen? Wohl kaum. Der Urlaub lief in völliger Harmonie ab, wie immer. Doch nach 14 Tagen war er vorbei und ich musste wieder zurück zur Marine.

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Es wurde Herbst, die Tage waren schon recht kurz, verregnet und kalt. Die gesamte Besatzung war auf den Auerhahn umgezogen, es handelte sich eigentlich um ein reines Schlafboot.

Der Zerstörer wurde entgast, wie uns die „Alten“, die Zeitsoldaten mitteilten, einmal im Jahr musste die „Besatzung“ aus den unteren Etagen, der sogenannten Bilge und dem Maschinenraum vernichtet werden. Es handelte sich dabei meist um Kakerlaken und ein paar Ratten.

Jetzt draußen Wache zu gehen ist kein Allotria. Ich war mit zwei dicken Pullovern und einer langen Unterhose, natürlich in Nato-Olive, ausgerüstet. Darüber den Kulani und die blaue Marinehose deren Beine mit zwei Schlägen nach oben gekrempelt wurde.

Dicke Stiefel mit zwei Paar Socken vervollständigten das Bild eines vorbildlichen Wachsoldaten. So stand ich in dieser gottverlassenen Gegend am Nord-Ostsee-Kanal und bewachte eigentlich nichts.

Der Regen fiel wie an Schnüren gezogen. Ich hatte die Wache von 4 Uhr bis 8 Uhr morgens. In langsamen Schritten, dabei mein Gewehr auf der Schulter immer wieder neu verlagernd, lief ich die Länge des „Auerhahn“ ab, hin und her, Stunde um Stunde.

Um 6.30 Uhr kam der Wagen, der uns mit Milchprodukten versorgte. Kistenweise wurden Joghurtbecher, Sahnebecher, Milch und Sauerrahm in Flaschen abgestellt. Es gehörte zur Tradition, dass der „vorbildliche Wachsoldat“ ein kleines Deputat erhielt, dabei wurden ein paar Worte gewechselt.

Das machte den „vorbildlichen Wachsoldaten“ etwas fröhlicher, weil er wusste, dass es jetzt nicht mehr lange dauern würde, bis der Wagen mit den Backwaren kommt.
Langsam wurde es heller, der neue Tag begann und da kam auch schon der freundliche Bäcker, der in großen Körben Brote, Brötchen und Süßkram mitbrachte.

Es gehörte zur Tradition, dass der „vorbildliche Wachsoldat“ ein kleines Deputat erhielt, dabei wurden ein paar Worte gewechselt. Auf einer Rosinenschnecke kauend und dabei den Rahm der dicken Milch trinkend, schaute ich dem ersten Seelord zu, wie er mit mürrischem Gesicht, meist nur mit Unterhemd und Unterhose bekleidet, und ein Handtuch über der Schulter hängend, zu den Waschräumen torkelte.

So begann wieder einer der verheißungsvollen Tage am Kanal, wo es, so dachte ich mir, bestimmt wieder neue Abenteuer geben würde.



 



 
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